Ratsprotokoll vom 10. Juli 1908

2 allein weit über 300 Handelsgewerbe=Inhaber sich befinden, welche gewiß alle gegen die vollständige Sonntagsruhe sind während sich nur zirka 70 Handelsangestellte hier befinden — zu ersuchen, die vollständige Sonntagsruhe für Steyr auf keinen Fall und unter keinen Umständen einführen zu wollen. Steyr, 7. Juli 1908. F. Gründler m. p. Rudolf Haslinger m. p. J. Kollmann m. p. Josef Hiller m. p. F. Reitter m. p. G. Bruckschweiger m. p. Karl Heindl m. p. Karl Wöll m. p. L. Köstler m. p. Peter Steinhuber m. p. Franz Nothhaft m. p. Zur Begründung dieses Antrages führt Herr G.=R. Haslinger aus: Steyr ist eine Stadt, die in wirtschaftlicher Beziehung auf seine Umgebung angewiesen ist. Die Geschäfts¬ leute von Steyr sind hauptsächlich auf den Zuzug vom Lande angewiesen. Größere Städte, wie Graz, Wien 2c., können für sich allein die Geschäfte machen. Wenn der Landbevölkerung die Möglichkeit genommen wird, ihren Bedarf an Sonntagen in Steyr zu decken, wird die Landbevölkerung auch keine Veran¬ lassung haben, an Sonntagen nach Steyr zu kommen und viele Geschäftsleute, wie Wirte, Bäcker und Fleischhauer werden dadurch großen Schaden erleiden. Es ist daher kaum ein Gewerbe, welches nicht von dieser Frage aufs tiefste berührt wird. Auch ein großer Teil der Arbeiterschaft hat an Wochentagen nicht Zeit, seine Einkäufe zu besorgen, und auch diese würden es als einen Eingriff in ihre Rechte betrachten, wenn ihnen die Mög¬ lichkeit des Einkaufes an Sonntagen genommen würde. Die Stadt Wels hat auch einen gleichlautenden Antrag angenommen. Er glaube, daß der löbliche Gemeinderat die Ueberzeugung mit ihm teilen werde, daß im Interesse sämtlicher Gewerbe¬ treibenden gegen die geplante vollständige Sonntagsruhe Stellung genommen werden müsse. Herr G.=R. Triebrunner macht aufmerksam, daß in Linz eine mächtige Bewegung wegen Einführung der vollstän¬ digen Sonntagsruhe sich bemerkbar gemacht hat, welche von der Bevölkerung unterstützt wird. Die Linzer Bevölkerung ist über¬ zeugt, daß die Einführung der vollständigen Sonntagsruhe ganz gut geht. Nächdem die Einführung der vollständigen Sonntags¬ ruhe in Linz an die Bedingung geknüpft ist, daß dieselbe auch in Steyr eingeführt werde, so soll man nicht von vornherein dieser Sache die Spitze abbrechen, zumal ja ein Statthalterei¬ Erlaß in dieser Angelegenheit nicht vorliegt. Er halte diese Angelegenheit dermalen für verfrüht. Herr G.=R. Haslinger entgegnet hierauf, daß die k. k Statthalterei in Orten von über 6000 Einwohnern die Sonntags¬ ruhe dekretieren kann, ohne die betreffenden Orte vorher um das Einverständnis zu fragen. Linz habe 700 bis 900 Handels¬ angestellte und auf die müsse allerdings Rücksicht genommen werden. In Steyr seien nur 70 Handelsangestellte, welche für die vollständige Sonntagsruhe sind, wogegen alle Geschäftsleute in Steyr, welche in der Mehrzahl sind, nicht dafür eintreten. Herr Altbürgermeister Viktor Stigler unterstützt eben falls den Dringlichkeitsantrag, weil der Zuzug der Landbevölkerung nach Steyr an Sonntagen ein großer ist und an diesem Tage viel Geld in Steyr umgesetzt wird. Linz habe schon bei der restringierten Sonntagsruhe die Erfahrung machen müssen, daß der Besuch der Landbevölkerung ein bedeutend geringerer war. Für den Antrag des Herrn G.