Ratsprotokoll vom 16. November 1917

Frieden bereit. Daß aber der Gemeinderat von Steyr den Frieden verlangen und Einfluß nehmen kann, ist wohl nicht gut denkbar. Ja, wenn der Gemeinderat von London und die dortigen englischen Machthaber Frieden schließen wollen, dann wird er in kurzer Zeit da sein, vorausgesetzt, daß Lloyd George nachgibt. Wir aber, die wir ja keinen Er¬ oberungsfeldzug führen und mit unseren Truppen heute überall siegreich in den feindlichen Landen stehen, würden es bei der freiwilligen Rückziehung unserer Truppen an unsere Grenzen erleben müssen, daß uns die Feinde inner¬ halb unserer Grenzen sofort wieder nachkommen. Ich bitte also, alle diese Verhältnisse so zu nehmen wie sie sind. Herr Kollege Wokral wird mir gewiß recht geben, daß die Deutschen in der allergrößten Gefahr stehen, ihr selbständiges Bestimmungsrecht vollständig zu verlieren. Ein Kampf um die Existenz des deutschen Volkes und um seine Unabhängigkeit ist entbrannt. Furchtbar und gräßlich. Anders geht es nicht, als uns die Sicherung unserer künf¬ tagen Existenzbedingungen zu erkämpfen. Gewiß wird diese Sicherung nicht darin bestehen, daß wir uns schwach zeigen, daß wir immer nachgeben und winseln, sondern daß wir weiterkämpfen, bis die Feinde zur Einsicht ge¬ langen, wir sind nicht niederzuringen. Diese Zeit wird und muß kommen. Wir müssen daher den Feinden durch die Zeichnung der Kriegsanleihe zeigen, wie wir auch finanziell ungebrochen und wohl imstande sind. den Kampf auch finanziell erfolgreich fortzusetzen. Die Kriegsanleihe ist somit für uns ein Friedensmittel. Ich wiederhole noch¬ mals: Wir sind für den Frieden, aber nicht für einen Frieden, wo wir die Unterliegenden sind, sondern für einen Frieden, in dem wir für ein Jahrhundert unsere Existenz und unseren Anteil unbehelligt am Weltmarkt sichern. Heute ist aber die Lage bestimmt so, wie ich sie geschildert habe. Ich bitte daher, auf den Antrag der Finanzsektion einzu¬ gehen. (Beifall.) Herr GR. Wokral: Ich muß hier etwas klarstellen. Selbstverständlich weiß heute niemand, wann und wie der Krieg endet. Aber eines müssen wir wissen, wie lange es noch gelingen wird, den Kampf auch mit Anspannung aller unserer Kräfte fortzusetzen. Darüber müssen wir uns klar werden. Wir müssen unsere Kräfte abzuschätzen wissen. Es hat gar keinen Zweck, dem Gegner zu drohen, wenn wir unsere Kräfte nicht abzuschätzen wissen. Ich glaube, wenn wir es wissen, wie es mit uns steht, daß dies den Krieg durchaus nicht verlängern kann. Daß der gegenwärtige Kampf einen Kampf um die Existenz bedeutet, wird nie¬ mand bestreiten können, jeder Tag zeigt uns dies ja aufs deutlichste. Unsere Auffassung als Deutsche geht dahin, daß unsere Existenz dadurch nicht erleichtert wird, daß wir immer neue fremdsprachige Völker unserem Staate an¬ schließen; wir haben daher für Eroberungen kein Interesse. Ich möchte auch noch betonen, daß Herr Professor Erb es unrichtig aufgefaßt hat, wenn er meint, daß die Sozial¬ demokraten Oesterreichs eine andere Stellung einnehmen, als die Sozialdemokraten Deutschlands. Auch diese vertreten den Standpunkt, daß aus Eroberungen fremder Länder keine Sicherheit für die Existenz des Deutschtums erwächst. Wir wollen nichts anderes, als daß die von uns gebrachten Opfer zur Verteidigung. nicht aber zu Eroberungen gebracht werden. Das ist unser Ziel und dies solle der Gemeinderat heute bei der Zeichnung seiner Kriegsanleihe der Re¬ gierung gegenüber zum Ausdrucke bringen. Wir erblicken unsere Sicherheit für die fernere Existenz des Staates in der Verteidigung der Grenzen und Fernhaltung der An¬ gliederung fremdsprachiger Völker, die das Deutschtum im Staate zu erdrücken drohen. Ich möchte nichts anderes als den Verteidigungskampf und daß alles getan werde, um diesem schrecklichen Kriege so rasch als möglich ein Ende zu machen. Dies aber möge der Gemeinderat der Re¬ gierung gegenüber auch zum Ausdrucke bringen. Herr GR. Prof Erb: Ich möchte dazu