Ratsprotokoll vom 4. September 1917

zustellen, ebenso die Ausfuhr der Futtermittel in dem Bezirke Steyr Land völlig einzustellen und im Bezirke Kirchdorf nur in einer Weise durchzuführen, die eine klaglose Ernährung der Viehbestände ermöglicht L. Erb. Der Antrag ist von einer genügenden Anzahl der Herren Gemeinderäte unterzeichnet; ich erteile Herrn G.=R. Prof. Erb zur Dringlichkeit des Antrages das Wort. Herr G.=R. Prof. Erb: Die Dringlichkeit des Antrages brauche ich nicht weiter zu begründen, da es höchste Zeit ist, daß hier endlich Abhilfe geschieht. Ich bitte, die Dringlichkeit des Antrages anzunehmen Herr Bürgermeister: Ich lasse über die Dringlichkeit des Antrages abstimmen und bitte, Ihr Einverständnis durch Erheben der Hände zu bekunden Die Dringlichkeit des Antrages wird einstimmig ange¬ nommen. err Bürgermeister: Ich erteile Herrn G.=R. Prof. Er zum Antrage selbst das Wort: Herr G.=R. Prof. Erb: Sehr geehrte Herren! Wie Sie wissen, hat sich sowohl der Gemeinderat als Wirt¬ chaftsausschuß, der Herr Bürgermeister und alle Vertreter Steyrs bemüht, an allen möglichen Stellen gegen das Vorgehen im Be¬ zirke seitens verschiedenartiger Faktoren bezüglich der Viehauf¬ bringung Einsprache zu erheben. Wie aus dem Antrage hervor¬ zeht, sind wir auf dem Punkt angelangt, daß diesem Treiben ein rasches Ende bereitet werden muß. Der Antrag entspringt zweien Mitteilungen, die ich am Schlusse der letzten Woche erhalten habe, er bezieht sich auf einen Fall in Wolfern, wo 31 Stück und auf einen Fall in Garsten, wo 40 Stück Vieh, darunter Milchkühe mit 8 Liter Ergiebigkeit seitens bestellter Vieheinkäufer einfach weggetrieben wurden. Wir haben ja hier schon lange Auseinandersetzungen gehabt, die alle in den Beschwerden gipfelten, daß Steyr bezüglich des Fleisches sehr schlecht versorgt ist, wobei ich wiederhole, daß die Stadt nur auf die Bezirke Steyr Land ind Kirchdorf angewiesen ist. Wir haben auch schon die zahl¬ reichen Klagen über den Mangel an Milch gehört und wir hören ortgesetzt, daß die Milchanlieferungen seitens der Gemeinden Kronstorf und Hargelsberg für die Stadt im Sinken begriffen st. Wir haben auch die Klagen über die geringen Mengen an Butterzuweisung gehört und erfahren müssen, daß aus den Be¬ irken Steyr Land fast gar keine Butter an die Zentrale geht Je weniger Milchkühe, desto weniger Milch und Butter; also in drei Richtungen hin, nämlich an Milch, Butter und Fleisch, ha die Stadt eine fortgesetzte Verminderung dieser wichtigsten Nah¬ rungsmittel zu erleiden. Wir sind aber auch auf die Landwirte angewiesen. Die Landwirte — wir wissen dies aus eigener Er¬ — sind bereits verdrossen, so daß es ihnen ziemlich fahrung gleichgiltig ist, ob sie von ihren Produkten noch etwas abgeben oder nicht; sie trachten nur mehr sich selbst und ihr Hausgesinde zu versorgen. Während sie früher Sorge trugen, ihre alten Kundschoften mit allen ihren Lebensmitteln zu versorgen, liegt hnen jetzt nichts daran; daran ist nur die Behandlung unserer Landwirte schuld. Ich bitte, was macht so ein Einkäufer; e kommt einfach in den Stall und nimmt ohne jede Kontrolle einer Behörde das ihm passendste Stück oder mehrere Stücke Vieh trotz aller Einsprüche. Der Bauer ist in den meisten Fällen eingerückt und die Frau allein zu Hause, dann ist es desto schlechter. Was aber dann mit dem angesprochenen Vieh weiter geschieht, weiß kein Mensch. Der Einkäufer sagt einfach, es gehört der Waffen¬ abrik oder dem Militär und treibt einfach das Vieh fort. Daß egen ein solches Treiben die Landwirte