Ratsprotokoll vom 15. Juli 1910

2 ausgedrückt wurde. Der Herr Bürgermeister ersucht, diesen Dank zu votieren. Ueber Anregung des Herrn Bürgermeisters wird demselben die Ermächtigung erteilt, mit dem Verfasser des mit dem ersten Preis ausgezeichneten Projektes wegen Ausarbeitung eines restrin¬ gierten Projektes in Verhandlung zu treten. 5. Turngau Oberösterreich = Salzburg dankt für die ehren¬ volle Begrüßung und die freundliche Aufnahme anläßlich des am 2. und 3. Juli stattgefundenen Gauturnfestes in Stadt Steyr. 6. Die allgemeine Arbeiter=Kranken= und Unterstützungs¬ kasse bedankt sich für die Subvention per 300 K und für die Teilnahme an der Eröffnungsfeier ihres Rekonvaleszentenheimes. 7. Der Gabelsberger Stenographenverein in Steyr und der Verein deutscher Hochschüler in Wien danken gleichfalls für die bewilligten Spenden 8. Wachmann Josef Seisberger dankt für die ihm aus¬ nahmsweise erteilte Ehebewilligung. Diese Mitteilungen werden zur Kenntnis genommen. Zu der vom Herrn G.=R. Steinhuber überreichten Petition wegen Trassierung der zu erbauenden elektrischen Bahn durch die Sierningerstraße, Kirchengasse zum Staatsbahnhof führt der Herr Bürgermeister aus, daß der Gemeinderat sich ja schon seinerzeit für dieses Projekt erklärt hat und bei der am 11. ds. stattgefundenen Interessenten=Versammlung erfreulicher¬ weise eine Einigung der Steyrer Interessenten für das vorer¬ wähnte Projekt erzielt wurde. Er glaubt daher mit Rücksicht auf das Vorhergesagte diese Eingabe vorläufig als erledigt be¬ trachten zu können und daß die Einreicher damit einverstanden sein werden, wenn diese Petition dem Bahnakte zugelegt wird Weiters sind dem Herrn Bürgermeister mehrere Dringlich¬ keitsanträge mit den nötigen Unterschriften versehen, zuge¬ kommen, und zwar: Dringlichkeits=Antrag des Approvisionierungs¬ Ausschusses. Daß die seit mehreren Jahren sich zeigende, immer drückender werdende Teuerung in Verbindung mit der in steter Zunahme begriffenen Arbeitslosigkeit und der bekannten Wohnungs¬ not die breiten Massen der Bevölkerung auf das empfindlichste bedrückt, ist eine gewiß von Niemandem geleugnete Tatsache, die auf die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse der Be¬ völkerung unserer Stadt nachhaltig schädlichen Einfluß übt, und die eine rasche und wirkungsvolle Abhilfe gebieterisch erfordert. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, hier die Gründe dieser Teuerung im Einzelnen auseinanderzusetzen und jene Umstände genau zu erörtern, denen die Schuld an diesen traurigen Ver¬ hältnissen zuzuschreiben ist, wir können uns nur darauf be¬ schränken, ausdrücklich und mit tiefem Bedauern festzustellen, daß alle bisherigen Versuche, der vorhandenen, stetig wachsenden Teuerung entgegenzuwirken, bis jetzt zu keiner Besserung ge¬ führt haben, so daß die Bevölkerung zur Ergreifung des äußersten Mittels, zum Boykott, gedrängt wird, weil sie sieht, daß ihrer Verelendung in anderer Weise nicht entgegengewirkt wird. Wenn wir die Preise der wichtigsten Lebensmittel aus dem Jahre 1900 mit den heutigen Preisen derselben in Vergleich bringen, so ergibt sich für die Stadt Steyr eine exorbitante Steigerung derselben. So sind: K K K Rindfleisch erste Gattung von 1·40 auf 1·64—1·68 mittlere „ „ „ 1•28 „1·48 mindere „ „ „ 1·16 1·32 Schweinefleisch „ 1·26 „ 1·80 