8 Unter den in die hiesigen Kriegsbetriebe Kommandierten befinden sich mehr denn 1000 Arbeiter, welche der tschechischen Nation angehören; sicher vor den feindlichen Kugeln können sie ich während des Krieges noch bereichern, weil sie in der Front nicht verläßlich sind. Mit tiefem Groll bemerkt es die hiesig Bevölkerung schon lange, was diese tschechischen Arbeiter aus ihrer Heimat nachgeschickt bekommen, welche Mengen von Brot und Gepäck und von einer Qualität, wie sie auch in Frieden nicht besser sein kann. Jeder Mensch in Oesterreich kennt den Ueberfluß in tschechischen. Gebieten und auch der österreichischen tegierung kann es kein Geheimnis geblieben sein, daß die tschechische Bevölkerung durch ihren Widerstand auch in der Ge¬ treideablieferung dem Staate nicht zu überwindende Schwierig¬ keiten bereiten zu können hoffte. Wenn nun die Not so groß ist, dann ist es wohl an der allerhöchsten Zeit, diesen Widerstand zu brechen; wenn die Re¬ gierung die starke Faust, welche sie bei der deutschen Land¬ bevölkerung fühlen ließ, auch dort einmal zur Anwendung bringt wo heute noch Vorräte in großen Maßen vorhanden sind, und n energischer Weise, allerdings nicht durch tschechische Kom¬ missionen Requisitionen durchführen läßt, dann braucht es nicht zum Aeußersten zu kommen. Es muß aber auf das entschiedenste dagegen Protest er hoben werden, daß eine Bevölkerung, die für den Staat be reits so schwere Opfer gebracht hat und die heute dem Verhungern nahe ist, nur deshalb der Verzweiflung in die Arme getrieben werden soll, weil andere, welche den Hochverrat offen und schamlos bekundeten und auch heute noch be¬ kunden, ungestraft auch weiterhin verweigern dürfen, dem Staate zu geben, was des Staates ist. Es sei an dieser Stelle auf die hochgehende Erregung ver¬ wiesen, welche in letzter Zeit in einigen Alpenländern in nicht mißzuverstehender Weise laut und vernehmlich zum Ausdrucke * * * gelangt ist. Die Stadtgemeinde=Vorstehung Steyr bittet daher noch mals, von der Durchführung einer Brotkürzung abzusehen; wird aber auf deren Durchführung beharrt, dann lehnt die Stadt¬ jemeinde=Vorstehung heute schon die Verantwortung für alle Folgen, welche daraus entstehen können, ab. ierauf langte von der Statthalterei die Zuschrift vom 15. Juni 1918, Zl. 12.481/Ap., ein, worin folgendes gesagt wird Den Ausführungen des bezogenen Berichtes kann ich in mancher Richtung vollkommen beipflichten, muß jedoch mit Rück¬ icht auf die allgemeine Versorgungslage des Reiches die unein¬ geschränkte Durchführung des Erlasses vom 5. Juni 1918 Zl. 11.686/Ap, fordern, da sonst die Kriegsgetreideverkehrsanstalt Zweigstelle Linz, nicht in der Lage wäre, den erhöhten Bedarf der Stadt an Mahlprodukten zu decken und die Gemeinde=Vor¬ stehung gezwungen wäre, eine weit empfindlichere Brotverkürzung als in dem angeordneten Maße zeitweilig vorzunehmen.. Auf Grund dieses Bescheides der Statthalterei erging an die Bäckermeister folgender Erlaß der Stadtgemeinde=Vorstehung: An die Herren Bäckermeister in Steyr. Die k. k. Statthalterei in Linz hat bereits mit Erlaß vom 5. Juni 1918, Zl. 11.686/Ap., verfügt daß vom 10. Juni 918 angefangen eine Herabsetzung des Brotverbrauches in der Weise einzutreten hat, daß mit Ausnahme aller in der Ver¬ orgungsgemeinschaft der Oesterreichischen Waffenfabrik in Steyr, des Kriegsverbandes der industriellen Betriebe Oberösterreichs und der k. k. Staatsbahndirektion in Linz befindlichen Sonder versorgten die Brotkarte, welche wöchentlich auf 18 Abschnitte lautet, nur mehr gegen eine Menge von 980 g statt 1260 Brot eingelöst wird, daher 280 g oder 4 Brotkartenabschnitte wöchentlich in