2 Gesichtspunkte aus lebhaft bedauern müssen. Die Abnahme um 300.000 Rinder ist der sprechendste Beweis, daß auf diese Art und Weise nicht mehr vorgegangen werden könne, denn sonst steht der Staat in Bezug auf Rindviehzucht in kürzester Zeit vor einer Katastrophe. Dies soll hier nur als das hervorragendste Beispiel angeführt werden. Dagegen sei es nicht zu verschweigen, daß sich der Schweinestand in den letzten 10 Jahren um eine Million vermehrt hat. Der Fleischtag hat folgende Resolution gefaßt: „Die am 5. Oktober in der Volkshalle versammelten Ver¬ treter aller bürgerlichen Stände Oesterreichs, des Gewerbes, der Industrie, des Handels, der Angestellten und der Hausfrauen, geben der Rechtsüberzeugung Ausdruck, daß Einfuhrverbote für Vieh und Fleisch in Oesterreich wie in Ungarn nur aus veterinären Bedenken zulässig sind Die Einfuhrbewilligung für die genannten Produkte darf daher von keiner der beiden Regierungen verweigert werden, wenn sie unter den bereits gegenwärtig vorgeschriebenen rigorosen Kontrollmaßregeln vor sich geht. Eine Kontingentierung der Einfuhr insbesondere ist mit veterinärpolizeilichen Rücksichten in keiner Weise zu begründen und widerspricht dem Gesetze In dieser Erwägung fordern wir daher, daß die Einfuhr überseeischen Fleisches gestattet werde, unbeschadet der Erhöhung des aus Serbien und eventuell aus anderen Balkanstaaten ein¬ zuführenden Fleischkontingents; ebenso fordern wir die Einfuhr lebenden Viehes für Schlacht=, Einstell= und Aufzuchtzwecke, endlich Suspendierung der Verzehrungssteuer für die Zeit der Notlage. Die Versammlung ersucht alle Abgeordneten, welche städtische Interessen zu vertreten haben, ohne Unterschied der Parteistellung, für diese Forderung unbedingt einzustehen und sich durch keinerlei politische Rücksichten von der Erreichung dieses Zieles abhalten zu lassen.“ Diese Resolution wurde einstimmig angenommen. Herr G.=R. Erb: Alljährlich findet jetzt ein Statutarstädtetag, das heißt eine Beratung der Vertretung jener Städte, welche ein eigenes Statut haben, statt. Diese Beratungen sind sehr in¬ teressant, aber auch außerordentlich notwendig, damit die In¬ teressen der Städte entsprechend vertreten werden. Ich habe mir bei der Beratung, die von allen autonomen Städten, mit Aus¬ nahme einiger tschechischer Städte (insgesamt waren 29 Statutar¬ städte vertreten), beschickt war, erlaubt, ausführlich über die Teuerung, insbesonders über die Fleischteuerung zu sprechen. Ich will jedoch hierüber nicht weiter berichten, sondern mich au die Anträge beschränken, welche von den verschiedenen Städte¬ abordnungen eingebracht worden sind. Die Tagung dauerte von 10 Uhr vormittags, mit Ausnahme einer kleinen Mittagspause, bis ½8 Uhr abends und hatte folgende Tagesordnung: Tagesordnung für den am 20. Oktober 1911 stattfinden¬ den 8. österreichischen Städtetag. 1. Bekämpfung der Lebens¬ mittelteuerung. Referent: Stadtrat Josef Rain (Wien). 2. Ge¬ setzentwurf, betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertrag¬ barer Krankheiten. Referent: Stadtrat Dr. Moritz Franz Haas (Wien). 3. Die Wohnungsfürsorge. Referent: Vize=Bürgermeister Franz Hoß (Wien). 4. Die Sanierung der Gemeindefinanzen Troppau). Hierauf verliest Herr G.=R. Erb die eingebrachten An¬ träge, und zwar: „Der österreichische Städtetag spricht die Ueberzeugung aus, daß die gegenwärtige Teuerung einen solchen Umfang an¬ genommen hat, daß die Grundpfeiler des Staates, der Arbeiter¬ und Mittelstand, in der Existenz bedroht und die Grundlagen der modernen Kultur auf das schwerste erschüttert werden. Der Städtetag erklärt weiters, daß die Gemeinden dieser mit der Wirtschaft des ganzen Staates im Zusammenhange tehenden Teuerung ohnmächtig gegenüberstehen, und daß es nur in der Macht des Staates liegen kann, hier Abhilfe zu schaffen. Herr G.