Rats-Protokoll über die außerordentliche Sitzung des Gemeinderates der k. k. l. f. Stadt Steyr am Donnerstag den 30. Juli 1914. Tages=Ordnung: Stellungnahme zu der anläßlich der Mobilisierung drohenden Lebensmitteltenerung. Gegenwärtig: Vorsitzender: Herr Bürgermeister Julius Gschaider; Vor¬ sitzender=Stellvertreter: Herr Vizebürgermeister Paul Fendt; die Herren Gemeinderäte: Heinrich Ammerstorfer, Heinrich Bach¬ mayr, Wilhelm Denkmayr, Otto Dunkl, Ferdinand Gründler, Leopold Haller, Franz Hofer, Josef Huber jun., Franz Kattner, Franz Kirchberger, Anton Kurz, August Mitter, Viktor Ortler, Franz Schwertfelner, Franz Tribrunner, Karl Wöhrer, Josef Wokral. Der Schriftführer: Herr Konzeptspraktikant Alfred Edel¬ mayer. Entschuldigt abwesend sind die Herren Gemeinderäte: Franz Aigner, Ludwig Binderberger, Gottlieb Dantlgraber, Leopold Erb, Josef Haidenthaller, Dr. Karl Harant jun., Josef Langoth, Anton Sighart. Der Herr Vorsitzende begrüßt die erschienenen Herren Gemeinderäte, stellt die Beschlußfähigkeit des Gemeinderates fest und erklärt die Sitzung um 4 Uhr nachmittags für eröffnet. Zu Verifikatoren dieses Protokolles werden die Herren Ge¬ meinderäte Viktor Ortler und Franz Schwertfelner gewählt. Hierauf teilt der Herr Vorsitzende mit: „Seitens der k. k. o.=ö. Statthalterei in Linz ist an die Stadtgemeindevorstehung Steyr eine Zuschrift eingelangt, in welcher ausgeführt wird, daß infolge der Anordnung der teil¬ weisen Mobilisierung die Festsetzung von Maximalpreisen für die notwendigsten Lebensmittel dringend geboten erscheint. Die Statthalterei beauftragt in dieser Zuschrift die Stadtgemeinde¬ vorstehung, unverzüglich den Gemeinderat zu einer Sitzung ein¬ zuberufen, in welcher bezüglich der Höhe solcher Maximalpreise für die wichtigsten Artikel beraten werden solle. Die diesfalls gefaßten Beschlüsse des Gemeinderates sind dann sofort als Vorschläge an die Statthalterei zu berichten; denn nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung ist nur die Statthalterei selbst zur Festsetzung von Maximaltarifen kompetent. Die in Frage kommenden Gewerbegenossenschaften werden seitens der Statthalterei direkt einvernommen werden. Ich habe deshalb eine außerordentliche Sitzung des Ge¬ imeinderates und zuvor noch eine Sitzung des Approvisionierungs¬ [Ausschusses einberufen. Die in der soeben abgehaltenen Appro¬ wisionierungs= Ausschuß=Sitzung gefaßten Beschlüsse wird dann Herr G.=R. Bachmayr dem Gemeinderat berichten. Ferner bitte ich zur Kenntnis zu nehmen, daß ich anlä߬ llich der durch die angeordnete Mobilisierung hervorgerufenen aaußergewöhnlichen Lage eine Reihe von Kundmachungen an die Bevölkerung erlassen habe. Weiter habe ich direkt an das Ministerratspräsidium in Wien ein Telegramm wegen Herabsetzung der Einfuhrzölle auf Getreide, Mehl, Vieh und Fleisch abgesendet und gleichzeitig der Statthalterei darüber mit dem Ersuchen berichtet, dieses Be¬ giehren um Herabsetzung der Zölle zu unterstützen. Schließlich erlaube ich mir bekanntzugeben, daß Frau Zäzilia Scheibl für den Spitalsbaufond einen Betrag von 1000 K und Frau Rosina Taglieber für den Spitalsbau¬ fond und den Armenfond einen Betrag von 10.000 A ge¬ spendet haben. Zum Zeichen des Dankes bitte ich die Herren, sich von den Sitzen zu erheben.“ (Geschieht!) Hierauf erteilt der Herr Vorsitzende dem Referenten des Approvisionierungs=Ausschusses Herrn G.=R. Heinrich Bachmayr zur Referatserstattung das Wort. Herr G.=R. Bachmayr bringt zunächst die eingangs vom Herrn Bürgermeister genannte Zuschrift der k. k. o.