Ratsprotokoll vom 4. September 1917

2 Eine durchgreifende Besserung der Fleischversorgung kann nur durch eine Erhöhung der seitens der Statthalterei zur Ver fügung zu stellenden oberösterreichischen Schlachtviehmengen er¬ zielt werden. Ende August begab ich mich mit Herrn Reichsratsabge¬ ordneten G.=R. Prof. Erb nach Wien. Wir sprachen im Acker bauministerium bei Herrn Hofrat Katich in der Fleischfrage vor und verlangten von ihm eine Besserung der Fleischversorgung unserer Stadt. Dieser legte uns die Schwierigkeiten in der Aufbringung von Schlachtvieh in Oberösterreich dar, betonte aber, daß in nächster Zeit eine große Sendung ungarischen Viehes nach Oester¬ reich käme, von dem auch Oberösterreich und damit auch Steyn eine entsprechende Anzahl erhalten werde. Ferner begaben sich Herr Reichsratsabgeordneter Professor Erb und Herr Amtstierarzt Schopper ins Ernährungs¬ ministerium und erhielten dort über Ersuchen die Zusage, daß Seine Exzellenz der Ernährungsminister in einigen Wochen persönlich nach Steyr kommen werde, um die Wünsche und Beschwerden der Bevölkerung entgegenzunehmen. Fett. lm 31. August nahm ich an einer Besprechung im Landes¬ virtschaftsamte teil, die unter dem Vorsitze des Statthalterei¬ Vizepräsidenten Grafen Thun stattfand, und der auch der tädt. Amtstierarzt Schopper und Wirtschaftsbeamter Wenger anwohnten. In dieser Besprechung kam ich in erster Linie auf die mangelhafte Fettversorgung Steyrs zu sprechen. Ich legte in der Fettversorgungsfrage gegen die stete Nichtberücksichtigung Steyrs schärfste Verwahrung ein und verlangte, daß die aus dem Bezirke Steyr aufgebrachte Butter durch eine eigene Fett¬ ammelstelle der Stadt Steyr zur Verfügung gestellt wird Der Vertreter der Firma Oppitz, Herr Wagner gab an, daß dies unmöglich sei, da die gesamte auf den Bezir Steyr angelieferte Butter aus der Umgebung von Kremsmünster stammt und mit Wagen nach Wels gebracht wird. Es wurd edoch zugesagt, daß diese Butter von der Fettsammelstelle Wels sofort nach ihrem Eintreffen mittelst Bahn nach Steyr beschafft wird. Ebenso wurde eine nicht unwesentliche Erhöhung der Steyn zugewiesenen Buttermengen zugesagt und ich hoffe, daß diese Zusage auch tatsächlich zur Durchführung gelangt. Sodann wurde die Fleischversorgung zur Sprache gebracht, die seitens des Statthalterei=Vertreters als schwieriges Kapitel bezeichnet wurde leber meinen Vorschlag sagte Herr Statthalterei =Vize¬ präsident zu, selbst in Begleitung einiger Referenten nach Steyr u kommen, um die obschwebenden Verpflegsfragen mit dem tädt. Wirtschaftsrate zu besprechen. Diese Besprechung wird be¬ reits morgen stattfinden und erhoffe ich aus der dadurch ermög¬ lichten unmittelbaren Fühlungnahme des städt. Wirtschaftsrates nit der Statthalterei eine Besserung unserer Versorgungsver hältnisse Holz. Seitens der k. k. Statthalterei wurden auf verschiedenen Lagerplätzen befindliche Holzmengen für die Versorgung der Stadt Steyr beschlagnahmt Nachdem über Einsprache der betroffenen Parteien wieder¬ holt Abänderungen getroffen wurden und das für Steyr be¬ chlagnahmte Holz anderen Orten zugewiesen wurde, obwohl in den betreffenden Erlässen den Parteien kein Rekursrecht zustand, vandte ich mich an die Statthalterei mit dem Ersuchen, das für Steyr beschlagnahmte Holz auch tatsächlich nach Steyr anliefern zu lassen, da sonst die ohnehin äußerst beschränkte Holzversor gung Steyrs noch mehr gefährdet würde