=R. Erb: Gestatten Sie, verehrte Herren, zu diesem Absatze nur einige Worte. Der Staat trachtet, die Schuld, die er auf sich selbst geladen, daß er sich den ungarischen Machtgebietern be¬ züglich argentinischen Fleisches durch mehrere Ministerien hin¬ durch unterworfen hat, von sich abzuwälzen. Es wäre nicht schwer, die Aeußerung derjenigen Herren, welche sich hinter dem Ministerium verschanzen, daß sie argentinisches Fleisch nicht hereinbringen können, zu widerlegen. Es ist nicht der geringste Anhaltspunkt vorhanden, daß argentinisches Fleisch nicht herein¬ gebracht werden könnte! Wir sind nichts anderem unterlegen, als dem Diktate der ungarischen Großgrundbesitzer. Außerdem kommt noch dazu der Staat mit der Aeußerung: die Gemeinden sollen sich selber helfen. Ja, was sollen wir machen, das Volk wird ausgebeutet und kann von seinen spärlichen Einnahmen nichts hergeben, oder sollen wir Vieh und sonstige Lebensmittel einkaufen und dann mit Verlust verkaufen? Wir haben ja in dieser Frage überhaupt keinen Einfluß, daß mehr Vieh in Oester¬ reich produziert wird. Es erklärt daher der Städtetag, hier keine Linderung zur Abhilfe der Teuerung zu finden. Im Antrage heißt es weiter: „Von diesen Erwägungen ausgehend, richtet der Städtetag an die k. k. Regierung die dringende Mahnung, ungesäumt mit den erforderlichen ernsten, einen praktischen Erfolg verbürgenden und durchgreifenden Maßnahmen vorzugehen, die sich hauptsäch¬ lich in folgenden Bahnen zu bewegen hätten.“ Bevor ich Punkt 1 der Anträge verlese, will ich vorher noch bemerken, daß es uns nicht im Traume einfällt, die Land¬ wirtschaft zu schädigen. Wir Städter sehen die Landwirtschaft als etwas ganz besonderes an und hat dies ja auch die Abstim¬ mung im Abgeordnetenhause bewiesen. Nur dort, wo es unbe dingt notwendig ist, Fleisch einzuführen, möge von der anderen Seite nicht entgegengetreten werden. Herr G.=R. Erb verliest hierauf Punkt 1. Hebung der Landwirtschaft in jedem Belange. Förderung der Bildung von Organisationen der landwirt¬ schaftlichen Kreise behufs Erleichterung des Betriebes und Ab¬ satzes (insbesondere bezüglich der Vieh= und Milchverwertung). Einwirkung auf die Landwirtschaft im Sinne einer An¬ passung an die Bedürfnisse des Konsums. 2. Abschaffung des Blankoterminhandels überhaupt und insbesondere des Getreideterminhandels in Ungarn. 3. Schaffung eines staatlichen Besitzes an Kohlen= und Petroleumgruben in solchem Ausmaße, daß ihm auf die Bildung der Preise ein Einfluß zusteht, weiters Einleitung der Monopoli¬ sierung des Kohlenbergbaues und der Petroleumgewinnung und Reformierung des Berggesetzes. 4. Bekämpfung der Uebergriffe der Kartelle durch Erlassung eines Kartellgesetzes und zeitweise Suspension der Zölle 5. Beseitigung der Hochschutzzölle für Agrarprodukte. 6. Zulassung und Förderung der Einfuhr — insbesondere von Fleisch — aus dem Auslande in jenen Fällen, in denen die heimische Produktion dem Bedarfe nicht genügen kann und auf erwiesene Tatsachen gegründete sanitäts= und veterinärpolizeiliche Bedenken nicht vorliegen. 7. Regelung der Milchkontrolle. Erlassung einer Milch¬ verkehrsordnung.