Ratsprotokoll vom 5. August 1918

2 Herr Bürgermeister: „Wird zur Dringlichkeit des Antrages das Wort gewünscht? Es ist nicht der Fall. Die Dringlichkeit des Antrages erscheint somit angenommen. Bitte Herr G.=R. Erb zum Antrage selbst zu sprechen Herr G.=R. k. k. Prof. Erb: „Nach fast sicheren Nach¬ richten sollte der Laib Brot, der jetzt 72 h kostet, auf 1 K 30 h nach anderen Nachrichten sogar auf 1 K 50 ¼ im Preise steigen. Die erste Erhöhung würde einer 80%igen, die zweite mehr als iner 100%igen entsprechen. Das Bedenklichste an dieser Er¬ höhung ist sowohl die Erhöhung an und für sich in einem so unglaublich bedeutenden Maße und die Folge, daß damit die Bevölkerung in zwei ungleiche Teile zerteilt wird, und zwar in sich das Brot und Mehl kaufen müssen, und in jene, welche ene, welche sich selbst versorgen. Es wird also mit dieser Er öhung eine einseitige Belastung der städtischen Bevölkerung und derjenigen der Industrialorte erfolgen. Nun sind Brot und Mehl wohl die allerwichtigsten Nahrungsmittel und als solche bis jetzt so ziemlich im Preise in den entsprechenden Greuzen geblieben. Wenn man die Preiserhöhung aller anderen Artikel und Nahrungsmittel in Betracht zieht, braucht man damit noch nicht die Erhöhung der Mehl= und Brotpreise zu entschuldigen. Begründet wird diese Erhöhung dadurch, daß die Kriegsgetreide verkehrsanstalt im vorigen Jahre ein Defizit von 180 Millionen Kronen aufgewiesen hat, (Zwischenrufe: Unglaublich, Sauwirt¬ chaft, Mißwirtschaft), ein Abgang, der aber am Schlusse des Jahres 1918/19 — unser Budget schließt bekanntlich mit Juli 1918 — auf 1 bis 1½ Milliarden zu stehen kommen soll. Dieser Abgang soll nun gedeckt werden und diese Deckung soll — und das ist der springende Punkt — nun von den zahlenden Verbrauchern Oesterreichs aufgebracht werden. Es wird also, wie gesagt, die Deckung dieses Abganges einseitig auf die städti¬ che und industriale Bevölkerung überwälzt werden. Daraus er¬ ibt sich, daß jsämtliche Städte, Märkte und Industrialorte au das weitgehendste Stellung nehmen müssen. Vorangegangen ist bereits die große Haupt= und Residenzstadt Wien, deren Stadt¬ at einen ähnlichen Beschluß gefaßt hat. Hiebei ist auch ein Vorschlag erstattet worden, wie man diese Erhöhung auf die Bevölkerung verteilen kann, und zwar ist das Straßburgen Muster vorgeschlagen worden, nach welchem die Bevölkerung n vier Teile zerteilt werden soll, und zwar: eine niederste Gruppe mit einem Einkommen bis 6000 K, welcher das Brot und Mehl zum alten Preise bleiben würde, nächste Gruppe bis zu einem Einkommen von 12.000 K, welcher eine entsprechende Erhöhung für den Bezug von Mehl und Brot zugewiesen würde, eine dritte Gruppe bis zu einem Einkommen von 18.000 K, welche wiederum das Brot und Mehl zu einem entsprechend weiter erhöhten Preis beziehen müßte und in eine vierte und höchste Gruppe, welche die meist erhöhten Brot= und Mehl¬ preise zu zahlen hätte. Diese Aufteilung ist natürlich nur Theorie; in der Praxis läßt sich die Bevölkerung in diese vier Gruppen aber nicht aufteilen, es liegen auch in Oesterreich gar keine Vorarbeiten zu dieser Aufteilung vor, und würde man eine solche Aufteilung nach unserem österreichischen System vor¬ nehmen, so würden darob fünf Jahre vergehen, bis dieselbe fertig wäre Die zweite Frage wäre die, daß der Staat die Erhöhung der Brot= und Mehlpreise auf sich nimmt; das wäre eine Lösung die im ersten Augenblicke vielleicht entspricht. Wenn aber der Staat immer neue Milliarden auszugeben hat, so werden wir bald alle miteinander nichts mehr haben. Das beste wäre ge¬ vesen, die Kriegsgetreideverkehrsanstalt hätte eine ordentliche Wirtschaft geführt, dann wäre nicht dieses schreckliche Defizit herausgekommen. Würde nicht soviel durch unsachgemäße Auf bewahrung vernichtet worden