Ratsprotokoll vom 21. Juli 1916

2 schwerster wirtschaftlicher Folgen für Stadt und Land bleiben. Ich beantrage daher, auch gegen eine derartige Erschöpfung des Landes Oberösterreich dringendst Stellung zu nehmen. Alfred Schopper m. p., Amtstierarzt Wer von den Herren wünscht zum Gegenstande das Wort?“ Es meldet sich Herr G.=R. Prof. Erb und führt aus: Vor allem müssen wir dem Herrn Bürgermeister dafür danken, daß er die Abhaltung einer Gemeinderatssitzung zwecks Stellungnahme zu dieser wichtigen Frage anordnete Der vom Herrn Bürgermeister verlesene Bericht des Stadt¬ tierarztes ist vorsichtiger gehalten als der Bericht, den uns der Stadttierarzt in unserer Approvisionierungs=Sektionssitzung über die Vorkommnisse in der Landeskommission gegeben hat Für die Versorgung von Steyr haben wir eine ganze Reihe von Gefahren, Gefahren im Lande, Gefahren seitens der Stadt Wien und Gefahren seitens der Sudetenländer. Die größte Gefahr liegt aber in der Behandlung der Alpenländer durch die Faktoren, welche Vieh beanspruchen. Wir müssen uns zuerst vorstellen, wer Vieh in unserem Staate braucht. Vor allem ist es die Armee, welche mit Viel versorgt werden muß. Da liegt nun die Sache so: Der Kriegs¬ minister spricht z. B. 100.000 Stück Vieh im Monate an; dies nüssen auf die einzelnen Länder aufgeteilt werden. Diese Auf¬ teilung erfolgt durch das Ackerbauministerium Bis jetzt sind die österreichischen Alpenländer fast allein an dieser Heeresviehlieferung beteiligt gewesen. Oberösterreich ist, was auch im tierärztlichen Berichte angeklungen wird, dami außerordentlich schwer belastet worden. Oberösterreich versügte zu Beginn des Krieges über einen Rinderstand von run 500.000 Stück; es sollte aber jetzt für den Monat Juli 23.000 Stück liefern, obwohl es schon geraume Zeit ohnehin Militär lieferungen hatte. Von Böhmen dagegen mit dem viermalsogroßen Rind¬ viehstand von rund 2,000.000 werden nur 35.000 Stück für den Monat Juli angesprochen. Böhmen müßte wenn es gleich be¬ handelt würde wie Oberösterreich, 100.000 Stück liefern; so aber liesert es nur ½ im Verhältnis zu der Viehmenge, die von Oberösterreich angefordert wird. Gegen diese ungerechte und un¬ verhältnismäßige Belastung der oberösterreichischen Viehzucht muß bei uns alles in Oberösterreich Stellung nehmen. Denn die Folgeerscheinungen dieser argen Belastung der oberöster¬ reichischen Viehzucht sind nach allen Seiten hin böse. Es ist über Protest der Landeskommission die angesprochene Summe von 23.000 Stück zuerst auf 16.000 und jetzt auf 11.000 Stück herabgesetzt worden, jedoch mit dem Bemerken, daß die anzu¬ ordernde Menge, sobald das Vieh von der Weide kommt, wieder erhöht werden wird Die Armeeleitung erklärt, daß sie auf die Verteilung des angeforderten Viehes auf die einzelnen Länder keinen Einfluß nehme; dafür habe nur das Ackerbauministerium zu sorgen. An der Spitze des Ackerbauministeriums steht Minister Dr. Zenker, ein Tscheche. Ich meine, daß die Sudetenländer dadurch eine bevorzugt Stellung haben. Begreiflicherweise werden sich die Deutschen in den Sudetenländern gegen diese Schonung Böhmens bei der Viehlieferung auch nicht auflehnen. Wir sind daher auf uns selbst angewiesen und müssen uns gegen jede stärkere Belastung aus Not wehren. Damit wäre kurz die Fleischfrage an sich dargestellt. Aber wir müssen weiter erwägen: Was ist die Folgeerscheinung des Aufbrauchens unserer Viehstände bis zur bedenklichsten Leerung unserer Ställe? Ich bin, was ja die Herren wissen, kein Agrarier; trotzdem finde ich es recht, daß in den landwirtschaft ichen Genossenschaftskassen das Geld bedeutend gewachsen ist und ebenso die