Ratsprotokoll vom 18. Februar 1915

Es wird notwendig sein, die Bevölkerung darüber zu in¬ formieren, wie es sich mit diesem Bezuge von Mehl auf Grund der Bezugscheine verhalten wird. Es wird dagegen von einzelnen Einspruch erhoben werden. es werden sich manche damit nicht zufrieden geben. Man wird sich darüber aufhalten, daß das Ausmaß viel zu knapp bemessen sei. Die Gemeinde ist dazu berufen und verpflichtet, für die ge¬ samte Bevölkerung zu sorgen. Die Gemeinde tut es auch. Es ist elbstverständlich erforderlich, daß sich auch jeder einzelne ein¬ schränkt und mit einem geringeren Quantum Mehl begnügen muß, als er es bisher vielleicht gewohnt war. Wenn auch das Quantum, welches auf den Kopf entfällt, etwas knapp bemessen ist, so können wir doch den Mitbürgern die Versicherung geben, daß nur dadurch für alle gesorgt werden kann. Die Gemeindevertretung ist die Körperschaft, welche ohne eden Unterschied der Parteizugehörigkeit dazu berufen ist, für die Approvisionierung der Stadt zu sorgen. Was an der Ge¬ meindevertretung liegt, ist bisher geschehen und wird auch weiter geschehen. Die Bevölkerung muß aber ihrerseits volles Vertrauen in die Tätigkeit der Gemeindevertretung setzen und an der Appro¬ visionierungsarbeit selbst mithelfen. So schließe ich denn mit dem Appel an die Bevölkerung, den Gemeinderat in der Bestrebung, für die Approvisionierung der Stadt zu sorgen, nach besten Kräften zu unterstützen.“ Herr G.=R Prof. Erb betont, der Bericht des Bürger¬ meisters und des Approvisionierungsausschusses zeige, daß die Gemeinde = Vorstehung und der Gemeinderat in den schwierigen Ernährungsfragen der Bevölkerung mit Umsicht und Tatkraft vorgegangen sind. Leider sei der Wirkungskeis des Bürger¬ meisters und des Gemeinderates der Stadt Steyr nur ein sehr beschränkter. Die maßgebendsten Kreise Oesterreichs haben ihre Verantwortung und ihre Pflicht zu geeigneten Taten auf die 17 Landespräsidenten und Statthalter und diese wiederum auf die Bezirkshauptleute und Bürgermeister der autonomen Städte überwälzt. Auch die Landbürgermeister versuchten sich verschiedene Rechte beizulegen. Von einer so notwendigen einheitlichen Führung durch die Zentralstellen Oesterreichs war und ist nichts zu spüren, und wenn etwas geschah, war es um Monale zu pät. Der österreichische Ministerpräsident kann sich übrigens nur sehr schwer helfen und bewegen. Er regiert, der ungarische Mi¬ nisterpräsident aber dirigiert nicht nur Ungarn, sondern auch Oesterreich. Der Dualismus hat sich wiederum sehr schlecht bewährt. Wenn Herr G.=R. Wokral von der grünen Fahne auf den österreichischen Ministerien gesprochen hat, so habe er dabei zwei zugehörige Farben übersehen, rot und weiß, denn die Fahnenfarbe über den österreichischen Ministerien sei jeßt rot¬ weiß=grün. Jenseits der Leitha hege man in der Nahrungs¬ mittelfrage keine bundesbrüderlichen Gefühle für Oesterreich, dem man den Brotkorb möglichst hoch zu hängen suche. Gewisse große und hohe Herren dort wissen schon warum. Die freie Einfuhr und Aufhebung der Zölle auf Getreide, die Festsetzung der Höchstpreise und der möglich gewesene Getreidebezug aus Amerika wurden solange verzögert, bis nichts mehr eingeführt werden konnte. Besonders beklagenswert sei die bedenkliche Tatsache, daß man in Oesterreich die Konsumenten und deren Vertreter nicht hören will und nicht zu Worte kommen läßt. Während in allen anderen kriegführenden Staaten die Volksvertretungen einbe¬ rufen wurden, Reichstage, Parlamente und Landtage, sogar in Rußland die Duma und in Ungarn der Reichstag, müssen der Reichsrat und die Landtage in Oesterreich vollständig schweigen. Unser namenloser Staat hat seit März 1914 keine Vertretung. Nicht eimal Städtetage konnten zusammentreten. Die Regierung scheint sich der ganz falschen Meinung hinzugeben, nur sie wisse alles und könne allein das Richtige tressen. Dabei werde der altbekannte Schimmel immer blinder und lahmer. So komme es, daß jede Stadt, jeder Bezirk sich selber helfen müsse nach eigenem Gutdünken und eigener Vorsicht. Gute Ratschläge, Auf¬ forderungen zur Sparsamkeit und Kochrezepte seitens der Mi¬ nisterien sind durchaus keine halbwegs genügenden Maßregeln und der einheitliche Zwang und die einheitliche Versorgung durch die Zentralgewalten sind das einzige Mittel zur Regelung und Ordnung und zum leichten Durchhalten, wozu ein tatkräftiges Verhalten auch gegenüber Ungarn gehört. Zu allem aber braucht man in diesen ernsten Zeiten