2 sein wird, so daß ein ruhiges, sachliches Arbeiten sehr leicht ver¬ hindert werden könnte. Von Bedeutung für dieses Proportionalwahlrecht sind die Bestimmungen über den Wahlvorschlag. In dem betreffenden § 37 ist vorgesehen, daß der Wahl¬ vorschlag von mindestens 100 Unterschriften (sämtliche müssen Wahlberechtigte sein) versehen sein muß. Die Sektion war der Ansicht, daß es nicht schwer sein wird, diese 100 Unterschriften zu sammeln. Es würde dies dann den größeren Verbänden die Mög¬ lichkeit geben, selbständig in die Wahlbewegung eingreifen zu können, während es kleinen, nichtssagenden Verbänden unmöglich ist, eventuelle Verwirrung und Unzufriedenheit in die Wähler¬ schaft zu tragen. Es ist das Wahlrecht, wie es für die ersten drei Wahl¬ körper vorgesehen ist, ein Besitzwahlrecht, also mit dem Besitze verbunden. Die Sektion habe dieses Besitzwahlrecht aus Prinzip nicht allen lassen wollen. Dieses Wahlrecht kommt juristischen Per¬ onen, Vereinen, Körperschaften u. dgl. und nicht eigenberechtigen Personen zu und versteht es sich von selbst, daß für solche Per¬ sonen ein Vollmachtenwahlrecht einzuführen ist, weil dieselben nicht selbständig wählen können. Was noch § 19 betreffe, so wurde in demselben das soge¬ nannte Intelligenzwahlrecht beibehalten, beziehungsweise dieser Paragraph ausführlicher in den einzelnen Punkten gehalten. Im großen und ganzen ist zu erkennen, daß die ver¬ schiedenen Wahlkörper im übrigen in der bisherigen alten Ein¬ teilung belassen worden sind, weil die Sektion glaubt, daß eine Aenderung wohl kaum notwendig sein wird und weil eine solche höchstens eine Verstimmung in die Wählerschaft tragen würde. Interessant sei noch darauf hinzuweisen, daß im neuen Statute das Recht über die Veräußerung des Ge¬ meinde vermögens ein erweitertes ist. Im alten Statute heißt es hierüber im § 50, Punkt 1, daß für die Veräußerung des Gemeindevermögens oder =Gutes im Werte von 10.000 K oder darüber ein Landesgesetz not¬ wendig ist. Um über den Antrag der Veräußerung eines Ge¬ meindevermögens bis zu 10.000 K und darüber abstimmen zu können, mußte derselbe in der Sitzung von wenigstens zwei Dritt¬ teilen des Gemeinderates beraten und mit absoluter Stimmenmehr¬ heit sämtlicher Gemeinderatsmitglieder angenommen worden sein. Das neue Statut erhöht den Betrag, über welchen der Gemeinderat selbst verfügen kann, von 10.000 K auf 30.000 K und sei hiezu die absolute Mehrheit der bei der betreffenden Sitzung anwesenden Gemeinderäte ausreichend. Zu einer gültigen Beschlußfassung über die Veräußerung eines Gemeindevermögens oder =Gutes im Werte von mehr als 30.000 K ist erforderlich, daß mindestens zwei Drittel der Ge¬ meinderäte anwesend sind und daß überdies die absolute Mehrheit der Anwesenden zustimmt, und erst bei einer Veräuße¬ rung eines Gemeindevermögens oder =Gutes von 80.000 K und darüber sei die Genehmigung des Landesausschusses einzuholen und erst wenn dieser seine Zustimmung versagt, durch Landtags¬ beschluß, welcher der Allerhöchsten Genehmigung zu unterziehen ist, die Bewilligung hiezu zu erwirken. Es ist daraus zu ersehen, daß dem Gemeinderate ein größerer Spielraum geboten wäre, welcher auch notwendig er¬ schien, um im heutigen Wirtschaftsleben erfolgreich wirken zu können. Der Gemeinderat erscheine hiedurch selbständiger als bisher, nachdem er früher schon bei einer Veräußerung von mehr als 10.000 K um die Genehmigung des Landesausschusses einkommen mußte. Es werden aber jetzt, weil der Spielraum ein größerer ist, gewiß auch keine leichtsinnigen Beschlüsse gefaßt werden. Dies erscheine wohl so ziemlich ausgeschlossen. Der Herr Referent bemerkt hierauf noch, er glaube, daß dieser neue Entwurf über die Gemeindewahlreform und die sonstigen Statuten allen billigen. Anforderungen entsprechen werden, und bittet er zugleich die Herren Gemeinderäte, um unveränderte Annahme des Entwurfes. Herr G.