bemerken, daß sich Kriegsanleihen nicht auf Kriegsziele beziehen. Die reichsdeutschen Sozialdemokraten haben für die Anleihen des Staates und die Budgets fortwährend mit Ausnahme einer kleinen Gruppe geschlossen gestimmt, während die Sozialdemokraten Oesterreichs mit Ausnahme der polnischen Sozialisten gegen jede Anleihe gestimmt haben. Das ist also doch ein wesentlicher Unterschied. Nun dreht sichs aber im Deutschen Reiche um den Besitz von Elsaß=Lothringen. Schuld daran trägt der größte Fehler Metternichs, der im Jahre 1815 aus Eifersüchtelei gegenüber Preußen, damit dieses und Deutschland Elsaß=Lothringen nicht bekommen soll, es durch den französischen Minister Tayllerand dahin gebracht hat, daß Elsaß=Lothringen an Frankreich abge¬ treten wurde. Dies zeigt, wie gefährlich in der Zukunft olche Länderteilungen wirken können, da sie stets neue Kriege heraufbeschwören. Wenn nun auch das Abgeordnetenhaus Friedens¬ vorschläge ausarbeiten und Kriegsziele festsetzen würde, so hätte es doch keinen Wert, weil die Phasen des Krieges außerordentlich rasch wechseln. Seinerzeit wurde der Wunsch ausgesprochen, daß die deutschen Sozialdemokraten sich an den verantwortlichen Stellen unseres Staates beteiligen und in die Regierung eintreten sollen. Warum ist das nicht geschehen? Da hätten die deutschen Sozialdemokraten ihren Einfluß geltend machen können. Wenn Herr Reichsrats=Ageordneter Doktor Renner in die Regierung eingetreten wäre, hätten wir heute schon ein Koalitions=Ministerium, das auf ihre Parteien fußend, durch diese zu irgend einer Stellungnahme hätte gezwungen werden können. Die Herren Sozialdemokraten sagten aber, sie tun nicht mit, um keine Verantwortung tragen zu müssen. Daraufhin erklärten die Christlich¬ sozialen, da die Sozialdemokraten nicht in das Ministerium eintreten und Abg. Dr. Renner das Ministerium für soziale Fürsorge nicht annehme, können sie auch nicht Minister¬ posten annehmen. Die Sozialdemokraten übernehmen keine Verantwortung, sie auch nicht. So scheiterte nach vielen Verhandlungen das geplante Koalitions=Ministerium an dem „Nein, das heißt an der Ablehnung der Beteiligung durch die sozialdemokratische Partei und ihne Weigerung an der parlamentarischen Mitarbeit und Uebernahme einer wirklichen Verantwortung. Sie bleibt in fortgesetzter Opposition und im Kampfe gegen alle anderen aus agitatori¬ schen und taktischen Gründen. Selbst will sie nicht regieren oder an der Regierung teilnehmen, obwohl sie dann besser Gelegenheit hätte, das zu tun, was sie oft so ungestüm von der Regierung und von den Parteien verlangt, die sie bekämpft. Das ist freilich schön und bequem, anderen die Ver¬ antwortung zu lassen, um selbst fortwährend angreifen zu können: das ist der herrliche Zustand der unverantwortlichen Opposition. Wie ich im Gemeinderate in der Opposition war, habe ich diese Lage kennen gelernt. Das wird natür¬ lich anders, wenn die Opposition an die verantwortliche Stelle kommt. Ein Koalitions=Ministerium wäre der beste Schritt zu Friedensvorschlägen gewesen. Die Verhältnisse sind nun heute so. daß es unmöglich erscheint, im Parlament mit bestimmten Friedensvorschlägen durchzukommen. (Beifall.) Nachdem sich zum Gegenstande niemand mehr zum Worte meldet. schreitet der Herr Vorsitzende über den Antrag der Finanzsektion zur Abstimmung und ersucht die Zustimmung zum Antrage durch Erheben von den Sitzen zum Ausdrucke zu bringen. Der Antrag der Finanzsektion wird sohin mit allen gegen eine Stimme zum Beschlusse erhoben. Herr Bürgermeister: Ich stelle fest, daß die Annahme des Antrages in Anwesenheit von mehr als zwei Drittel der Mitglieder des Gemeinderates und mit großer Mehrheit stattgefunden hat Herr GR. August Mitter dankt dem Gemeinderare ür die bewiesene Teilnahme anläßlich des Heldentodes eines Sohnes Herrn August Mitter jun. Hierauf schließt der Herr Vocsitzende um ¾5 Uhr nachmittags mit Dankesworten die Sitzung.

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