=ö. Statt¬ halterei zur Verlesung und führt dann aus: Auf Grund dieser Zuschrift hat der Approvisionierungs¬ Ausschuß in seiner gerade vorher abgehaltenen Sitzung nach längerer Beratung an der Hand von marktämtlich ausgearbeiteten Tabellen über die gegenwärtigen Detail=Verkaufspreise der wich¬ tigsten Lebensmittel in Steyr und (im Vergleiche dazu) in Linz folgenden Beschluß gefaßt: Seitens des Approvisionierungs=Ausschusses wird dem Ge¬ meinderate empfohlen, zu beschließen: Der k. k. o.=ö. Statt¬ halterei sind folgende Maximalpreise (per Kilogramm) zur Fest¬ setzung von Maximaltarifen in Vorschlag zu bringen: Weizenbrot (sog. „Kaiserbrot“, d. i. Semmeln, K —80 Kipfeln u. s. w.) „ —•40 Roggenbrot „ —32 Gemischtes Brot „ 4•— Kaffee (gebrannt) Tee (infolge der verschiedenen Sorten von Tee scheint die Angabe von Maximalpreisen unmöglich) —.86 Zucker —.28 Salz Pfeffer „ 2·60 Paprika „ 2•80 Kümmel 1·20 n getrocknetes Suppengrün „ 4•— Zwiebel „ —·52 „ —·84 Knoblauch Rindfleisch „ 2•— Kalbfleisch „ 1·80 Schweinefleisch „ 2•— 2•20 Rauchfleisch „ Salami „ 5•— * * * „ „ „ „ 2•20 Dauerwürste Speck „ 2.20 „ „ 20 Schweinschmalz „ Butter „ 2•50 * * * * * * „ 1·92 Käse (Schweizerkäse) * * Kartossel „ —·16 Mehl (Nr. 0) bei Abnahme unter 5 Kilogr. „ —52 bei Abnahme von 5 oder über 5 Kilogr. „ —•50
Herr G.=R. Wöhrer erklärt, daß der festgesetzte Mehl¬ preis viel zu niedrig sei; die En gros=Preise seien in Wirklich¬ keit höher, als die hier festgesetzten Preise für den Detailverkauf. Herr G.=R. Wokral betont, die Aufgabe des Gemeinde¬ rates könne in dieser Angelegenheit nur darin bestehen, daß durch die Vorschläge des Gemeinderates für den Schutz der Kon¬ sumenten gesorgt werden solle. Die Gewerbegenossenschaften haben ja noch Gelegenheit, ihre Stellung unmittelbar bei der Statthalterei zu kennzeichnen, welche dann auf Grund des Ver¬ gleiches der Vorschläge von Gemeinden und Genossenschaften die endgültige Festsetzung von Maximalpreisen vornehmen wird. Gewiß darf der Gemeinderat auch nicht rücksichtslos über die Existenz der Gewerbetreibenden hinweggehen. Aufgabe des Gemeinderates ist es, für die gesamte Bevölkerung Schutz zu schaffen. Es wird sich vielleicht ganz von selbst noch die Not¬ wendigkeit ergeben, daß die Gemeinde durch eigene Beschaffung und Abgabe von einzelnen Artikeln Vorsorge treffen wird müssen Zunächst aber sollen einzelne Maximalpreise für die wich tigsten Artikel festgesetzt werden. Der Herr Redner empfiehlt, dem Vorschlage des Approvisionierungs=Ausschusses zuzustimmen. Herr Vizebürgermeister Paul Fendt gibt seiner Befürch¬ tung Ausdruck, daß über den in diesem Gegenstande heute zu fassenden Gemeinderatsbeschluß Mißverständnisse unter der Be¬ völkerung entstehen werden. Die Leute werden glauben, daß die Zissern, welche heute hier festgesetzt werden, gleich von den nächsten Tagen an als Verkaufspreise gelten, an welche die Kaufleute gebunden sind. Der Herr Redner schlägt deshalb die vertrauliche Behandlung dieses Gegenstandes vor. Der Herr Vorsitzende erwidert darauf, daß ein Antrag auf vertrauliche Behandlung wohl gleich zu Anfang gestellt werden hätte sollen; er wäre mit der Behandlung dieser Sache in einer vertraulichen Sitzung sehr einverstanden gewesen. Im übrigen werde in der Bevölkerung kein Mißverständnis Platz greifen, wenn in den Zeitungsberichten über die heutige Gemeinderatssitzung ausdrücklich betont wird, daß die vom Ge¬ meinderate festgesetzten Preise nur als Vorschläge für die Statthalterei gelten und daß dann erst die Statthalterei die Maximalpreise nach Anhörung der Genossenschaften endgültig bestimmen wird. Herr G.=R. Mitter behauptet, daß der vom Approvi¬ sionierungs=Ausschusse vorgeschlagene Preis für Kartoffel mit 16 Heller per Kilogramm viel zu hoch sei, und stellt den An¬ trag, den Preis für Kartoffel mit 12 Heller per Kilogramm festzusetzen. Hierauf wird unter gleichzeitiger Annahme des Abände¬ rungsantrages des Herrn G.