=R. Nothhaft: Sehr geehrte Herren! Als Vertreter der christlichsozialen Partei im Gemeinderate und infolge des in dieser Frage ge¬ faßten Beschlusses, nehme ich mir die Freiheit, als erster Redner die Anschauung meiner Gesinnungsgenossen zur Kenntnis zu bringen. Löblicher Gemeinderat: Die Erkenntnis der Tatsache, daß der Entwurf einer neuen Gemeindewahlordnung in Steyr ein Bedürfnis für alle Wahlberechtigten ist, hat die christlichsoziale Partei in Steyr veranlaßt, bereits im Mai vorigen Jahres dem Gemeinderate eine diesbezügliche Eingabe zu unterbreiten, und hat bekanntlich drei Grundsätze aufgestellt, nach welchen die neue Gemeindewahlordnung aufgebaut werden sollte. Es sind dies: 1. Abschaffung des Vollmachtenwesens, 2. Schaffung eines reinen IV. Wahlkörpers für jene Seßhaften, welche keine direkten Steuern zahlen, und 3. Einführung des Proportional¬ wahlrechtes in allen vier Wahlkörpern. Der Gemeinderat versprach damals, der aufgerollten Frage näher zu treten und hat die I. Sektion beauftragt, daß sie sich damit befassen und dann dem Gemeinderate Bericht erstatten olle. Leider blieb mein damals sofort gestellter Zusatzantrag, die Sache innerhalb 3 bis 4 Monaten zu behandeln, über Ver¬ anlassung des Herrn G.=R. Erb in der Minorität. Herr Ge¬ meinderat Erb hat beantragt, das gesamte Steyrer Gemeinde¬ statut einer größeren Reform zu unterziehen und hat hiebei be¬ hauptet, daß so viele Aenderungen notwendig seien, daß man der 1. Sektion einen bestimmten Zeitpunkt für die Fertigstellung nicht vorschreiben könne. Eine Frist von 3 bis 4 Monaten sei überhaupt zu kurz. Wie man nun aus der Durchsicht dieses neuen Statutes ersieht, sind keine so wesentlichen Aenderungen vor sich gegangen, daß selbe so eine lange Zeit beansprucht hätten, und könne er ich daher über die Behauptung des Herrn G.=R. Erb eines kleinen Lächelns nicht erwehren. (Herr G.=R. Erb unterbricht den Herrn Redner und be¬ merkt, daß laut Geschäftsordnung das Herablesen von schrift¬ lichen Aufsätzen unzulässig sei.) Herr G.=R. Nothhaft erwidert, daß er seine Rede nicht herablese, sondern sich nur einzelne Schlagworte aufnotiert habe. Jeder der Herren Gemeinderäte werde wissen, daß dies dem be¬ treffenden Redner erlaubt ist. Uebrigens sei er in der Sache so gut versiert, daß er es nicht notwendig habe, seine Rede herunterzulesen. Der Herr Vorsitzende macht Herrn G.=R. Nothhaft aufmerksam, daß es im § 32 der Geschäftsordnung des Gemeinde¬ rates heißt: Den Sprechern in der Debatte ist die Ablesung von schriftlichen Aufsätzen nicht erlaubt. Herr G.=R. Dantlgraber erklärt, daß es bei der Wichtigkeit der heutigen Verhandlungen wohl einigermaßen not¬ wendig ist, sich irgend welche Stichwörter zu notieren und sehe er hierin keinen Anstoß gegen die Geschäftsordnung des Ge¬ meinderates. Herr G.=R. Erb erwidert, eine Geschäftsordnung sei dazu da, daß sie auch gehalten werde. Es ist dem Redner laut § 32 nicht erlaubt, seine Ausführungen herunterzulesen. Es sei dies auch ganz selbstverständlich, denn sonst könnte es passieren, daß eder Redner mit schriftlichen Aufzeichnungen von ganz be¬ deutender Länge kommt und in Zukunft jeder Gemeinderat einen chriftlichen Vortrag hält. Dieser Paragraph ist daher auch gewiß im Interesse des gesamten Gemeinderates. Es werde gewiß dem Herrn G.=R. Nothhaft nicht schwer fallen, aus freien Stücken an der Hand von Stichwörtern seine Rede fortzusetzen. Herr G.=R. Nothhaft erwidert, er habe sich, wie schon erwähnt, nur Stichwörter notiert und gehe er in seinen Aeuße¬ rungen nach denselben vor. Der Herr Vorsitzende ersucht hierauf Herrn Gemeinde¬ rat Nothhaft seine Rede fortzusetzen. Herr G.