Milch. Nachdem Nachrichten einlangten, daß mehrere Gemeinden Niederösterreichs das Bestreben hätten, die Milch nicht mehr nach Steyr, sondern nach Wien zu liefern, habe ich mich sofort an die Bezirkshauptmannschaft Amstetten behufs Abstellung dieses Vorhabens gewendet und dort die Zusage erhalten, daß die Milch wie bisher nach Steyr geliefert werden wird Eier Ferner gestatte ich mir mitzuteilen, daß es voraussichtlich möglich sein wird, durch den Bund deutscher Städte galizische Eier zu erhalten, deren Preis zwar ein verhältnismäßig hoher sein wird, aber doch vielleicht eine Besserung unserer Eierver¬ sorgung herbeiführen dürfte An die oberösterreichische Baugesellschaft habe ich eine Zu¬ schrift gerichtet, in der ich unter Hinweis auf den Umstand, daß bei dem Baue der in der Kompaß= und Bismarckstraße gelegenen zwei Häuser mit der Inneneinrichtung nur Linzer Gewerbe¬ treibende betraut sind, verlangte, daß bei den in der Duckart¬ straße in Erbauung befindlichen Häusern auch Steyrer Gewerbe¬ treibende berücksichtigt werden, die, nachdem sie auch die Ein eichtungen des neuen Krankenhauses in vollkommen einwand. freier Weise bewerkstelligten, gewiß in der Lage sind, voll und ganz den Anforderungen nachzukommen. leber Ersuchen der hiesigen Lehrerschaft fuhr ich mit einer lbordnung derselben nach Linz und stellte diese Abordnung Seine Exzellenz dem Herrn Statthalter vor Der Herr Statthalter, dem ich die mißliche Lage des Lehrerstandes schilderte und die Bitte unterbreitete, einerseits für eheste Sanktionierung des Landesgesetzes betreffend die Rege¬ lung der Lehrergehalte einzutreten und andererseits dahin zu virken, daß die noch immer nicht genügende Erhöhung der Ge¬ halte den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt werde, empfing die Abordnung sehr freundlich und sagte seine mögl.chste Mit¬ virkung zu Bei dieser Gelegenheit nahm ich auch Veranlassung, dem Herrn k. k. Statthalter die Stattgebung des Ansuchens um Er¬ öhung der Verpflegsgebühren im hiesigen allgemeinen Kranken¬ hause ans Herz zu legen Gelegentlich der Anwesenheit in Wien begab ich mich mit Herrn Reichsratsabgeordneten Prof. Erb zum Präsidenten Günther und Generaldirektor Schick der Waffenfabrik und legten wir ihnen das Ersuchen um Unterstützung bei der Er¬ richtung einer Doppelvolksschule in Ennsdorf, ent¬ weder durch Beitragsleistung oder dadurch, daß die Waffenfabril die Schule erbaut, vor. Ich hoffe, daß unser großes industrielles Unternehmen sich jelegentlich der Generalversammlung bereit finden wird, diesem Ersuchen stattzugeben, da diese Schule in erster Linie der die Vorstadt Ennsdorf bewohnenden Waffenfabriksarbeiterschaft zu¬ gute kommt. Ich bitte, diese Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen. Der Bericht wird zustimmend zur Kenntnis genommen Seitens des Herrn G.=R. Prof. Erb wurde mir folgen¬ der Dringlichkeits=Antrag übergeben: Dringlichkeits=Antrag des Gemeinderates Prof. Leopold Erb betreffend die Vieh¬ beschlagnahme in den Bezirken Steyr und Kirchdorf. Seit langem wird in den Bezirken Steyr Land und Kirchdorf bezüglich der Viehanlieferung eine wahre Raub¬ wirtschaft betrieben, die sich bereits auf Milchkühe bis zu 12 Liter Milchergiebigkeit und auch auf hochträchtige Kühe er¬ streckt, entgegen den Erlässen und Vorschriften, die seitens des Ackerbauministeriums ergangen sind. Statt amtlich beeidete, den ziehstand schonende Leute sind Einkäufer mit dem