Ratsprotokoll vom 16. Juni 1916

2 Das Schiedsgericht wurde in der Weise bestellt, daß jede Partei einen, in beonders wichtigen Fällen zwei Schieds¬ richter ernennt und diese einen Obmann wählen. Beamte und Bedienstete der Gasfabrik, sowie Ge¬ meinderäte und Angestellte der Stadtgemeinde durften dem Schiedsgerichte nicht angehören. Beide Teile erklärten, daß sie es unveränderlich beim Ausspruche dieses Schiedsgerichtes bewenden lassen und ver¬ zichteten ausdrücklich auf das Recht, irgend eine Beschwerde oder Berufung wider den Ausspruch des Schiedsgerichtes zu führen oder Einwendungen einzubringen, es sei denn im Falle eines erweislichen Betruges Vorstehend auszugsweise gebrachten Vertragsbestim mungen sind mit dem Tage der Eröffnung des Gaswerkes, das ist am 24. August 1867, in Kraft getreten. I. Vertragsverlängerung m 8. November 1873 wurde der Gasvertrag als Ge¬ genleistung für die auf Kosten der Gasgesellschaft durch¬ geführte Beleuchtungs=Einrichtung der Vorstadt Aichet um weitere 15 Jahre, somit bis 1912, in allen seinen Teilen verlängert Ich will nun im Kurzen jene Vorfälle streifen, die zu dem Streite zwischen Stadtgemeinde und der Gasgesell schaft führten. Anfangs der Neunzigerjahre machte sich in der hiesi¬ gen Bevölkerung wegen der hohen Gaspreise etc. eine Miß timmung gegen die Gasgesellschaft geltend. In einer Versammlung der Gastwirtegenossenschaft am 9. November 1892 kam auch die schon lange auf der Tagesordnung stehende Gasfrage zur Sprache Es wurde einstimmig beschlossen, an die Gasanstalt das Ansuchen zu stellen, den Preis des Gases pro Kubik¬ neter von 16 Kreuzer auf 12 Kreuzer herabzusetzen und, wenn den Wünschen der Gaskonsumenten nicht entsprochen verden sollte, eine andere Beleuchtung einzuführen. Die Gasgesellschaft hat auf diese Eingabe unter an derem wie folgt geantwortet: Von einer Ermäßigung des jetzigen Gaspreises von 15.9 auf 12 Kreuzer pro Kubikmeter kann entschieden keine Rede sein und müßten wir es darauf ankommen lassen, so und so viele Konsumenten zu verlieren Um Ihnen aber, soweit es in unserer Möglichkeit liegt entgegenzukommen, erbieten wir uns dazu bereit, den Gas¬ reis vom 1. Dezember l. J. an, versuchsweise und ohne Ver¬ bindlichkeit für eine Zeitdauer auf 14 Kreuzer pro Kubik¬ meter zu ermäßigen Die Herren Konsumenten, die unsere Auseinander¬ etzungen würdigen und dieses unser Entgegenkommen an¬ rkennen, werden sich des Gases weiter bedienen; diejenigen aber, die damit nicht befriedigt sein wollen, mögen es mit Petroleum=Beleuchtung versuchen.“ Dieses Schreiben hat in den Interessentenkreisen ge wissen Unmut erweckt und ist auch ein Großteil der Gas¬ abnehmer wieder zur Petroleum=Beleuchtung zurückgekehrt. Eine Deputation der Gaskonsumenten sprach nun bei der Waffenfabrik vor, welche die weitestgehende Förderung der Einführung der elektrischen Beleuchtung zusagte. Es vurde ein Komitee zur Errichtung einer elektrischen Be¬ euchtungsanlage eingesetzt, dessen Vorarbeiten zur Errich¬ tung einer elektrischen Zentralstation in Steyr führten Mit gemeindeämtlicher Erledigung vom 6. Juli 1893 vurde der Waffenfabriks=Gesellschaft der Bau einer elektri¬ schen Zentralstation in Steyr bewilligt und am 6. Dezem¬ ber 1893, auf Grund der mit Gemeinderatsbeschluß vom 5. September 1893 vorausgegangenen, auf Widerruf er¬ eilten Genehmigung, die Befugnis für Errichtung elektri¬ scher Leitungsanlagen in den öffentlichen Gassen und Plätzen der Stadt an die Zentralstation der Waffenfabrik erteilt Bei der über Ansuchen der Waffenfabrik um Ge¬ nehmigung der projektierten elektrischen Zentralstation vor¬ genommenen Kollaudierung gestattete die Stadtgemeinde, gegen jederzeit vorbehaltenen Widerruf, daß die Leitungs¬ inlagen über die öffentlichen Straßen und Plätze geführ werden, wogegen die Gasgesellschaft Einsprache erhob, wel¬ her Einspruch aber von der Stadtgemeinde als unbegrün¬ det zurückgewiesen wurde. Nach durchgeführter Kollaudierung der Elektrizitäts¬ werke vereinigte sich eine große Anzahl von Konsumenter und Förderern der elektrischen Beleuchtung am Samstag den 30. Dezember 1893 in Feigls Kasino, das zum erstenmal von elektrischem Lichte erhellt war, um die Einführung der neuen Beleuchtung festlich zu begehen Die Inbetriebsetzung der elektrischen Beleuchtung er¬ olgte am 31. Dezember 1893 Mit Kaufvertrag vom 28. August 1894 ging nun der Besitz der elektrischen Zentralstation an die mittlerweile kon¬ tituierte Aktiengesellschaft der Elektrizitätswerke in Steyr über und mit Uebertragungsurkunde vom 29. Novem¬ ber 1895 übernahm die Aktiengesellschaft „Elektrizitätswerke in Steyr unter Kenntnisnahme der