=R. Nothhaft: Ich möchte noch bezüglich Befristung über die Aenderung des Statutes kurz bemerken, daß das neue Gemeindestatut gerade so gut noch im Vorjahre dem Gemeinderate hätte vorgelegt werden können, damit es noch rechtzeitg in der Jännersession des Landtages hätte zur Sprache gebracht werden können und wäre es daher schon bei den Gemeinderatswahlen im Jahre 1912 möglich gewesen, ohne allen unnötigen Aufregungen und Unzukömmlichkeiten an die Wahlurne schreiten zu können. Ich erlaube mir nun auf den eigentlichen Teil dieser An¬ gelegenheit überzugehen. Nachdem naturgemäß nur das Resultat der Majorität der Rechtssektion in diesem Entwurf des neuen Statutes auferscheint, o will ich die Wünsche der christlichsozialen Partei hier im Ge¬ meinderate zur Sprache bringen. Vor allem will ich bemerken, daß unseren drei Haupt¬ forderungen nur in einer Richtung Rechnung getragen worden ist, und zwar ist dies die Abschaffung von Frauenvollmachten. Die Klagen der Frauen über die vielfachen Belästigungen wurden bereits derart laut, daß sich die Partei veranlaßt sah, den Wünschen der Frauen Rechnung zu tragen. Ich begrüße daher freudigst diese neue Wahlordnung, mit welcher die Frau selbst zur Urne schreiten muß, um ihr Wahlrecht ausüben zu können. Unserer zweiten Forderung, der Einführung des Propor¬ tionalwahlrechtes, wurde nur teilweise entsprochen, nachdem das¬ selbe nur für den III. und IV. und nicht auch für den l. und II. Wahlkörper eingeführt werden soll. Ich habe mir in der Sektion Mühe gegeben, dieser meiner Anschauung Gehör zu ver¬ schaffen, daß nicht auf halbem Wege stehen geblieben werden olle, sondern dem Gerechtigkeitsgefühle Rechnung getragen werden möge, daß den Minoritäten nicht nur im III. und IV. Wahl¬ körper, sondern auch im I. und II. Wahlkörper Gelegenheit ge¬ geben werden solle, Vertreter je nach dem Verhältnis ihrer Stärke in den Gemeinderat entsenden zu können. Damit sind wir dort angelangt, welches man den spannenden Punkt nennt. Nach dem Verhältnis der Kräfte soll gewählt werden und darin besteht eben das Proportionalwahlrecht. Das System der bisher ge¬ pflogenen Mehrheitswahl mag in den früheren Jahrzehnten, wo die Bevölkerung sowohl den politischen als den Kommunal¬ wahlen noch viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt hat, am Platze gewesen sein, heute aber, wo die Erkenntnis der Wichtigkeit aller Wahlen bereits in alle Schichten gedrungen ist und auch die Schulung der Wähler eine ganz andere geworden ist — schreiten a selbst bei Wahlen ohne Wahlzwang schon zirka 90% zur Wahlurne — heute wollen auch die politisch gereiften und organisierten Minoritäten in den gesetzgebenden Körperschaften wenigstens nach ihrer Stärke vertreten sein. Dies ist aber nur nöglich bei Anwendung des gerechten und ausgleichenden Wahl¬ rechtssystems. Während die Minoritäten bis jetzt ganz an die Wand gedrückt wurden und somit keine Vertretung im Ge¬ meinderate hatten, ist ihnen durch die Verhältniswahl die Mög¬ lichkeit geboten, ihren Anschauungen Geltung zu verschaffen, was auch bei finanziellen Fragen von großer Bedeutung ist. Wir haben hier zugleich zwei Vorteile zu verzeichnen. Einerseits die größere Gerechtigkeit und zweitens die damit zu¬ sammenhängende Abschwächung des Wahlkampfes selbst. Wenn Minoritäten schon im Voraus wissen, daß sie in der betreffen¬ den Körperschaft nur die ihrer Stärke entsprechende Anzahl von Mandaten erreichen können, so wird der Wahlkampf naturgemäß an Heftigkeit verlieren, und welchen Wert dies für kleinere Städte, so z. B. für Steyr, hat, wo die Bürgerschaft aufeinander angewiesen ist, werden die Herren wohl selbst ermessen können.
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