Einlagen in den Sparkassen gestiegen sind. Man muß eben auch einen Blick in die Zukunft machen. Dieses Geld ist größtenteils Geld für verkauftes Vieh, für verkaufte Wägen, ogar Milchwägen, für verkaufte Pferde, für landwirtschaftliche Erzeugnisse usw., was alles für teures Geld verkauft wurde, aber für noch teueres Geld nach Kriegsschluß wieder angekauft werden muß. Deshalb ist die Viehzurückhaltung der Sudetenländer leich zu verstehen. Wenn in den Alpenländern nach Schluß des Krieges die Biehzucht wieder in die Höhe gehen soll, so wird so manches Stück Vieh, welches in Böhmen in den fendalen und anderen Stallungen geblieben ist, von unseren Bauern zu hohem Preis jekauft werden müssen, es wird ein bedeutender Rückschlag er¬ olgen; das Geld, welches unsere Landwirte jetzt erworben haben, wird nach Böhmen abfließen. Daran reiht sich aber noch eine zweite Gefahr. Ein Teil jener Bauern, welche nicht imstande waren, das erworbene Geld aufzubehalten, wird die Geldpreise ür das aus den Sudetenländern teuer angekaufte Vieh nicht aufbringen können, wird von Haus und Hof gehen müssen und in die Stelle der deutschen Bauern werden sich die durch den Krieg geschonten sudetenländischen Landwirte, Nichtdeutsche, im deutschen Bauernhofe niederlassen. Ich sehe also nicht nur eine wirtschaftliche Ge¬ fahr für die Alpenländer voraus, sondern auch eine Gefahr in nationaler Beziehung Nun zeigt man aber an maßgebender Stelle — ich weiß nicht, ob absichtlich oder unabsichtlich — dafür kein Verständnis. Die Alpenländer sind durch den Krieg am härtesten mitgenommen vorden. Die Leute sind weg, das Vieh kommt weg und auf diese Art und Weise sehen wir, wie drohend die geschilderte Ge¬ fahr ist und wie sie von Monat zu Monat steigt, wenn nicht sofort mit möglichster Schonung der Alpenländer und mit Rück¬ sicht auf die bereits gebrachten Opfer der Alpenländer seiten er Regierung vorgegangen wird. Die Alpenländer verdienen eine solche schonende Behandlung, weil sie mit in erster Linie für den Staat Leben und Gut eingesetzt haben Ich meine, daß gerade dieser Punkt in einer entsprechen¬ in en Form in der Petition, über welche der Gemeinderat einer heutigen Sitzung noch beschließen soll, aufzunehmen sein wird. Der Gemeinderat muß sich dagegen wehren, nicht allein der Bauern wegen, deren Sache es ja auch sein wird, sich selbst dagegen zu wehren, sondern vor allem der städtischen Bevölke ung wegen, weil die Stadt als solche mit einem Rückgange der andwirtschaft in ihrem Einkommen schwere Einbuße leidet; Kkonsumenten und vielfach auch der Gewerbestand sind auf die Bauernschaft angewiesen. Pflicht des Gemeinderates erscheint es nir, hiezu entsprechend Stellung zu nehmen Ich habe bisher bezüglich des Viehes und bezüglich der Zukunft gesprochen. Nun, meine sehr geehrten Herren, betrachten wir aber die Jetztzeit. Wie sieht es schon jetzt mit der Butter¬ und Milchversorgung aus? Mit einer Milchkuh gehen täglich mindestens 5—10 Liter Milch und darüber hinaus verloren. Wenn man nun die An¬ ahl der angeforderten Kühe mit der Zahl der Liter Milch, die in einem Tage verloren gehen, multipliziert so kommt eine beträchtliche Zahl von Litern Milch heraus. Wir gehen täglich weiter zurück und werden zu Ende des Monates täglich um 5000 Liter weniger Milch haben, wo wir doch ohnedies schon etzt viel zu wenig haben. Welcher Verlust an Butter ist weiter mit der großen Viehabgabe Oberösterreichs verbunden! Wer die Drängereien bei der Ausgabe der Butteranweisungen bei uns in Steyr mitansieht, der wird sagen, daß wir schon jetzt in einen ehr üblen Lage bezüglich der Butterversorgung angelangt sind. lluch in der Butterfrage