Ratsprotokoll vom 27. November 1908

2 5. Was gedenkt der Herr Bürgermeister zu tun, um im Interesse der gesamten Bevölkerung Steyrs die Versorgung mit gutem und billigem Fleisch in ausreichendem Maße zu sichern und sie vor einer unberechtigten Besteuerung zu schützen. Steyr, am 23. November 1908. G. Dantlgraber m. p. Tribrunner m. p. Lud. Binderberger m. p. Lud. Reisinger m. p. Der Herr Vorsitzende bemerkt, daß schon in der letzten Gemeinderatssitzung vom Herrn G.=R. Tribrunner eine Anfrage wegen schlechter Beschickung des Schweinemarktes an ihn gerichtet wurde und werde er diese Anfrage mit der heutigen Inter¬ pellation gleichzeitig beantworten Die Antwort lautet: „Auf die in der letzten Sitzung des Gemeinderates gestellte Anfrage des Herrn Gemeinderates Tribrunner habe ich die Ehre zu erwidern, daß tatsächlich die Schweinemärkte im Monate Oktober d. J. gegen das Vorjahr schlecht beschickt waren. Im ganzen Monat Oktober 1908 wurden nur 141 Schweine gegen 639 Schweine im gleichen Zeitraume des Vorjahres zu Markt gebracht. An dieser auffallenden Tatsache dürfte wohl zum Teile die zwischen der Verzehrungssteuer=Abfindungsgesellschaft in Steyr und den Schweinehändlern bestehende Differenz bezüglich der Zahlung der Verzehrungssteuer für die zu Markt gebrachten Schweine Schuld getragen haben. Die Verzehrungssteuer=Gesell¬ chaft verlangt die Verzehrungssteuer per 2 K 47 h für jedes Stück Schwein über 19½ kg von dem Händler, während die Händler für die Zahlung der Verzehrungssteuer nicht haftbar sein wollen. Da die Verzehrungssteuer=Gesellschaft auf ihrem Rechte besteht und die Händler mit Rücksicht auf die diesbezüglichen Vor¬ schriften des Gesetzes vom 16. Juni 1877, Reichsgesetzblatt Nr. 60, schon in zwei Instanzen zur Zahlung der Verzehrungs¬ steuer verpflichtet erkannt worden sind und nun auf die Ent¬ scheidung des k. k. Finanzministeriums in dieser Sache warten, dürften sie wohl den Steyrer Markt geringer als früher beschickt und Mittel und Wege gefunden haben, den Abverkauf von Schweinen an die in den Landgemeinden wohnenden Parteien mit Umgehung des Steyrer Marktes direkt zu veranlassen. Im Monate November hat sich übrigens die Schweine¬ zufuhr gebessert indem am 7., 14. und 21. d. M. 819 Stück Schweine gegen 997 Stück im Vorjahre zu Markte gebracht worden sind, wobei festgestellt werden mußte, daß von den auf den Markt gebrachten Schweinen stets ein ganz kleiner Bruch¬ teil unverkauft abgeführt werden mußte. Beim gestrigen Wochenmarkte sind sogar 508 Schweine vorhanden gewesen gegen 463 am gleichen Tage des Vorjahres, von denen 66 Stück un¬ verkauft weggeführt werden mußten. Der Rückgang des Steyrer Schweinemarktes dürfte einen anderen Grund als die oben erwähnte Differenz haben. Durch die derzeit enorm hohen Preise der Weidner Schweine einerseits und durch den Ausfall der Einfuhr an Triebschweinen anderseits sind die Bauern zum Betrieb einer intensiveren Schweinezucht gebracht worden, wodurch der Bedarf an We dner Schweinen ganz bedeutend zurückgegangen ist. Noch vor wenigen Jahren mußten wöchentlich zirka 60 Stück Schlachtschweine zumeist aus Galizien während der Sommermonate nach Steyr eingeführt werden, um den Bedarf der Fleischhauer zu decken, während heute der ganze Bedarf der Fleischhauer durch die Bauern der Umgebung gedeckt zu werden vermag. Während früher