Ratsprotokoll vom 20. Oktober 1916

Ferner führt Herr G.=R. Haidenthaller darüber Be¬ chwerde, daß das Mehl und Brot in letzter Zeit in Steyr so schlecht ist, daß es nicht einmal ein gesunder Mensch vertragen kann, geschweige denn ein kranker. Er bitte den Herrn Bürger¬ meister, an zuständiger Stelle dahin vorstellig zu werden, daß Steyr endlich genießbareres Mehl und Brot erhalte. Ein kurzes Stück von Steyr weg, z. B. in St. Valentin, erhalte man ganz gutes Brot. Der Herr Vorsitzende erwidert, daß er sich bezüglich der Güte des Mehles, daß nach Steyr kommt, schon wiederholt beschwert habe. Es sei eben ein Unglück, daß Oberösterreich in normalen Zeiten als fruchtbares Land galt, das reichlich mit seinem eigenen Mehl versorgt wurde, während Niederösterreich eit jeher Zuschübe an Mehl bekommen hat. Dazu ist leider heuer noch die Roggenernte in Oberösterreich durch den vielen langandauernden Regen sehr schlecht ausgefallen. Ein anderer Grund warum man in unserer Stadt oft nicht gerade bekömm¬ liches Brot erhält, sind die unregelmäßigen Mehlzufuhren. An¬ statt daß mit jeder Mehlzufuhr 50% Roggen= und 50% Gersten¬ mehl käme, welches dann die Bäcker zur Brotherstellung in vor¬ schriftsmäßiger Weise vermischen könnten, kommt es oft vor daß Steyr bei den Mehlzuweisungen nur einen Waggon Roggen= und fünf oder sechs Waggon Gerstenmehl erhält. Natürlich ist dann die vorgeschriebene Mischung beider Mehlsorten bei der Brotherstellung nicht erreichbar und die weitere Folge ist, daß die Bevölkerung das sehr ungewohnte und schwer zu verdauende Gerstenmehl erhält. So sei es auch bei der letzten Mehlzufuhr am vergangenen Montag wieder gewesen Auf die sofortige Vorstellung in Linz habe er die Antwort er¬ halten, daß eben dermalen nur Gerstenmehl zur Verfügung stehe. Herr G.=R. Prof. Erb spricht ebenfalls über die Ver¬ schiedenheit und Unregelmäßigkeit der Mehlzufuhren nach Steyr. Es sei aber auch noch eine andere Zufuhr leider sehr unregel¬ mäßig, nämlich die Zufuhr des Mehles in Steyr selbst vom Bahnhofe zu den Händlern und Bäckern. Beispielsweise hätten die Bäcker gestern erst um 9 Uhr abends das Mehl zugeführt erhalten. Selbstverständlich kann dann in der kurzen Herstellungs¬ zeit das Brot nicht entsprechend ausgebacken werden und es wirk dann die Gesundheit des konsumierenden Publikums geradezu gefährdet, da die Bäcker genötigt sind, das Brot noch in warmem Zustande herauszugeben, weil die Bäckerläden von der Bevölke¬ rung nahezu gestürmt werden. Er ersuche den Herrn Bürger¬ meister, Veranlassung zu treffen, daß die Abfuhr des Mehles vom Bahnhofe zu den Bäckern und Händlern möglichst regel¬ mäßig erfolge und dies entsprechend überwacht werde. Er müsse bei der Gelegenheit betonen, daß die Verhältnisse bezüglich der Zufuhr und der Verteilung des Mehles seit der Neuordnung der Dinge, namentlich seit der Anstellung des Lagerhalters, keineswegs besser als bisher geworden sind, wenn man nicht ge¬ radezu behaupten will, daß sogar eine Verschlechterung einge¬ treten sei. Ganz entschieden müsse aber auch er — bezugnehmend auf den eingangs der Sitzung erstatteten Bericht des Herrn Bürgermeisters — gegen jede Beschuldigung der Stadtgemeinde¬ Vorstehung, ihre Mehlverteilungsmaßnahmen hätten sich nicht bewährt und seien unzureichende gewesen, Stellung nehmen und jede solche Anschuldigung als vollständig ungerechtfertigt zurück¬ weisen. Die Stadtgemeinde=Vorstehung Steyr habe im Gegen¬ teil durch 2½ Jahre die Mehlverteilungsmaßnahmen tadellos durchgeführt; für die Unzulänglichkeit und Unregelmäßigkeit der Mehlzufuhren nach Steyr dürfe sie nicht verantwortlich gemacht werden. Herr G.