Wegfall kommen. Die Zusatztarte der Schwerarbeiter bleibt unverändert Die Stadtgemeindevorstehung Steyr hat in einer eingehenden Eingabe der k. k. Statthalterei die Unmöglichkeit der Durchführung dieser harten Maßnahmen in dem gegenwärtigen Zeitpunkte dar¬ getan und um Zurückziehung dieser Verordnung gebeten Auch der Magistrat der Landeshauptstadt Linz hat in gleicher Weise gegen diesen Erlaß Stellung genommen. In einer heute statt¬ gefundenen Sitzung des Landwirtschaftsrates hat Seine Exzellenz der Herr Statthalter erklärt, daß nur die härteste Notwendigkeit diesen Schritt veranlaßte und daß die Kürzung unbedingt durch¬ geführt werden müsse, wenn nicht binnen kurzem überhaupt ämtliche Mehlvorräte aufgebraucht sein sollen und dann über¬ haupt jede Brot= und Mehlabgabe unterbleiben müßte Diesem eisernen Zwange und dem neuerlichen schärfsten Auftrage der k. k Statthalterei gehorchend, muß daher die Kür zung der Brotmenge von 1260 g auf 980 g wöchentlich ab Montag, den 17. d. M, durchgeführt werden. Die Herren Bäcker¬ meister werden daher beauftragt, ab Montag, den 17. Juni 1918, nur mehr Brote im Gewichte von 980 g zu erzeugen und für ein solches Brot in der Woche vom 17. bis 23. Juni 1918 volle 18 Brotkartenabschnitte einzuziehen, bezw. auf einen Bvotkarten¬ abschnitt nur 54·5 g Brot zu verabsolgen. Ab 24. Juni 1918 sind Brote von 980 g gegen 14 Brotkartenabschnitte zu verab¬ olgen, da sodann bereits die entsprechende Richtigstellung der Bezugsfarten erfolgt sein wird für die strengste Einhaltung dieser Verfügung werden die Herren Bäckermeister persönlich bei sonstiger Entziehung der Ge¬ verbeberechtigung haftbar gemacht. Stadsgemeinde=Vorstehung Steyr, am 15. Juni 1918 Der Vizebürgermeister: Ferdinand Gründler. Dies ist die Vorgeschichte. Die Sektion beantragt hiezu: „Der Gemeinderat beschließe seine Zustimmung zu der vom Bürgermeister erfolgten Verwahrung gegen die Ausdehnung der Brotkürzung auf den Stadtbezirk Steyr, da dessen Bevölkerung eine solche Herabsetzung nicht verträgt. Er bedauert die zur Gänze fehlende Voraussicht der Leitung der ein¬ hlägigen Zentralen, deren ungeheuerliche Un¬ enntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse den etzigen traurigen Zustand in der Ernährung ver irsachen mußte und damit für die Bevölkerung eine äußerst hwierige Lage schuf. Herr G.=R. k. k. Prof. Erb fährt fort: In der Zuschrift der Stadtgemeinde an die Statthalterei heißt es, daß eine Kritik an den Verhältnissen nichts hilft. Ich jebe zu, daß dies wahr ist, zur Sache selbst habe ich aber doch einiges zu bemerken. Die Wirtschaft in den Zentralen ist eine derartige gewesen, daß man sich heute an den Kopf greifen muß, wieso es möglich ist, daß nunmehr eine derartige Lage entstand Man braucht nur auf ein halbes Jahr zurückgreifen. Die Herren werden sich erinnern, daß im Oktober vorigen Jahres in allen Zeitungen zu lesen stand, daß Oesterreich bis zur nächsten Ernte reichlich versorgt sei. Parallel mit dieser Ankündigung ist die Mehl= und Brotquote auf 100%ige Erfüllung der Ausweis irten gestiegen. Ich frage nun jeden halbwegs vernünftigen Nenschen: wie konnte seitens des Ernährungs=Ministeriums ein derartige Mitteilung veröffentlicht werden, denn kaum ¼ Jahr ach dieser Veröffentlichung mußte bereits mit einer Mehlver¬ kürzung auf ¼ kg gegangen werden. Es muß jeden Menschen nverständlich sein, wie dies kommen konnte. Das Ernährungs¬ mt hat sich auf statistische Daten, die jede Zentrale führt, ge tützt und die einer Neuaufnahme der Erträge aus der Ernt 917 mit einem Kostenaufwande von 17 Millionen Kronen ent sprungen seien und welche gar nichts genützt hat, weil sie