das Kilo Schweinefleisch am Markte 66—96 k kostete, wird heute ein Kaufpreis von 1 K 8 ¼ bis 1 K 32 h dafür begehrt und bezahlt. Hiedurch wird die Auf¬ zucht von Schweinen für die Bauern lohnend und darum geht der Schweinehandel auf dem Markte in Steyr von Jahr zu Jahr zurück. Die Händler suchen natürlich die Zufuhr möglichst ein¬ zuschränken, damit keine Ueberfüllung auf dem Markte entsteht und damit sie keine Preisreduktion vornehmen müssen. Es ist nicht anzunehmen, daß selbst bei teilweiser Freilassung gewisser Käufer von der Entrich¬ tung der Verzehrungssteuer wie dies früher in Steyr Gebrauch war eine wesentliche Aenderung der bestehenden Verhältnisse erzielt werden könnte. Billigere Preise für Schweinefleisch haben nur Städte mit Schlachthäusern, da hier Einfuhrerleichterungen bestehen und durch die Konkurrenz eine Preisregulierung leichter eintritt. Ich bitte aus dieser Antwort zu entnehmen, daß ich den Verhältnissen am hiesigen Schweinemarkte die stete, gewissenhafte Aufmerksamkeit zuwende, daß mir aber die Mittel fehlen, hier Wandel zu schaffen, weil mich einerseits gesetzliche Vorschriften, andererseits die allgemeine Lage daran hindern. Uebergehend auf die heute gestellte Interpellation habe ich zu erwidern: 1. Es ist richtig, daß die Fleischer und Selcher in Steyr mit dem Finanzärar bezüglich der Verzehrungssteuer eine Ab¬ findung getroffen haben. 2. Mir ist bezüglich dieses Abkommens nur bekannt, daß dasselbe erst vor ganz kurzer Zeit (28. Oktober 1908) erneuert worden ist, und daß der Abfindungsbetrag von 26.000 K auf 30.000 K eine Erhöhung erfahren hat. Der sonstige Vertrags¬ inhalt ist nicht zu meiner Kenntnis gelangt. 3. Die Stadtgemeinde Steyr erhält 30% von der Abfin¬ dungssumme als Umlage, d. h. die Abfindungsgesellschaft muß außer den 30.000 K an den Staat noch 30% dieser Summe, also 9000 K, an die Gemeinde als Umlage bezahlen. 4. Die Konsumenten sind nach dem Gesetze vom 16. Juni 1877, Reichsgesetzblatt Nr. 60, nur indirekt betroffen, da zur Entrichtung der Verzehrungssteuer nur jene Personen verpflichtet sind, die die entgeltliche Ver¬ äußerung von rohem oder zubereitetem Fleische gewerbsmäßig betreiben, also die Händler, Fleischer, Wirte 2c. Freilich wird die Verzehrungssteuer von diesen Personen durch einen Aufschlag auf den Kaufpreis den Käufern, so weit dies eben möglich ist, zur Zahlung überwiesen. 5. Mir ist nicht bekannt, daß in Steyr ein fühlbarer Mangel an gutem Fleische bestände und glaube daher nicht, daß Schritte zu einer besseren Approvisionierung der Stadt mit Fleisch nötig sind. Wohl aber stehen die heutigen Ver¬ kaufspreise des Fleisches in Steyr in keinem richtigen Verhältnisse zu den heute gezahlten Einkaufspreisen und ich werde mich neuerlich bemühen, im Wege der Genossenschaft der Fleischhauer 2c. in Steyr auf eine Fleischpreisregulierung nachdrücklich hinzuwirken.“ Diese Aufklärungen werden zur Kenntnis genommen. Mitteilungen. Herr Stadtrat Franz Gall erstattet nun folgende Mit¬ teilungen: 1. Der Schulausschuß der gewerblichen Fortbildungsschule dankt für die Wiederüberlassung von Schullokalitäten und für die erhaltene Subvention von 200 K. Zur Kenntnis. — Z. 26.089. 2. Das städtische Kasseamt berichtet, daß das Ergebnis der Hundeversteuerung heuer eine Einnahme von 3935 K ergab, und zwar gegen das Vorjahr weniger um 85 K. Zur Kenntnis. — Z. 27.716. 