Kalbfleisch * „ 1·12 „ 1·48 Schöpsenfleisch „ 0•87 „ 1·20 Selchfleisch 1·60 „ 2•20 chinken (roh) „ 1•80 2•40 C1 peck „ 1·60 „ 2•20 chweineschmalz „ 1·60 „ 2•20 ndschmalz „ 2•36 2•80 Br itter 1·70 2•60 Erbsen „0•56 0•60 Linsen 061 „ 0•64 Bohnen „ 0•32 „ 0·36 Reis 92122 054 „ 0•56 Auszugmehl „ 0•34 „ 0·44 und stand vor kurzem sogar 0•52 Mundmehl „ 0•28 „ 0•42 Semmelmehl 0•26 „ 0•38 Weißpolmehl „ 0•23 0•32 Gries „0•34 0•44 2. * * * Brot 0•291 0•36 per Kilogramm gestiegen. Milch und Eier, Gemüse, kurz alle Lebensmittelpreise haben eine namhafte Erhöhung erfahren. Wenn auch die angeführten Preise Detailpreise sind und die volkswirtschaftliche Erfahrung lehrt, daß sich dieselben mit den Engros=Preisen nicht immer im gleichen Verhältnisse be¬ wegen, so steht doch fest, daß auch die Engras=Preise, insbesondere die Einkaufspreise des lebenden Viehes, in den letzten Jahren eine von 56 bis zu 120% reichende Steigerung erfahren haben. Mit dem raschen Anwachsen der Bevölkerung sollte auch eine erhöhte Zufuhr lebenden Viehes auf die Märkte der Städte Hand in Hand gehen. Es zeigt sich jedoch z. B. auf dem Wiener Markte ein relatives Sinken der Zufuhr, so zwar, daß die Käufer oft leer heimkehren müssen. Ueberhaupt sind auf dem Wiener Markte in der letzten Zeit Differenzen von 1000 bis 1500 Stück von einem Markt zum andern vorgefallen, was naturgemäß ein Schwanken der Preise zur Folge haben muß. Die Preisbewegung beim Vieh wird auch durch die Aus¬ fuhr von Schlachtvieh, die nach wie vor eine sehr bedeutende ist, verschärft. Schließlich ist noch hervorzuheben, daß auch die Vieh¬ haltung nicht im gleichen Verhältnisse mit der Bevölkerungs¬ zunahme wächst, sondern zurückgeht. Im Jahre 1880 kamen in Oesterreich auf 100 Einwohner rund 40 Stück Rindvieh, während im Jahre 1900 auf 100 Einwohner nur mehr 36 Stück Rindvieh entfallen sind. Die Viehhaltung ist auch deshalb unrentabel geworden, weil die Futtermittelpreise durch die enorme Erhöhung der Zölle eine so außerordentliche Steigerung erfahren haben. Die Ursache der Teuerung ist somit darin zu suchen, daß die Nachfrage nach Fleisch ständig wächst, während das Angebot aus mehrfachen früher angeführten Gründen nicht bloß absolut, sondern sogar relativ, und zwar sehr bedeutend zurückgeht. Dieses krasse Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wird nicht bloß dadurch verschärft, daß das Vieh auf dem Wege vom Produzenten zum letzten Konsumenten mehrere. Zwischen¬ hände zu passieren hat, die, selbst wenn es sich nur um bürger¬ lichen Gewinn handelt, begreiflicherweise verteuernd wirken müssen, sondern daß die so notwendige Zufuhr von Vieh, be¬ ziehungsweise Fleisch aus dem Auslande seit Jahr und Tag un¬ möglich ist. Wenn man somit nach einem raschwirkenden Mittel gegen die Fleischteuerung Umschau hält, so wird dasselbe in der Oeff¬ nung der Grenzen für die Einfuhr geschlachteten und lebenden Viehes, selbstverständlich unter veterinärpolizeilicher Ueberwachung und gegen Kontumaz, gewiß gefunden werden. Mit dem Sinken der Fleischpreise werden aber auch die Preise der übrigen Lebensmittel ein Fallen zeigen, weil die dadurch verminderte Nachfrage allein schon ermäßigend auf diese Preise einwirken muß Mit Rücksicht hierauf erlauben sich die Unterfertigten den Dringlichkeitsantrag zu stellen: Der löbliche Gemeinderat möge