Ratsprotokoll vom 29. Dezember 1911

2 Hierauf wird über die dringliche Behandlung dieser An¬ gelegenheit abgestimmt und dieselbe angenommen. Der Herr Referent bemerkt zu diesem Gegenstand, daß, wie bekannt ist, laut Sitzungsbeschluß des Gemeinderates vom 9. Dezember l. J. der Herr Landtagsabgeordnete Viktor Stigler als Vertreter der Stadt Steyr im Landtage, zu ersuchen war, den neuen Gesetzentwurf dortselbst zu vertreten In der vorliegenden Zuschrift lehnt nun der Herr Land¬ tagsabgeordnete dieses Ersuchen ab. Es sei nun Sache des Gemeinderates, darüber schlüssig zu werden, was jetzt zu geschehen habe. Es sei zweifellos not¬ wendig, daß im Landtage der Gesetzentwurf eine Vertretung finde, schon deshalb, weil sich wie bekannt, auch Stimmen gegen denselben dort erheben werden und es daher zweckmäßig sei, wenn auch für den Entwurf im Landtage gesprochen werde. Es war nur natürlich, daß sich der Gemeinderat um diese Vertretung an den Landtagsabgeordneten der Stadt wendete, der hiezu als die berufene Person anzusehen sei. Allerdings sei sich der Referent und mit ihm vermutlich auch andere Mitglieder des Gemeinderates darüber klar gewesen, daß der Herr Landtagsabgeordnete Stigler vielleicht dieses Er¬ suchen ablehnen wird, und zwar war es deshalb zu vermuten, weil er mit der Partei, welche im Gemeinderate die Majorität hat, nicht harmoniert. Andererseits war es aber auch wieder mindestens ein Gebot der Höflichkeit, daß ein solches Ersuchen an ihn gestellt wurde. Man wußte schließlich auch nicht, welche Haltung der Herr Abgeordnete in der Sache einnehmen werde, denn wenn in der Zuschrift bemerkt ist, daß er aus politischen Gründen dafür nicht eintreten könne, so ist dies gewiß nicht zutreffend, denn es sei zweifellos, daß der Entwurf im Sinne des Deutsch tums und Fortschrittes ausgearbeitet sei und daher mußte nach dem Program, auf welches er gewählt ist, auch der Landtags¬ abgeordnete Stigler als jene Persönlichkeit angesehen werden, die zur Vertretung dieser Vorlage berufen wäre. Die sonst in dem Schreiben für die Ablehnung geltend gemachten Gründe sind nicht weiter ausgeführt und können deshalb auch nicht weiter erörtert werden. Da man den Herrn Abgeordneten nicht zwingen könne, so bleibe nur übrig, seinen Schritt mit Bedauern zur Kenntnis zu nehmen. Es sei übrigens dem Gemeinderate nicht schwer eine andere Persönlichkeit zu finden, welche den Gesetzentwurf im Landtage vertreten könne. Es sei der Herr Abgeordnete Leopold Erb, den der Ge¬ meinderat hierum ersuchen wolle, und welcher umso mehr in Betracht komme, als er an der Gesetzesvorlage ja schon im Gemeinderate mitgearbeitet habe. Diese Zuschrift des Herrn Landtagsabgeordneten Stigler gibt aber auch dazu Anlaß, über dessen Haltung im Landtage ein deutliches, offenes Wort zu sprechen. Wir wissen, daß sich der Herr Landtagsabgeordnete an den Sitzungen des Landtages sehr wenig oder gar nicht beteiligt und daß er für die Inter¬ essen der Stadt Steyr eine Gleichgiltigkeit an den Tag legt, welche mit den Obliegenheiten eines Abgeordneten nicht verein¬ barlich sei und unter Umständen für die Stadt sehr nachteilige Folgen zeitigen können. Er stelle daher namens der Sektion folgenden Antrag: 1. Der Gemeinderat nimmt die ablehnende Antwort des Herrn Landtagsabgeordneten Viktor Stigler vom 28. Dezember 1911 mit Bedauern zur Kenntnis. 