“ Zum nächsten Punkt, das ist Punkt 8, will ich voraus¬ schicken, daß wir in diesem Punkte (nämlich wir Vertreter der Landstädte) gegenüber der Reichshauptstadt Wien in einen Wider¬ spruch gekommen sind und habe ich mir erlaubt, im Interesse der Landstädte, zu denen auch Steyr gehört, das Wort zu er¬ greifen. Im Punkt 8 ist beantragt worden, die Einführung von Tarifsätzen ohne Rücksicht auf die Entfer¬ nung, insbesondere für Milch — Milchporto Schon im Teuerungsausschusse wurde von den Vertretern der Stadt Wien ein solcher Antrag gestellt. Dieser Antrag würde nichts anderes bedeuten, als daß die Tarife für Milch in Zu¬ kunft gleich hoch sind! Das würde für uns in Steyr und andere Städte eine große Gefahr bedeuten und besteht diese Gefahr darin, daß die Versorgung der Städte mit Milch und Butter direkt gefährdet wäre. Wir hätten dann darunter zu eiden, daß ein großer Teil der Produkte aufgekauft und direkt nach Wien gesendet werde, und wenn hiezu noch der Transport o ermäßigt sein würde, daß Milch wie andere Gegenstände nach Wien geliefert werden könnte, würden wir das schwer büßen müssen und zu spüren bekommen, daß die beste Milch nach Wien geliefert wird, während man in den Landstädten schlechte Milch zu teuren Preisen kaufen müßte. Ich mußte mich daher gegen diesen Punkt entschieden wenden, wir wurden aber mit geringer Minderheit niedergestimmt, weil auch Vertreter der größeren Städte für diese Transportermäßigung gestimmt haben. Diese Transportermäßigung kommt jedoch gewöhnlich nicht den Kon¬ umenten, sondern den Zwischenhändlern zugute. Es lautet hierach Punkt 8: „Ermäßigung der Eisenbahntarife für Lebensmittel (Ein¬ führung von Tarifsätzen ohne Rücksicht auf die Entfernung, ins¬ besondere für Milch — Milchporto), Regelung des Eisenbahn¬ verkehres unter Beistellung genügender und geeigneter Trans¬ portmittel (Beistellung von Sammel= und Kühlwaggons, Be¬ förderung von Lebensmitteln mit Personenzügen, Beschleunigung der Transporte, Einführung von Milchzügen, Verbesserung der Stationseinrichtungen). Verehrte Herren! Es wäre interessant, Ihnen über die verschiedenen Reden bezüglich der Bekämpfung der Lebensmittel¬ teuerung ausführlich Mitteilung zukommen zu lassen. Ich habe edoch im Gemeinderate schon darüber gesprochen und möchte deshalb diesen Punkt mit der Meinung schließen, daß wir Ver¬ treter der Stadt Steyr darnach getrachtet haben, unser eigenes Interesse auf dem Städtetage gegenüber anderen Interessen auf das Energischeste zu vertreten. Zur Ergänzung in dieser Frage will ich noch einen Zusatz¬ antrag, welcher von der Stadtgemeinde Graz eingebracht wurde, zur Verlesung bringen: „Der österreichische Städtetag gibt im Zusammenhange damit seiner Ueberzeugung dahin Ausdruck, daß die Regelung des Viehverkehres zwischen den im Reichsrate vertretenen König¬ reichen und Ländern und dem Zollauslande, soferne dieser Ver¬ kehr ohne Berührung der Länder der hl. ungarischen Krone statt¬ indet, verfassungsrechtlich jeder Einflußnahme seitens der ungari¬ chen Regierung entzogen ist, und daß daher die Weiterbewilli¬ jung der Einfuhr überseeischen, insbesondere argentinischen Fleisches, hinsichtlich dessen erwiesenermaßen auch veterinärpolizei¬ liche Bedenken nicht bestehen, keinem wie immer gearteten Hinder¬ nisse unterliegt, somit von der k. k. Regierung unverweilt aus¬ zusprechen wäre. Ein weiterer Gegenstand (Punkt 4 der Tagesordnung) ist die Sanierung der Gemeindefinanzen. Sehr geehrte Herren! Sie wissen ja alle, daß es mit unseren Gemeindefinanzen nicht besonders gut bestellt ist und ist es uns doch ein, wenn auch schwacher Trost, daß es anderen Städten auch nicht viel besser geht. Sie wissen, daß der Staat den Statutarstädten verschiedene Agenden zugeworfen hat. Für diese Agenden gibt der Staat gar nichts. Bei dieser Tagung hat der Magistratsdirektor Grüner aus Troppau ein Referat erstattet, in welchem er insbesonders
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