einen ollkommen falschen Schluß brachten. Es verschwanden auf un¬ aufgeklärte Weise große Mengen in den tschechischen Gebieten, eils verschwanden solche durch den großzügigen Schleichhandel, gegen welchen niemals ordentlich Stellung genommen wurde. An den jetzt bestehenden Zuständen trägt die Regierung des rafen Stürgkh die Hauptschuld. Sie füllte alle Zentralen des Ernährungsdienstes ohne mit jede Sach= und Fachkenntnis be¬ tzenden Bürokraten an, vermied ängstlich jede erfolgreiche Bei¬ ziehung von Landwirten, Kaufleuten, Bürgermeistern und Ab¬ geordneten, überhaupt von Leuten aus dem Volke. Ihr hat jede Voraussicht und jedes Verständnis durch drei Jahre gefehlt und vir müssen dies nun so hart büßen. Vielleicht wäre eine ordent¬ lich durchgeführte zentrale Bewirtschaftung mit dem Ernte=Er¬ trage des Jahres 1917 mit Zuziehung entsprechender Sachkenner, noch im Stande gewesen, uns vor diesem katastrophalen Augen¬ blick drei Wochen vor der neuen Ernte zu bewahren. Jetzt sind wir so weit, daß wir gar nichts mehr haben; wir müssen warten, ob und wie uns das Deutsche Reich aushilft und ob Ungarn etwas abgibt. Aus der Ukraine scheint überhaupt nichts herauszugehen, weil alles vernichtet scheint und weniges nur zu abelhaften Preisen und Bedingungen erlangt werden kann. Der Fehler in der Voraussicht lag also schon im Oktober 1917 vor ganz abgesehen von Aufbringungs= und Verteilungsfehlern Die Veranlassung des Fehlers liegt also aber — wenn wir weiter zurückgehen — in dem unglückseligen Ministerium Stürgkh und seinen Bürokraten, die allen Rat sowohl der Er¬ euger wie der Verbraucher ausgeschlossen haben. Stürgkh hat einfach mit seinen Bürokraten politisch und wirtschaftlich ganz allein regieren wollen, mit einer weltfremden Art von Leuten, die von Erzeuger= oder Verbraucherorganisationen nichts wisser vollten. Ich habe die volle Ueberzeugung, daß, wenn das Mi¬ nisterium Stürgkh das Abgeordnetenhaus einberufen hätte, diese Ernährungsschwierigkeiten heute nicht so arg eingetreten wären, vir nicht so hilflos und die Regierung nicht so kopflos dieser dingen gegenüber stünden. Den Beamten des Ernährungs=Mi¬ isteriums kann kein Vorwurf gemacht werden, sie waren keine Fachleute, sie konnten es nicht besser verstehen, beim besten Willen; ein solcher Vorwurf kann nur die leitenden Faktoren reffen. Die Schuld trifft den Bürokratismus des unglückseligen Ministeriums Stürgkh, noch dazu in seiner Unterwürfigkeit gegen Ungarn, der mehr auf seine Ministerschaft als auf das Volk jedacht hat. 0 Dem Gemeinderate wurde die ganze traurige Vorgeschichte ur Kenntnis gebracht, um der Bevölkerung zu zeigen, woran ie Schuld an dem jetzigen Zustand liegt, und zu zeigen, daß sich der Wirtschaftsvat der Stadt jederzeit und auch diesmal ein zehend mit den Ernährungsfragen überhaupt beschäftigt und drittens zu zeigen, daß die Gemeinde alles Mögliche getan hat, im das nun eingetretene Uebel abzuwenden. Leider muß auch betont werden, daß die Schuld an diesen Zuständen nicht allein die höchste Zivilverwaltung, sondern zum vesentlichsten Teil auch die Militärverwaltung trifft, die sich um as Hinterland die längste Zeit nicht kümmert, die vergassen, aß das Hinterland auch eines der wichtigsten Fronten ist. Man sieht bei dieser heute noch keine Sparsamkeit; es eißt immer, koste es, was es wolle, wir kaufen und übernehmen alles um jeden Preis, so daß auch die Preisbildung von der Militärvorwaltung beeinflußt und furchtbar hinaufgeschraubt vurde So sind wir jetzt auf den heutigen tranrigen Standpunkt angelangt. Wir können aber mit ruhigem Gewissen sagen, daß
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