sehr verärgert sind, ann man sich lebhaft vorstellen Dann sollen noch ganz eigentümliche Sachen mit diesem requirierten Vieh vorgehen, indem es gegen ein anderes ausge¬ tauscht und in einen Stall zum Weiterverhandeln eingestellt wird. Dies geschieht alles wahllos und ohne daß irgend eine Kontrolle seitens der vorgesetzten Behörde erfolgt; der Bauer muß sich ügen und wir — die Stadt — muß darunter nach allen Rich¬ tungen leiden, und ist es nicht auffallend, daß auf den großen Märkten ebenso wahllos vorgegangen wird. Auch auf den Märkten erfolgt keine Kontrolle; es wird wahllos niedergeschlagen und verschickt. Es ist eine vollständige Unordnung, eine vollstän¬ dige Desorganisation. Dagegen muß nun mit allen Mitteln Stel ung genommen werden und wenn uns gesagt werden sollte, daß uns dies als Stadt im eigenen Bezirk weniger angeht, so werden es wahrscheinlich ihre interessierten Kreise tun; aber es ist ebenso unsere Sache, weil sich die Folgen an der Stadt furchtbar rächen werden. Es ist ja klar, wenn in der Umgebung kein Vieh mehr ist, können wir auch dieses notwendige Produkt nicht mehr be¬ kommen. Es ist wirklich hohe Zeit, mit aller Energie den Uebel¬ tänden entgegenzutreten und wird dies in einer später zu ver¬ lesenden Entschließung zum Ausdrucke gebracht werden Wir verlangen, daß aus den Bezirken Steyr Land und Kirchdorf kein Vieh mehr für andere Orte angesprochen werden darf, als nur von der Stadt Steyr. Bis jetzt muß aber der Bezirk Steyr Land und Kirchdorf auch für das Militär auf¬ kommen und außerdem kommt Vieh aus diesen uns zugewiesenen beiden Bezirken noch zur Ausfuhr, statt daß es im Landbez rke bleibt. Was nun die Fultermittel anbelangt, so hängen diese mit der Vieherhaltung auf das innigste zusammen. Der Stadttierarz 3 hat erklärt, daß die Futlerrationen noch vermindert werden sollen und würde dies soweit gehen, daß nur soviel Futter abgegeben vird, daß es gerade zur Aufrechthaltung des Lebens dieses Viehes genügt. Ob aber eine Kuh, wenn sie noch lebt, auch Milch geben ann, ist eine andere Frage. Daher interessiert uns auch lebhaft er Bezug der Futtermittel; auch darin scheinen wir also stief¬ mütterlich behandelt zu werden. Ich erlaube mir, eine kurze Notiz aus der Zeitung zu verlesen: „Eine große Herrschaft hat diesen Sommer auf der „hohen Heid“ mit Hilfe von 200 Soldaten ungefähr 20.000 g pracht¬ volles Heu bei eigenen Futterbauern eingelagert, um es im Winter in ihre Hirsche zu verfüttern. So werden hunderte von Herr¬ chaften für ihre Hirsche Futter besorgt haben; würden diese Heu¬ mengen zugunsten der Allgemeinheit requiriert werden, könnten damit tausende Kühe gerettet werden. Die Hirsche wären besser zum Abschusse zu bringen und damit auch der viele Wildschaden zu verhüten; dazu gehört aber Mut Es handelt sich hier um 20.000 g Heu, wozu 200 Sol¬ daten zur Einlagerung benützt wurden So wird gewirtschaftet. Wir jammern hier, daß unsere Milchkühe geschlachtet werden, daß die noch vorhandenen Milchkühe kein Futter mehr bekommen, während man auf der anderen Seite dieses Beispiel erhält. Daß wir gegen solche Vorgänge unsere Stimme erheben, ist wohl elbstverständlich Ganz besonders muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß nach dem Kriege die oberösterreichische Landwirtschaft wird aum erhalten werden können; man nimmt ihr das Vieh und das Futter weg, was bleibt dann übrig? Ich glaube, es ist in llen diesen Beziehungen nirgends so arg wie in Oberösterreich In den böhmisch=tschechischen Bezirken, in Krain und in den süd¬ lichen steiermärkischen Bezirken soll es weitaus besser sein als bei uns. Ich glaube doch, daß dieser Notschrei im letzten Moment, den wir für unser Versorgungsgebiet, die Bezirke Steyr Land und Kirchdorf, ausstoßen, bei denjenigen Faktoren, die ihn hören ollen, auch gehört wird. Es braucht nichts anderes zu geschehen, als daß man die Bezirke Steyr Land und Kirchdorf ausschlie߬ ich für unsere Versorgung in Ruhe läßt. Herr G.