2. Der Gemeinderat ersucht um die Vertretung der Ge¬ etzesvorlage betreffend ein neues Gemeindestatut für die Stadt Steyr im Landtage Herrn Gemeinderat, Reichsrats= und Land¬ tagsabgeordneten Leopold Erb. 3. Der Gemeinderat spricht dem Herrn Landtagsabge¬ ordneten Viktor Stigler wegen seiner wiederholt an den Tag gelegten Gleichgiltigkeit gegenüber den Interessen der Stadt Steyr im öberösterr. Landtage die Mißbilligung aus und er¬ wartet daher, daß er sein Landtagsmandat und damit die Ver¬ tretung der Stadt Steyr im Landtage zurücklege. Herr G.=R. Nothhaft bemerkt hiezu, er finde es er¬ klärlich, wenn der Herr Landtagsabgeordnete Stigler ablehnt, etwas zu vertreten, was er nicht billigen kann. Daraus könne ihm kein Vorwurf gemacht werden. Demselben deswegen aber öffentlich das Mißtrauensvotum des Gemeinderates auszusprechen, finde er als ungerechtfertigt. Obwohl Redner nicht zur politi¬ schen Partei des Herrn Stigler gehöre, müsse er doch sagen daß ein Mann wie Stigler, der so lange der Stadtgemeinde Steyr verdienstvoll vorgestanden ist, daß er nicht nur vom Ge¬ meinderate zum Ehrenbürger ernannt worden ist, sondern auch vom Kaiser mit einem hohen Orden ausgezeichnet wurde, es denn doch nicht verdient, in so schroffer Weise behandelt zu werden. Er werde daher gegen den Sektionsantrag stimmen. Hierauf wird über die 3 Punkte des Sektionsantrages je einzeln abgestimmt und dieselben mit Majorität angenommen. Z. 59/12. Der Herr Referent der I. Sektion berichtet sodann, daß ein Schreiben, welches an alle Gemeinde=Vorstehungen Ober¬ österreichs, unterfertigt von den Herren Bürgermeister Doktor Schauer von Wels, Dr. Hinsenkamp von Urfahr sowie vom Gemeindevorsteher von Pettenbach, Franz Kumplmair, gerichtet ist, zur dringlichen Behandlung vorliege, welches gegen die vom Gemeindewahlreform = Ausschusse des Landtages ausgearbeitete Gemeindewahlreform Stellung nimmt. Nach dieser Wahlreform soll die Einteilung in die Wahlkörper nicht mehr so erfolgen, daß die Steuersumme der Gemeinde in drei Teile gelegt wird und dadurch in jedem Wahlkörper ein Drittel der Steuerleistung vertreten ist, sondern lediglich nach der Zahl der Ge¬ meindewähler. Ueberdies wird ein IV. Wahlkörper ür jene geschaffen, welche gar keine direkte Steuern zahlen! Die Folge davon ist, daß die Mehr¬ heit in der Gemeinde jene erhalten, welche geringe oder gar keine Steuern zahlen. In diesem Schreiben werden nun die Gemeinde=Vor¬ stehungen ersucht, eine Petition zu unterschreiben und gleich. rückzusenden, damit dieselbe noch rechtzeitig dem Landtage über¬ reicht werden könne und in welcher verlangt wird, daß die Gemeinden des ganzen Lundes über den Entwurf gefragt werden und daß ihre Aeußerungen vom Gemeindewahlreform=Ausschusse überlegt werden — daß also die Gemeindewahlreform nicht heuer überstürzt gemacht, sondern auf das nächste Jahr vertagt werde, damit die Gemeinden Zeit haben, sich insbesondere bei den Bürgermeisterkonferenzen zu äußern. Der Herr Referent bemerkt hierüber, daß wohl gegen die Petition im eigentlichen Sinne nichts einzuwenden wäre, wenn es nicht das eine Bedenken hätte, daß Steyr als autonome Stadt von dieser neuen Gemeindewahlreform überhaupt nicht betroffen werden kann. Es könne auch das eine möglich sein, daß bei Versendung dieser Petition ein Verstoß vorliege und daß vie leicht auch die Stadt Linz, welche ebenfalls autonom ist, eine solche Zuschrift erhalten habe. Die Sektion beantragt daher, den Herrn Reichsratsabge¬ ordneten Leopold Erb zu ersuchen, er möge sich bei Herrn Bürgermeister Dr. Schauer erkundigen, ob nicht in der Ver¬ sendung dieser Petitionen ein Verstoß vorliegt, oder wenn dies nicht der Fall sein sollte, sich mit den Vertretern der Stadt Linz ins Einvernehmen zu setzen, wie sie sich gegenüber dieser Petition verhalten. Herr G.