=R. Haslinger spreche auch das „Recht auf Arbeit“. Er sehe nicht ein, daß die Handels= und Gewerbetreibenden gegen ihren Willen sich der Arbeit und des Verdienstes enthalten sollen, weil ein kleiner Teil von Hilfs¬ arbeitern dies haben will. Der Herr Vorsitzende bringt nun den Dringlichkeitsantrag zur Abstimmung und wird derselbe mit allen gegen 3 Stimmen angenommen. — Z. 17.682. Mitteilungen. Herr Stadtrat Franz Gall erstattet sodann folgende Mit¬ teilungen: 1. Der Männergesangverein „Kränzchen“ dankt für die namhafte Subvention, für die Ueberlassung der Industriehalle und für die Verleihung des Bürgerrechtes an den Ehrenvorstand und übermittelt ein Exemplar der Festschrift. Zur Kenntnis. — Z. 17.336. 2. Das Komitee für die Veranstaltung des Koch= und Haushaltungskurses dankt für die Ueberlassung der Industrie¬ halle und für die Subvention von 200 K und bittet gleichzeitig um Gestattung der Unterbringung der Geräte und Geschirre im Holzraume der Industriehalle. Zur Kenntnis. — Z. 17.304. 3. Der Sportfestausschuß des deutchen Radfahrerbundes dankt für die erhaltene Subvention. Zur Kenntnis. — Z. 15.863. 4. Die Schützengesellschaft in Steyr dankt für die erhaltene Subvention. Zur Kenntnis. — Z. 17.161. 5. Der Gabelsberger Stenographen=Verein dankt für die Subvention von 50 K. Zur Kenntnis. — Z. 17.150. 6. Der Akademische Senat der k. k. Wiener Universität dankt für die Spende von 50 K für das Studentenheim. zur Kenntnis. — Z. 17.211. 7. Der Verein „Styria“ deutscher Hochschüler in Wien dankt für die ihm zugewendete Spende. Zur Kenntnis. — Z. 17.042. Hierauf Erledigung der Tagesordnung. I. Sektion. Referent: Sektionsobmann Herr G.=R. Dr. Franz Angermann. 1. Gesuche um Aufnahme in den Gemeindeverband der Stadt Steyr und Beschlußfassung in einer Heimats¬ angelegenheit. Wird vertraulich behandelt. 2. Erneunung eines Reservei=Wachmannes. Laut vorliegendem Amtsbericht sind um die erledigte Re¬ servewachmann= Stelle drei Gesuche eingelangt, von welchen das Gesuch des Franz Neckhaim das berücksichtigungswürdigste ist. Die Sektion stellt daher den Antrag: Der löbliche Gemeinderat wolle beschließen: Es werde die zu besetzende Stelle eines städt. Reserve=Wachmannes dem Gesuchsteller Franz Neckhaim unter den systemisierten Bedin¬ gungen verliehen. Herr G.=R. Triebrunner stellt den Antrag, daß der¬ artige Gegenstände in Hinkunft vertraulich behandelt werden und erörtert die Gründe hiefür. Hierauf wird der Antrag der Sektion und jener des Herrn G.=R. Triebrunner einstimmig angenommen. — Z 134 V. P. 3. Rekurs gegen eine Armenrats=Entscheidung. Ueber den Rekurs des Vormundes gegen die Entscheidung des städt. Armenrates vom 1. Juni 1908, Z. 10.381, wegen verweigerter Erhöhung des Erziehungsbeitrages für seine Mündel Paula, August und Julius Turainsky stellt die I. Sektion den Antrag: Der löbl. Gemeinderat wolle beschließen: Es werde dem Rekurse des Ignaz Wurzer als Vormund der minderjährigen drei Kinder der Ludmilla Turainsky gegen die Entscheidung des städt. Armenrates vom 1. Juni 1908, Z. 10.381, insofern statt¬ gegeben, als für die Alimentierung der drei Kinder vorläufig auf ein Jahr ein monatlicher Zuschuß 2 K per Kind bewilligt wird. Im Falle die Mutter aber wieder erwerbsfähig wird, hat dieser Zuschuß zu unterbleiben. Einstimmig nach Antrag. — Z. 15.950. 