=R. Kattner: Ich muß schon dringendst darau aufmerksam machen, daß fortwährend ein Rückgang in der Milch¬ nlieferung zu verzeichnen ist; wir gehen direkt einer Katastrophe entgegen. Herr G.=R. Wokral: Sehr geehrter Gemeinderat! Ich möchte darauf verweisen, aß in der Sache noch etwas nachkommt. In der letzten Wirt¬ chaftsratssitzung haben wir uns damit beschäftigt, damit der Ge¬ neinderat veranlaßt werde, eine größere Anzahl von Milchkühen anzukaufen. Es sind Erhebungen gepflogen worden, wer sich von den Bauern herbeiläßt, die Kühe einzustellen. Die Antworten aben ziemlich abweisend gelautet, so daß es fraglich erscheint, b ein Antrag auf Ankauf von solchen Milchkühen auch durch¬ ührbar wird, da es mangels Interesse der Bauern kaum mög¬ ein wird, die Kühe unterzubringen. Das erschwert selbstverständ¬ lich die Versorgung unserer Stadt außerordentlich Die Bauern kaufen nicht ein Stück, weil sie Gefahr laufen, daß ihnen das Vieh wieder weggenommen wird Aus den Aeußerungen eines Herrn, der im Landeskultur¬ rate sitzt, wurde ich aufmerksam gemacht, daß man bereits auch dort den sehr dringenden Verdacht hat, daß einzelne (der Ein¬ äufer bei ihren Requirierungen durchaus nicht reell vorgehen, ondern ihre Einkaufsbefugnisse dazu ausnützen, den Bauern das este Stück mit Absicht wegzunehmen und dasselbe dann ver¬ tauschen, also Manipulationen auf eigene Rechnung und Vorteile machen. Wenn also bereits im Kulturrate bekannt ist, daß solche Verhältnisse bestehen, so find diese schon als sehr bedenklich zu ezeichnen. Diese, wenn auch einzelnen Fälle mahnen uns zum trengsten und energischesten Einschreiten Auch in der Gemüseversorgung muß schon rechtzeitig vor¬ gesorgt werden, damit wir nicht wieder wie im vergangenen Winter von Weihnachten bis Mai nur Dörrgemüse haben. Sonst wird es kaum möglich sein, daß die Bevölkerung durchhalten ann. Zuerst muß die Möglichkeit zum Durchhalten geboter verden Die schönste Begeisterung wird zu nichts gemacht, wenn der Magen leer ist und knurrt, und die schönsten Ansprachen verden alle zu nichts, wenn die Bevölkerung sich nicht erhalter ann. Was nützt auch die bewaffnete Macht, die leeren Mägen kann man nicht mit blauen Bohnen sättigen Wenn die Zentralstellen oder das Ernährungsministerium Steyr nicht mit den nötigen Lebensmitteln versorgt, sind Folgen die besser vermieden werden sollen, nicht abzusehen. Herr G.=R. Haidenthaller: Ich glaube hinzufügen zu können, daß die Gemeinden Kronstorf und Hargelsberg eben¬ alls in das für die Stadt Steyr zu sperrende Versorgungsgebiet inbezogen werden sollen, da wir von dort die Milch beziehen, und stelle den diesbezüglichen Zusatzantrag. herr Bürgermeister: Diese Gemeinden gehören zum politischen Bezirke Linz und geht es nicht an, einzelne Gemeinden lus einem Bezirke für die Versorgung eines anderen heraus¬ zureißen Herr G.=R Prof. Erb: Ich bedauere, auf den gewiß jut gemeinten Wunsch des Herrn Gemeinderates Haidenthaller auf Einbeziehung der genannten Gemeinden nicht eingehen zu önnen, weil dann auch die für uns ebenso wichtigen Gemeinden

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