=R. Mitter (Herabsetzung des Preises der Kartoffel von 16 Heller auf 12 Heller per Kilogramm) be¬ schlossen: Es sind die vom Approvisionierungs=Ausschusse aufge¬ stellten Maximalpreise der k. k. o.=ö. Statthalterei in Vorschlag zu bringen. Darauf bringt der Herr Referent G.=R. Bachmayr eine vom Präsidium des Magistrates Wien zugesandte Abschrift einer Petition, welche der Wiener Gemeinderat bezüglich der Herab¬ setzung der Zölle an die Regierung gerichtet hat, zur Verlesung. Der Herr Referent gibt bekannt, daß der Approvisionie¬ rungs=Ausschuß auf Grund dieser Zuschrift beschlossen habe, dem Gemeinderate diesbezüglich folgenden Antrag zu unter¬ breiten: Wegen der Kürze der Zeit wolle der Gemeinderat dieses Schreiben des Herrn Bürgermeisters von Wien zur Kenntnis nehmen und die Stadtgemeindevorstehung beauftragen, an die Regierung ein ähnliches Schreiben zur Absendung zu bringen, worin um Aufhebung, wenn diese nicht möglich, um Er¬ mäßigung der Einfuhrzölle und um bedeutende Herabsetzung der Eisenbahnfrachtsätze für die wichtigsten Lebensmittel (wie Getreide, Mehl, Vieh, Fleisch) für gemeinnützige Approvisionie¬ rungszwecke dringend ersucht werden solle.“ Beschluß nach Antrag des Approvisionierungs=Ausschusses. Nach der Erledigung der Tagesordnung regt Herr G.=R. Kirchberger an, wie in anderen Städten auch in Steyr eine Aktion zugunsten des „Roten Kreuzes“, bezw. zugunsten der einberufenen Reservisten und Landsturmmänner einzuleiten. Der Herr Vorsitzende entgegnet, daß in Steyr ohne¬ hin der Hilfsverein für das „Rote Kreuz“ besteht. Da sich niemand mehr zum Worte meldet, führt der Herr Vorsitzende zum Schlusse der Sitzung aus: „Meine sehr geehrten Herren! Eine schwere Zeit ist herein¬ gebrochen. Unsere Monarchie ist nach einem 48jährigen Frieden in einen Krieg verwickelt worden. Während dieser 48 Jahre ist es nur einigemale dazugekommen, kleine Aufstände zu dämpfen. Die fortwährenden Wühlereien des serbischen Nachbarstaates — besonders seit dem Jahre 1909 — haben zum Kriegszustande geführt. Durch die fortwährende Unsicherheit, welche durch diesen Staat hervorgerufen worden ist, sind nicht nur unsere Monarchie, sondern ganz Europa schwere Schädigungen im wirtschaftlichen Leben zugefügt worden Mit außerordentlicher, fast zu großer Geduld hat unser Staat dem Treiben zugesehen. Denn in der letzten Zeit sind die Zustände geradezu staatsgefährliche geworden. Es ist soweit gekommen, daß man vor Mordanschlägen nicht zurückgeschreckt hat; und diese sind nur zu gut gelungen. Die von unserem Staate überreichte Note hat Serbien in unbefriedigender Weise beantwortet. Es mußte zum Aeußersten geschritten werden: Die Monarchie hat an Serbien den Krieg erklärt. Noch sind nicht alle Korps einberufen; aber ich erwarte, daß, wenn der Ruf ergeht, die Söhne unserer deutschen Alpen¬ länder mit Begeisterung zu den Fahnen eilen und mit Helden¬ mnut kämpfen werden; sind doch unsere deutschen Alpenregimenter schon in so vielen Schlachten an der Spitze gestanden! Wir haben augenblicklich den Kriegsfall mit Serbien ge¬ geben. Wir wissen nicht, welche Verwicklungen uns vielleicht noch bevorstehen. Wir vertrauen nun auf die Weisheit Seiner Majestät des Kaisers und auf die Tüchtigkeit unserer Armee. Ich fordere die Herren auf, sich von den Sitzen zu er¬ heben und mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Majestät, unser erhabener Kaiser Franz Josef l. und die tapfere öster¬ reichische Armee leben hoch, hoch, hoch!“ (Der Gemeinderat erhebt sich von den Sitzen und stimmt in das dreifache Hoch begeistert ein.) Hierauf Schluß der Sitzung um 5 Uhr nachmittags.
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