beschließen, es sei an den Herrn Reichsratsabgeordneten der Stadt Steyr das dringende Ersuchen zu richten, in der nächsten Plenarsitzung des Abgeord¬ netenhauses einen Dringlichkeitsantrag einzubringen, der die wenigstens zeitweilige Suspension des § 2 des hg. handels¬ politischen Ermächtigungsgesetzes vom 29. Dezember 1909 (Aus¬ schluß der Einfuhr lebenden Viehes) begehrt. F. Lang. J. Kollmann. F. Tribrunner Josef Tureck. F. Reitter. Hanns Millner. Aug. Mitter. Karl Wöhrer. L. Köstler. P. Steinhuber. Dringlichkeitsantrag des Gemeinderates Heern Friedrich Landsiedl. Der löbl. Gemeinderat wolle folgende Resolution gegen die Sperrung der Grenzen für die Vieh= und Fleischeinfuhr aus den Balkanstaaten beschließen und dieselbe auf dringlichem Wege zur Kenntnis der k. k. österreichischen Regierung bringen: Resolution. „Von Seite der Großgrundbesitzer und Großmäster beider Reichshälften wird mit allen erdenklichen Mitteln die Oeffnung der Grenzen der Balkanstaaten für die Vieh= und Fleisch¬ einfuhr nach Oesterreich=Ungarn verhindert. Die hiedurch entstandene enorme Teuerung hat bereits einen Höhepunkt erreicht, der, da auch die Regierung dem volksausbeuterischen Treiben vorgedachter, sozial und wirtschaftlich bevorzugter Stände teilnahmslos zusieht, es somit indirekt unterstützt, die betreffenden Volksklassen zur Selbsthilfe zwingt Die Folgen der Lebensmittelteuerung werden nachhaltige und außerordentlich nachteilige sein, denn bei den minder¬ bemittelten Reichsbewohnern muß sich mangels der nötigen Fleischnahrung eine die Volkskraft schwächende Unterernährung geltend machen. Besonders sind es die auf fixe Bezüge angewiesenen Berufs¬ klassen, die k. k. Staatsbeamten, die Gemeinde= und Privat¬ beamten, die Lehrerschaft, die Pensionisten, die Diener und Arbeiter, welche diesen Verhältnissen mangels des gehörigen Schutzes des Staates machtlos gegenüberstehen. Doch ist auch das Gewerbe davon härtestens betroffen, wie auch die in Oesterreich ohnedies besonders belastete Industrie unter den gegenwärtigen Zuständen sehr leidet. Vielenorts bereits greifen diese notleidenden weiten Schichten der Bevölkerung zur Selbsthilfe, indem sie sich zu Boykottbewegungen aufraffen, um sich so gegen die Ungunst der heutigen, einseitig groß=agrarischen politischen Richtung zu wehren und zu schützen. Auch auf unsere Stadt ist das Uebergreifen dieser Boykottbewegung zu befürchten, da die Teuerungsverhältnisse auch hierorts schon unleidliche sind. Hiedurch droht aber auch den hiesigen Gewerbetreibenden großer Schaden, der von selben umsomehr empfunden würde, als in unserer Industriestadt — großenteils mitverursacht durch den Nichtabschluß der Balkanhandelsverträge — ein außerordentlich schlechter Geschäftsgang herrscht. Der Gemeinderat der landesfürstlichen Stadt Steyr sieht sich daher genötigt, in Wahrung und zum Schutze der Inter¬ essen der Bewohner der Stadt, besonders der k. k. Staats¬ beamten, der Gemeinde= und Privatbeamten, der Lehrerschaft und Pensionisten, der Gewerbetreibenden, der Diener= und Arbeiterschaft, an die hohe k. k. Regierung die dringendste Bitte zu richten, dem eingetretenen Notstande Abhilfe zu schaffen, entweder durch ein Vieh= und Fleischausfuhr=Verbot oder durch energischeste Einwirkung auf die ungarische

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