Stadtgemeinde alle aus den dieser Zentralstation erteilten Befugnissen erwachsenden Rechte und Pflichten. Leider konnte sich dieses Unternehmen nicht lange sei¬ nes ungetrübten Bestehens erfreuen Die Gesellschaft für Gasindustrie in Augsburg hatte die Bewilligung, welche der Gemeinderat zur Anlage von elektrischen Stromleitungen über die Plätze und Straßen der Stadt und der Vorstädte erteilte, als einen Bruch des mit der Stadtgemeinde abgeschlossenen Vertrages angesehen und zur Austragung dieses Streites die Einberufung des ein¬ gangs erwähnten Schiedsgerichtes verlangt Dasselbe hatte sich am 10. März 1894 konstituiert und estand aus folgenden Herren, und zwar für die Gasgesell¬ chaft Dr. Josef Frühwald und Dr. Ludwig Lichtenstern aus Wien, für die Stadtgemeinde Steyr Dr. Alois Troyer und Oberingenieur Rudolf Wiesmayr. Zum Obmann wurde Dr. Moritz R. v. Eigner aus Linz gewählt Das Urteil dieses Schiedsgerichtes ist, wie ja bekannt, ür die Stadtgemeinde ungünstig ausgefallen Die Stadtgemeinde wurde verhalten, die von ihr er¬ teilte Bewilligung zur Führung der Stromleitungen der Elektrizitätswerke über öffentliche Plätze und Straßen dahin zu widerrufen, beziehungsweise einzuschränken, daß diese Stromleitungen nicht zur Abgabe von Beleuchtung an Pri¬ ate verwendet werden, sowie der Gesellschaft für Gas¬ industrie allen infolge der erwähnten Bewilligung vom 5. September 1893 bereits verursachten und noch erwachsen¬ den Schaden zu ersetzen. In der Gemeinderatssitzung vom 18. Dezember 1894 vurde nun beschlossen, gegen das Urteil des Schiedsgerichtes om 27. November 1894 die Anfechtungs=(Nullitäts=) Klage inzubringen und die Aktiengesellschaft der Elektrizitätswerke Steyr zur Zahlung einer eventuellen Entschädigung an die Gasgesellschaft heranzuziehen Die Klage wurde beim hiesigen k. k. Kreisgerichte über¬ reicht und auch angenommen. Die Gasgesellschaft hat gegen die von der Stadtgemeinde Steyr eingebrachte Nullitätsklage an das Oberlandesgerich Wien rekurriert, wurde aber abgewiesen. Dagegen ergriff die Gasgesellschaft den außerordentlichen Rekurs an den Obersten Gerichtshof, aber auch bei dieser höchsten richter¬ lichen Instanz erzielte die Gasgesellschaft keinen Erfolg. Der Herr Bürgermeister hatte sich mittlerweile über Beschluß des Gemeinderates bemüht, einen Ausgleich zu¬ stande zu bringen, wurde aber von der Gasgesellschaft mit dem Bemerken abgewiesen, daß es Sache der Stadtgemeinde ei, ihrerseits mit Vorschlägen heranzutreten. Zur Ausarbeitung derselben wurde nun ein Komitee estehend aus den Herren Dr. Hochhauser, Stigler, Löhnert, Erb, Lintl, Peteler und Anton von Jäger gewählt, welchem es nach langwierigen Verhandlungen gelang, einen Ausgleich zustande zu bringen, der freilich für die Stadt nichts weniger als günstig bezeichnet werden kann Die wichtigsten Bestimmungen, dieses Vertrages vom 11 Februar 1896 lauten „Das in dem zwischen der Stadtgemeinde Steyr und er Gesellschaft für Gasindustrie in Augsburg obschwebenden Beleuchtungsprozesse gefällte schiedsgerichtliche Urteil vom 27. November 1894 besteht in allen seinen Teilen zu Recht, dasselbe wird jedoch nicht vollzogen, sondern der gegen wärtige Vergleich an Stelle desselben gesetzt, und zieht der Bemeinderat von Steyr infolge dieses Ausgleiches die gegen das schiedsrichterliche Urteil eingeleitete Anfechtungsklage nach Rechtskräftigwerden dieses Vertrages zurück. S 2. Das widerrechtlich zu Beleuchtungszwecken in Steyn errichtete Elektrizitätswerk der Aktiengesellschaft Elektrizitäts¬ verke kann in seiner jetzigen Ausdehnung, und zwar nach dem Stande vom 9. Dezember 1895 bestehen bleiben. § 3. Die Aktiengesellschaft Elektrizitätswerke kann an alle jene Privaten und deren Besitznachfolger, welche schon bis zum 9. Dezember 1895 elektrischen Strom zu Beleuchtungs¬ zwecken bezogen haben, solchen auch in Hinkunft liefern. Da¬ gegen ist den Elektrizitätswerken Steyr — vom 9. Dezember 895 angefangen — untersagt, neue Beleuchtungsanlagen bei olchen Privaten in Steyr zu installieren und denselben elek trischen Strom zur Beleuchtung zu liefern, welche bis 9. De¬ zember 1895 noch keine Konsumenten des elektrischen Lichtes waren Diese Bestimmungen haben während der ganzen Dauer des Gasvertrages, also bis Ende 1917, ihre volle Gültigkeit. S 4. Die Einhaltung der im § 3 zugunsten der Gesellschaft ir Gasindustrie festgesetzten Bedingungen garantiert der Gemeinderat als beschlußberechtigtes Organ der Stadt¬ gemeinde Steyr. § 5. Als Ersatz für die Verluste, welche die Gesellschaft für Gasindustrie durch das Elektrizitätswerk bisher erlitten hat

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