=R. Dantlgraber erklärt, daß er und seine Gesinnungsgenossen für diese Petition überhaupt nicht stimmen werden, nachdem die dem Landtage vorliegende Wahlreform für nichtautonome Gemeinden im IV. Wahlkörper bedeutend mehr freiheitliche Anschauungen genieße, als die der Stadt Steyr. Herr G.=R. Nothhaft erwähnt, daß er ebenfalls aus demselben Grunde wie Herr G.=R. Dantlgraber nicht für die Petition stimmen werde Außerdem brauche sich Steyr als autonome Stadt nicht in diese Angelegenheit hineinmischen, daher man auch keine Anfrage an die Stadt Linz zu richten brauche. Herr G.=R. Erb hält dafür, daß man zuerst an Linz die Aufrage stellen solle, ob selbe auch eine derartige Zuschrift er¬ halten hat und was sie in dieser Sache zu tun gedenkt. Dasselbe könne dann auch die Stadt Steyr tun. Der Antrag der Sektion wird hierauf mit Majorität an¬ genommen. — Z. 32.412 11. Ein weiterer Dringlichkeitsantrag der I. Sektion liegt vor betreffend einem Ansuchen des nach Steyr zuständigen, ledigen Bohrerschmied Georg Metz um Aufnahme in die Armen¬ versorgung von Steyr gegen Abtretung seiner Ersparnisse im Betrage von 1000 K an den Armenfond Steyr. Es wird über die dringliche Behandlung dieser Angelegen¬ heit abgestimmt und dieselbe einstimmig angenommen. Das Amt berichtet hierüber, daß der städt. Armenrat in seiner Sitzung vom 18. Dezember 1911 dieses Angebot mit Rücksicht darauf, daß Bittsteller nach Steyr zuständig und ver¬ dienstunfähig ist, angenommen hat und beschlossen wurde, den¬ selben gegen Uebernahme seines Vermögens bis zum Freiwerden eines Platzes im Armenverpflegshause, vorläufig einen Unter¬ stand im Herrenhause mit vollständiger Verpflegung im Armen¬ verpflegshause zu gewähren, mit welcher Verfügung Herr Metz einverstanden ist. Die Sektion stellt nun hierüber den Antrag, es wolle der Antrag des Georg Metz im Sinne des hierüber entworfenen Vertrages angenommen werden. Dieser Antrag gelangt hierauf zur einstimmigen Annahme. — Z. 30.762/11. Weiters wurde vom Herrn G.=R. Landsiedl ein Dringlichkeitsantrag eingebracht zwecks Schaffung einer gemeinde¬ rätlichen Verkehrskommission, welcher lautet: „Die jüngst stattgehabten Fahrplan= und Bahndebatten im Gemeinderate haben gezeigt, daß es von größter Not¬ wendigkeit ist, die Wahrung der Interessen der Stadt in den höchstwichtigen Verkehrs= und Bahnfragen seitens des Ge¬ meinderates direkt in die Hand zu nehmen. Bisher hat man sich mit der Subventionierung eines losen Verbandes ohne Statuten beholfen — des Fremdenverkehrskomitees. Dieses ergänzt sich nach Belieben durch Einladung zum Beitrittte Den freiwillig beitretenden Mitarbeitern desselben, die von besten Intentionen beseelt sind, kann irgendeine Verantwort¬ lichkeit nicht aufgebürdet werden, da ja das Komitee infolge seiner geringen Vrbindung mit dem Gemeinderate jeder autoritativen Ausgestaltung entbehrt und ihm in seiner losen Form eine solche auch nicht gegeben werden kann. Die weitere Behandlung der äußerst wichtigen Verkehrs= und Bahnfragen in dieser bisherigen ungebundenen Form erscheint mir in Rücksicht auf die Gefahr möglicher Versäumnisse und Schädi¬ gungen unserer Stadt untunlich. Ich halte den Gemeinderat ür den berufendsten Faktor zur Anregung und zur Ent¬ scheidung in allen Verkehrsangelegenheiten und beantrage demgemäß: Der löbliche Gemeinderat wolle die Wahl einer 9gliedrigen Verkehrskommission aus seiner Mitte beschließen zur Verfolgung aller Steyrer Ver'ehrsangelegenheiten und Stellung von Anträgen in diesen Fragen an den Gemeinderat,

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