Viehauf¬ aufe betraut, die rücksichtslos sowohl gegen den Landwirt als uch gegen die so sehr schwindenden Viehbestände vorgehen. So wurden wieder vorige Woche im Landbezirke Steyr und in er Gemeinde Wolfern 31 Stück und in Garsten über 40 Stück Vieh, darunter auch Kühe von 8 Liter Milchergiebigkeit, angefordert und zur Schlachtung, unbekannt für wen, abgetrieben. Durch diese unerhörte Ausrottung des Viehes leidet in allererster Linie sowohl die Milch= als auch die Fleischversor¬ gung der Stadt Steyr. Von Woche zu Woche sinken die Milch¬ anlieferungen nach Steyr auf das bedenklichste, so daß fortge¬ etzt Kürzungen in der Abgabe der Milchmengen an die Be¬ völkerung Steyrs stattfinden müssen, ein Zustand, der die bedenk ichsten Folgen für die Ernährung der Bevölkerung, insbesondere er Frauen und Kinder, haben muß. Nachdem die Stadt Steyr ußerdem nur auf die Fleischanlieferung aus den Bezirker Steyr Land und Kirchdorf angewiesen ist, leidet auch, wie be¬ eits bekannt, die Fleischversorgung der Stadt Steyr auf das chlimmste. Mit der Erbitterung in der Stadt über diese Ver¬ hältnisse, läuft gleichzeitig parallel auch die Erbitterung in der Landbevölkerung, die so rücksichtslos ihres Viehstandes beraubt ind behandelt wird. Die Bauern kaufen nicht ein Stück, weil sie Gefahr laufen daß ihnen das angekaufte Vieh genommen wird. Sie können ihren Viehstand nicht mehr erhalten. Die Leute sind apathisch; komme, was kommt! Der Bauer behält sich nur mehr soviel Vieh, als er für sein Anwesen braucht. Man nimmt ihm das Futter weg, er weiß nicht, ob er das wenige Vieh bei solcher Futtermittelentziehung wird erhalten können. Wenn auch die derzeitigen Heuanforderungen bei normaler Heuernte als er¬ räglich bezeichnet werden, so muß bei dem infolge der Dürre bestehenden Ausfall an Krummet jede Inanspruchnahme von Heu, welches allein unsere Nutztiere leistungsfähig über die grünfutterlose Zeit erhalten soll, als unverantwortlich und im inblicke auf die Produktion als verhängnisvoll bezeichnet werden. Die Beunruhigung unserer Landwirtschaft steigt in be¬ denklichstem Maße. Was diese Verhältnisse für die Bevölkerung der Stadt Steyr in der Zukunft bedeuten, wird jedermann be¬ greifen; die Stadt wird systematisch ausgehungert werden. So arf es nicht weitergehen, soll nicht ein schlimmstes Ende baldigst hereinbrechen; eine unvermeidliche Katastrophe steht bevor, wenn nicht unverzügliche und kräftige Abhilfe einsetzt. Während sich zur Anregung der Produktion keine Maßnahmen finden lassen wird vielmehr alles getan und verordnet, um der Produktions“ reudigkeit täglich neue Hemmungen entgegenzustellen und die Leistungen unserer Nutztiere zu drosseln. Nur durch sofortiges Einsetzen einer Verwaltungspolitik, welche in erster Linie die intensivste Produktionssteigerung und Produktionserleichterung ns Auge faßt, kann und muß Abhilfe geschaffen werden, was jedoch nur auf dem Wege der Beiziehung von fachmännischen Beratern erfolgen kann. Förderung der Produktion bedeute Beschickung der Märkte mit Lebensmitteln und gesunde Preis¬ bildung durch das erhöhte Angebot. Die Gefertigten beantragen daher: Der Gemeinderat er Stadt Steyr beschließe, die geschilderten Verhältnisse an zu ständiger Stelle mit allem Nachdrucke vorzuführen und die Re¬ ierung dringendst aufzufordern, die Viehabfuhr aus den Bezirken Steyr Land und Kirchdorf vollständig ein¬

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