sein und würde nicht wahr¬ scheinlich auch im heurigen Jahre wieder so gewirtschaftet werden daß ein großer Teil der neuen Ernte vernichtet wird oder in Schleichhandel verschwindet und würden wir von Ungarn nich im Stich gelassen, so wäre die Sache besser. Deshalb haben wir in dem Antrage auch verlangt, daß auch andere Leute in die Gebarung der Kriegsgetreideverkehrsanstalt Einsicht nehmen önnen, z. B. vor allem Vertreter von Wien und allen größeren autonomen Städten, der Landesausschuß und große Verbraucher Organisationen. Die Schwerstbetroffenen sind nun wiederum diejenigen, die sich am wenigsten helfen können, das sind die Festbesoldeten, die Gewerbetreibenden und ein Teil der im Verhältnis zur Er¬ höhung der Brot= und Mehlpreise wenig verdienenden Arbeiter Nicht getroffen werden wieder diejenigen, welche die Reichster sind: die Kriegsgewinner Alle Herren haben den vorliegenden Dringlichkeitsantrag interzeichnet in der richtigen Erwägung, daß das Brot für die Nichtselbstversorger das wichtigste Nahrungsmittel (Zwischenruf des Herrn G.=R. Bachmayr: auch die Kartoffel!) für die Be¬ völkerung und es als hart zu bezeichnen ist, wenn dieses nun so verteuert werden soll. Wenn Herr G.=R. Bachmayr dazwischen¬ rief: „auch die Erdäpfel“, so hat er damit vollkommen recht denn, wenn wir schon das Kilogramm Kartoffel mit mehr als 1 K bezahlen müssen, so ist der Preis der Kartoffeln auch dar¬ iach angetan, daß mehr Mehl und Brot genossen werden muß Noch ein wichtiger Punkt ist in dem Antrage enthalten es ist die Forderung nach richtiger wirtschaftlicher Aufbringung der Ernte des heurigen Jahres und deren Verteilung, so daß vir nicht wieder wie heuer im Februar nächsten Jahres schon vor der Brot= und Mehlnot stehen. Es muß ein ordentlicher Verteilungsplan geschaffen werden, der es uns ermöglicht, bis zur nächsten Ernte auszuhalten; auch mit Ungarn muß ein Verteilungsplan ausgearbeitet werden, damit wir auch von dieser Seite Unterstützung finden. Der Antrag ist dringlich und ußerordentlich notwendig und bitte daher um seine Annahme.“ Herr G.=R. Wokral: „Ich möchte mich den Ausführungen des Herrn Vorredners voll und ganz anschließen. Die Erhöhung der Mehl= und Brotpreise in diesem Ausmaße ist nach allen Richtungen hin vollständig ungerechtfertigt. Wenn auch zuge geben werden kann oder soll, daß die Erzeugungspreise des Ge¬ treides etwas gestiegen sind, so trifft dies doch gewiß nicht in dem Maße zu, welches eine solche Erhöhung rechtfertigen würde. Die Sache scheint wieder so gemacht worden zu sein, daß die Regierung den Erzeugern Preise angegeben habe, die sich die Letzteren selbst kaum erwartet oder erhofft hätten. Es ist wieder er alte Fehler geschehen, daß die Verbraucher überhaupt in der Preisfrage umgangen wurden und nur die Wünsche einzelner Erzeuger berücksichtigt hat. Ich würde deshalb auch ganz be¬ onderen Wert darauf legen, daß endlich die Möglichkeit geboten würde, daß die Verbraucher in der künftigen Aufbringung und Verteilung etwas mehr dareinzureden haben wie bisher. An Plänen hat es dem Ernährungsamte gewiß nie gefehlt, aber an er Durchführung mangelte es stets. Als Sonntag vor acht Tagen eine Deputation der Gewerkschaften beim Minister vor¬ prach, hat dieser geantwortet, Neuordnungen seien gar nicht notwendig, weil die alten vollkommen zweckentsprechend sind, nur an der richtigen Durchführung derselben mangle es. Es ist lso besonders zu unterstreichen, daß es also nur an der Durch¬ führung der Regierungsmaßnahme fehlt, und daß die Aufbrin ung und Verteilung unter Kontrolle der Verbraucher durchge¬ führt werden muß, unbekümmert darum, wenn auch einzelne Gruppen der Bevölkerung darüber gar nicht sehr erbaut sein ollten, worunter speziell die Großhändler und Kriegsgetreide¬ verkehrsanstalt gemeint