sehen wir, wie schwer die Städte leiden und namentlich Steyr infolge seiner ungünstigen geographischen Lage und seiner so stark erhöhten Bevölkerungsziffer. Auch von diesem Standpunkte müssen wir gegen die bei der Viehlieferung verlangte so große Inanspruchnahme der oberöst. Landwirtschaft Stellung nehmen und an maßgebender Stelle darauf hinweisen aß wir mit Butter und Milch ohnedies schon jetzt weitaus nicht mehr auskommen. Wenn schon von Butter und Milch hier die Rede ist, so will ich auch über die Eierfrage einige Worte erlieren. Da zeigen sich nun zwei Erscheinungen, welche von wesentlicher Bedeutung sind. licht nur daß uns das Vieh verloren geht, sehen wir bei der Milch=, Butter= und Eierfrage zwei böse Nebenbuhlerschaften Die eine, nächstliegende Nebenbuhlerschaft ist Linz. Die Stadt Linz ist bekannt durch ihre Eigensucht und Rücksichtslosigkeit in Fragen, welche andere Orte Oberösterreichs betreffen, wenn eigen Interessen die Stadt Linz leiten. Linz ist auch in den Nahrungs¬ mnittelfragen rücksichtslos gegen die anderen Orte. Linz hat es verstanden, den politischen Bezirk Linz=Land für sich fast allein in Beschlag nehmen zu lassen. Die Linzer scheuen sich aber gar nicht, auch über den Bezirk Linz=Land hinauszugehen und in unsere Gegend, nach Gleink, Wolsern usw., hereinzukommen. Wenn Linz nur an sich denkt, so ist das immerhin verzeihlich; in altes Sprichwort sagt, daß jeder sich selbst der Nächste sei. Daß aber ein Vizebürgermeister von Linz in einer Sitzung der Landeskommission in der schärfsten Weise gegen die Forderungen der Stadt Steyr Stellung genommen hat, das ist unverzeih¬ ich. Was ist das für eine Art des Auftretens! Wieviel Vieh Eier und Butter die Stadt Steyr braucht, das geht den Vize¬ bürgermeister von Linz gar nichts an. Wie kann er überhaupt üiber die Bedürfnisse und Forderungen Steyrs Kritik üben! Er ätte entweder schweigen oder sich der Stadt Steyr annehmen ollen. Ich ersuche den Herrn Bürgermeister hier in öffentlicher Sitzung, sich über dieses Auftreten des Vizebürgermeisters der Stadt Linz beim Gemeinderate der Stadt Linz zu beschweren denn es hört sich doch alles auf, wenn der Vizebürgermeister on Linz, nachdem Linz den ganzen politischen Bezirk Linz¬ Land für sich und noch andere Bezirke hat, in Gegenwart des Vertreters der Statthalterei, des Vizepräsidenten Graf Thun, in Gegenwart des Vertreters des Ackerbauministeriums, der sich dann teilweise den Ausführungen des Linzer Vizebürgermeisters angeschlossen hat, in Gegenwart des Vertreters der Stadt Steyr und in Gegenwart des Vertreters der Landwirtschaft so redet, ls ob Steyr nichts mehr brauchen würde und ohnehin genug hätte. Das ist ein Vorgehen, das wir uns nicht gefallen lassen dürfen Jetzt werden die Herren begreifen, warum unsere Be¬ mühungen, eine Vereinigung der oberösterr. Städte zur gemein¬ amen Vertretung der Konsumenten=Interessen zu schaffen, ge¬ scheitert sind. Linz hat dazu keinen Finger gerührt, weil es an ich allein denkt und über die Bedürfnisse der anderen Orte infach hinweg geht. Was geht es den Vizebürgermeister der Stadt Linz an, wenn wir mit vollem Rechte 8) Stück Rinder und eine entsprechende Menge Eier und Butter für den Monat erlangen? Gegen das Vorgehen dieses Vizebürgermeisters müssen wir energisch Protest einlegen; und das soll auch den Herren in Linz zu Wissen gemacht werden Das ist die eine Schwierigkeit im Lande selbst Die zweite Schwierigkeit, die uns begegnet, ist folgende. In allen den gegenständlichen Verhandlungen finden Sie, meine sehr verehrten Herren, den Standpunkt, daß vor allem

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