3. Das Bürgermeisteramt Bergreichenstein dankt für die erhaltenen 25 K für die bei den letzten Unruhen verletzten deutschen Volksgenossen. Zur Kenntnis. — Z. 27.851. 4. Das unif. bewaffn. Bürgerkorps in Steyr ladet zu dem am 2. Dezember 1908 stattfindenden Kaiser=Jubiläums=Fest¬ konzert ein. Zur Kenntnis. — Z. 28.573. 5. Die Gemeinde=Vorstehung Garsten äußert sich über die Veranstaltung von Höhenfeuern im dortigen Gemeindegebiete anläßlich des 60jährigen Regierungs=Jubiläums Sr. Majestät des Kaisers. Zur Kenntnis. — Z. 28.190. 6. Einladung des Gemeinderates zu der am 28. November d. J. stattfindenden Protestversammlung gegen die Slavisierungs¬ bestrebungen in Deutsch=Oesterreich. Zur Kenntnis. — Z. 28.702. Herr G.=R. Dr. Franz Angermann bringt im Sinne des § 18 der Geschäftsordnung folgenden Dringlichkeits¬ antrag ein: Löblicher Gemeinderat der l. f. Stadt Steyr! In letzterer Zeit haben die Deutschen Oesterreichs die be¬ trübende Erfahrung machen müssen, daß die Slaven unseres Reiches im Süden und Norden heftige Vorstöße zur Ausbreitung ihrer Macht und ihres Einflusses unternehmen und daß das Slaventum infolge Mangels an energischen Maßnahmen der Regierung immer mehr an Ausdehnung und Bedeutung gewinnt. Dazu kommt noch das betrübende Moment, daß diese Vor¬ stöße seitens der Slaven in maßlosester Art und Weise geübt wurden, so daß dadurch die persönliche Sicherheit und das Hab und Gut der deutschen Volksgenossen arg gefährdet und tatsäch¬ lich auch geschädigt wurden. Durch die Deutschenhetzen in Schüttenhofen, Bergreichen¬ stein, Laibach =Cilli und insbesondere in letzterer Zeit in Prag wurden unerhörte Gewalttätigkeiten gegen unsere deutschen Volksgenossen begangen, welche eine einmütige energische Ab¬ wehr erfordern, um diese Gewaltvorstöße des Slaventums mit aller Macht zurückzuweisen. Die deutschen Gemeindevertretungen von ganz Oesterreich, die Landtage der deutschen Provinzen haben einmütigst energische Proteste dagegen erhoben und auch die deutsche Stadt Steyr und ihre deutschen Bewohner müssen sich diesen Protestkund¬ gebungen anschließen und ihre Stimmen gegen diese Vergewalti¬ jungen des deutschen Volkes in Oesterreich erheben. Deshalb stellt die 1. Sektion im Sinne des § 28 der Geschäftsordnung den Dringlichkeits=Antrag: Der löbliche Gemeinderat wolle beschließen folgende Protest=Kundgebung: Der Gemeinderat der l. f. Stadt Steyr spricht seine tiefe Entrüstung über das gewalttätige Vorgehen der Slaven gegen die deutschen Volksgenossen aus, wodurch die persönliche Sicherheit derselben und deren Hab und Gut arg gefährdet und tatsächlich geschädigt wurden. Derselbe protestiert gegen die lässige Haltung der Regierung bei diesen gewalttätigen Vorstößen der Slaven, insbesondere bei den letzten empörenden Vorkommnissen in Prag, und erwartet von allen deutschen Abgeordneten, daß dieselben im Parlamente ohne Rücksicht auf die Regierung mit aller Energie dahin wirken werden, daß solche maßlose Ausschreitungen gegen die deutschen Volks¬ genossen rechtzeitig verhindert und den unschuldigen Opfern derselben voller Ersatz geleistet werde. Steyr, den 27. November 1908. Für die I. Sektion: Dr. Angermann m. p. Sowohl die Dringlichkeit wie der Antrag selbst werden mit allen gegen 4 Stimmen angenommen.

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