sind. Wenn die Wirtschaft wieder so veiter geht, langen wir nicht einmal bis zu Weihnachten aus rotz Ungarn und der Ukraine. Auch die Regierung muß dies ein¬ ehen, daß in der Aufbringung und Verteilung plangemäß vor¬ egangen werden muß, sonst würden die ganzen Opfer des Volkes wecklos sein. Ich schließe mich daher dem Dringlichkeitsantrage ollkommen an und bitte auch um dessen einstimmige Annahme: ußerdem ersuche ich, daß der Herr Bürgermeister Gelegenheit immt, noch mit der Statthalterei eindringlich über die Sache zu sprechen und hiebei ganz besonderen Wert darauf legt, daß venigstens die bisherige Wirtschaft aufhört, wenn schon die Preiserhöhung durchgeführt werden müßte. Es ist immer noch gerechter, wenn der Staat diese Erhöhung auf sich nimmt, ob¬ wohl sich dann natürlich diese neue Belastung des Staatssäckels vieder in erhöhten oder neuen Steuern äußern wird, dafür werden aber nur diejenigen getroffen, die bis jetzt noch aus den Kriege einen Gewinn ziehen und wirtschaftlich nichts gelitten aben. Diese Preiserhöhung würde als eine Kriegsfolge wirken nüssen, für welche eben diejenigen auch aufzukommen haben, die aus dem Kriege so ungeheuere Gewinne ziehen.“ Herr G.=R. Haidenthaller: „Ich möchte darauf hin¬ veisen, daß nach Zeitungsnachrichten vor dem Kriege 1,200.000 Zentner Getreide eingeführt wurden, welche Einfuhr auf 800.000 Zentner gesunken ist, was eine Kürzung der Brot= und Mehl¬ uoten bringen mußte. Das Brot soll nun um 100% im Preise teigen, während sich die Qualität des Brotes bedeutend ver¬ schlechtert; ja zu Zeiten ist es fast ungenießbar. Weiters ist die Mischung des Brotmehles eine sehr ungleichmäßige und möchte daher wünschen, daß in Durchführung des Beschlusses zun Dringlichkeitsantrage auch über die Mehlmischung zur Brot¬ erzeugung die nötigen Schritte unternommen werden.“ derr G.=R. k. k. Prof. Erb: „Diese Preiserhöhung hat in der Bevölkerung auch eine außerordentliche Bestürzung her¬ orgerufen. Es ist wirklich notwendig, daß diese Bestürzung der evölkerung auch öffentlich im Gemeinderate ihren Ausdruc indet. Herr G.=R. Wokral hat vollständig recht, wenn er er¬ sucht, Herr Bürgermeister möge sich auch noch besonders mi der Statthalterei auseinandersetzen, besonders aber vom Stand¬ unkte der Stadt Steyr. Wie es scheint, will der Staat die Kosten nicht tragen, aber es dürfte nichts anderes übrig bleiben Diese Milliarde wäre vielleicht noch am besten angewendet, aber es ist eine bedauerliche Sache, daß die Milliarden, die der Staat uszugeben hat, ins riesenhafte anwachsen. Wenn auch das Straßburger System zum Teile nicht zu verkennen ist, so wäre s bei uns sehr schwer, die Grenzen zu finden, wer zu den mehr oder weniger reichen Leuten zu zählen sei. Böse ist die Preis¬ erhöhung an und für sich, aber gesteigert wird die Sache noch adurch, daß diese Preiserhöhung Leuten zukommt, die man eigentlich nicht recht kennt. Diese Milliarde verschwindet so unter der Hand wieder in die Taschen der reichen Leute; es ist nicht richtig, wenn man meinen sollte, daß diese Preiserhöhung besonders den Erzeugern zuguté komme. Von einer 80%igen Erhöhung kommt den Erzeugern nur eine solche von etwa 1 ugute; es bleiben etwa 50 % über, die der Staat für uns Unbekanntes bezahlen muß. Einen Teil davon wissen wir ja, er wird an Ungarn und an die Ukraine bezahlt, ein anderer Teil an Großlieferanten, die wir hier nicht kennen, den Land¬ wirten fällt viel weniger zu. Aus dem allgemeinen Volksver¬ nögen wird das Geld herausgenommen und verschwindet dann zum Teile außerhalb des Staates; hierin liegt das aller schlimmste an der Sache. Wir rufen immer von schlechten Valuta, diese kann nicht besser sein, wenn auf vorbesagte Weise das Volksvermögen so arg geschädigt wird

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