unbedingt auch die beiseite ge¬ schobenen Volksvertretungen. Das Deutsche Reich bereitet sich schon seit langer Zeit kraftvoll für die nächste Versorgung mit Frühkarloffeln und Gemüse vor. Alle Oedländereien werden bearbeitet und vorbe¬ reitet; wo es möglich ist, sind Dampfpflüge zu Hunderten in Verwendung und Hunderte von Kartoffel=Trocknenapparaten zur Erzeugung von Kartoffelmehl stehen in Tätigkeit. Die Ver¬ eilung von Nahrungsmitteln wurde lange schon geregelt; jedes Stückchen Land wird ausgenützt. Ob unsere großen Herrschaften dies auch tun werden, ist noch nicht bekannt. Bei uns fehlen zu oft die richtige Einsicht, der gute Wille usd die rechtzeitige Vor¬ bereitung auf allen Gebieten der Vorsicht und der Wohlfahrt. Alles geht so langsam und schwerfällig, ohne Fühlungnahme mit berufenen Kreisen aus dem Volke In hohen Kreisen scheut man eden kraftvollen Schritt und in vielen Dingen das Stirnrunzeln der Machthaber jenseits der Leitha. Ueber meine Anregungen im Approvisionierungsausschusse, betreffend die Ausnützung des Grund und Bodens zu Kartoffel¬ und Gemüsebau, besonders von Frühsorten und des Straßen¬ düngers hat bereits der Referent des Ausschusses berichtet. Jedes Stück halbwegs brauchbarer Bodenfläche muß möglichst ausge¬ nützt werden. Kartoffel und Gemüse werden als Ersatz in den späteren Frühjahrsmonaten höchst wichtig werden. Wenn viele anbauen und ernten, können tausende von Kilogrammen Nahrungsmittel zur gemüselosen Zeit gewonnen werden und ausgiebig aushelfen. Hier könnte auch der Verein der Gartenfreunde eingreifen. Dem Bürgermeister sind wir aber alle im Gemeinderate und auch die gesamte Bevölkerung für sein außerordentliches Verständnis, für seine Umsicht und für seine Tatkraft in diesen schwereu ernsten Zeiten, insbesondere auch in den Nahrungs¬ mittelversorgungsfragen zu größtem Danke verpflichtet. Wenn G.=R. Wokral die Bevölkerung in Anbetracht der Vorkommnisse am heutigen Wochenmarkte zur Besonnenheit, Ruhe und Ordnung ermahnt hat, so gebe ich ihm recht. Wenn gegenüber der marktbesuchenden Landbevölkerung keine Einsicht herrscht und ihr feindlich begegnet wird, kann die [Möglichkeit und Gefahr einer immer schwächer werdenden Wochenmarkts¬ beschickung eintreten, was die schlimmsten Folgen für die gesamte Bevölkerung haben würde, da dann fast nichts mehr herkommt. Die Landgemeindenbezirke sind sicher bis in den August hinein versorgt. Wir hoffen und erwarten, daß auch unsere Stadt mindestens ebenso lange keine nennenswerte Not leiden wird und die Bevölkerung der Stadt bei Sparsamkeit und ver¬ nünftigem Haushalten ihr bescheidenes Auslangen finden wird. Auch mit den Schlußausführungen des G.=R. Wokral, betreffend das gemeinsame Zusammenwirken ohne jeden Unterschied der Parteizugehörigkeit, bin ich vollständig einverstauden; wir werden zusammen durchhalten. (Beifall.) Nach Erledigung der Tagesordnung erstattet Herr GR. Franz Kirchberger einen kurzen Bericht über die Tätigkeit des Meister¬ ateliers Blümelhuber. Schließlich teilt noch der Herr Bürgermeister mit, daß er morgen mit den Herren Gemeinderäten Wöhrer und Wokral nach Linz fahren werde, um dort abermals in Approvisionierungs¬ angelegenheiten bei der Statthalterei und beim Landeskulturrate vorzusprechen. Hierauf wird die öffentliche Sitzung um 4 Uhr 30 Minuten geschlossen. In der darauffolgenden vertraulichen Sitzung werden die Punkte 1, 2 und 3 der Tagesordnung behandelt. Punkt 1. Personalien. Dem Primararzte im St. Annaspitale Herrn Sanitätsrat Dr. Viktor Klotz wird für die Dauer seines alleinigen Wirkens in der Pflege der Verwundeten im St. Annaspitale eine monat¬ liche Remuneration ab 1. September 1914 zuerkannt. Der städtischen Polierswitwe Anna Bergmayr wird die ge¬ setzliche Witwenpension und der städtischen Kanzleiadjunktenswaise Marie Großauer die gesetzliche Waisenpension angewiesen. Punkt 2. Die ausgeschriebene Stelle eines Maschinen¬ wärters für das neue Krankenhaus wird dem Bewerber Wolfgang Eder verdiehen. Punkt 3. In den Gemeindeverband der l. f. Stadt Steyr wurden aufgenommen: Czerny Johann samt Frau und 5 Kindern, Gruber Josef samt Frau und 2 Kindern, Klienent Josef samt Frau und. 2 Kindern, Mutzik Wenzel samt Frau und 1 Kind, Punschuh Rudolf samt Frau, Tranner Josef samt Frau und 5 Kindern, Urjgl Heinrich samt Frau und 1 Kind, Vor¬ derwinkler Markus samt Frau und 2 Kindern. Schluß der Sitzung um 5 Uhr nachmittags.

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