=R. Aigner regt die Errichtung einer Erdäpfel¬ abgabestelle und mehrerer Mehlabgabestellen in Steyrdorf an. Es gehe nicht an, daß sich die gesamte Bevölkerung von Steyr, nsbesondere bei der schon beginnenden kalten Jahreszeit, stunden¬ lang bei der einzigen Erdäpfelabgabestelle auf dem Stadtplatze anstellen müsse. Herr G.=R. Tribrunner unterstützt die Ausführungen des Vorredners. Der Herr Bürgermeister entgegnet, daß er bereits die Errichtung einer Erdäpfelverschleißstelle und zweier Mehl¬ abgabestellen in Steyrdorf angeordnet habe. Für die Butter¬ und Fettausgabe dürften die 17 Ausgabestellen der Stadt ge¬ nügen. Schließlich regt Herr G.=R. Kirchberger an, in einer nächstens einzuberufenden Approvisionierungs=Ausschußsitzung der Frage der „Kundenrayonierung“ durch welche dem lästigen „Sichanstellenmüssen“ bei den Lebensmittelverabreichun¬ gen vorgebeugt werden solle, näher zu treten. Der Herr Vorsitzende entgegnet, daß auch bereits in Steyr die Rayonierungsfrage erörtert und besprochen worden ist und daß die Absicht besteht, auch in Steyr die Rayonierung ersuchsweise einzuführen. Soviel ihm bekannt, habe sich je¬ doch die Rayonierung in anderen Städten, namentlich in Graz, nicht bewährt. Die erste Voraussetzung, um das gewiß sehr unangenehme Anstellen zu vermeiden, ist, daß die zur Ausgabe gelangenden Lebensmittel in genügender Menge vorhanden sind. Wenn genügend Ware da ist, dann regelt sich der Verkehr des kaufenden Publikums mehr oder minder von selbst und hört jedes Andrängen auf. Er erinnere nur an die Ausgabe der Kartoffel bei der Verkaufsstelle auf dem Stadtplatz im vorigen Winter, die bis Ende März anstandslos vor sich gegangen ist. Erst als Ende März die Zufuhr an Kartoffeln nach Steyr zu stocken begann, stellten sich die lästigen Drängereien und das Anstellen der Käufer ein. Herr G.=R. Prof. Erb unterstützt die Ausführungen des Herrn Bürgermeisters und bestätigt deren Richtigkeit. Schließlich gibt der Herr Vorsitzende noch bekannt, er hoffe, daß in den nächsten Tagen wieder mehrere Waggons Kar¬ toffel nach Steyr kommen werden, um wieder für einige Zeit wenigstens die Bevölkerung mit diesem wichtigen Nahrungs¬ artikel versorgen zu können. Da sich hierauf trotz Umfrage niemand mehr zum Worte meldet, schließt der Herr Vorsitzende mit den üblichen Dankes¬ worten für das Erscheinen an die Gemeinderäte den öffent¬ lichen Teil der Sitzung um ¾5 Uhr nachmittags. In der darauf folgenden vertraulichen Sitzung wird dem Waffenfabriksarbeiter Mathias Preitler in besonderer Wür¬ digung seiner ununterbrochenen mehr als 40jährigen Tätigkeit in der Steyrer Waffenfabrik taxfrei das Bürgerrecht der l. f. Stadt Steyr verliehen.

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