4. Eingabe der Zentralstelle für Wohnungsreform n Oesterreich um Anschluß an die Petition betreffs Aufnahme von Bestimmungen über das Erbhaurecht in das Gesetz betreffend die Aenderung und Ergänzung einiger Bestimmungen des allgem. bürgerl. Gesetzbuches. Der Herr Referent gibt zunächst bekannt, daß schon vor drei Jahren die Regierung ein Komitee beauftragt hat, Anträge über Aenderungen und Ergänzungen zum bürgerlichen Gesetzbuch zu stellen. Die betreffende Gesetzesnovelle sei bereits dem Herren¬ hause unterbreitet worden. Hieran soll noch ein eigenes Haupt¬ stück gegliedert werden, nämlich das Erbbaurecht. Redner erläutert in längerer Ausführung die in der Pe¬ tition enthaltenen Auseinandersetzungen über das Erbbaurecht, sowie den eminent volkswirtschaftlichen Wert desselben. Das Erbbaurecht, welches ein dingliches, vererbliches und veräußer¬ liches Recht ist, bezwecke, 1. daß Gründe, die vom Eigentümer nicht verbaut werden, eventuell von einem dritten verbaut werden, somit einer Verminderung der Wohnungsnot entspricht und 2. daß die Häuser viel billiger gebaut werden können, weil der Erbauer den teuren Grund nicht ankaufen muß, sondern nur eine kleine Grundrente an den Grundeigentümer zu zahlen hat, somit auch die Wohnungen billiger vermietet werden können. Der volkswirtschaftliche Vorteil in dem Erbbaurechte liege darin, daß der gemeinnützige Wohnungsbau gefördert wird und daß billige Wohnungen geschaffen werden können. Selbstver¬ tändlich dürfe das Erbbaurecht der Privatspekulation nicht überlassen werden, sondern dieses Recht dürfe nur jenen Faktoren eingeräumt werden, die im öffentlichen Interesse den Grund zur Verbauung hergeben, das sind der Staat, das Land und die Gemeinden. Durch das Erbbaurecht könne der Wohnungsnot abgeholfen werden, ohne daß z. B. die Gemeinde Geld für den Bau aus¬ zugeben hat und werde der Grundeigentümer nach Ablauf von 70 Jahren auch Eigentümer des auf seinem Grunde erbauten Hauses. Aus den erörterten Gründen solle auch die Stadt Steyr für das Erbbaurecht eintreten und stellt daher die l. Sektion den Antrag: Der löbliche Gemeinderat wolle beschließen: Es werde seitens des Gemeinderates von Steyr je eine Petition an das hohe Herrenhaus des Reichsrates und an das hohe k. k. Justiz¬ ministerium in Wien eingebracht, in welcher gebeten wird, die Bestimmungen über das Erbbaurecht in dem von der Zentral¬ stelle für Wohnungs=Reform in Oesterreich vorgeschlagenen Sinne und Umfange bei Beratung über das Gesetz betreffend die Aenderung und Ergänzung des allgem. bürgerl. Gesetzbuches in Beratung zu ziehen und die dafür geltend gemachten Gründe zu würdigen. Einstimmig nach Antrag. — Z. 15.258. 5. Rekurs gegen eine sanitätspolizeiliche Ver¬ fügung des Herrn Bürgermeisters. Ueber den vorliegenden Rekurs des August Mitter, Haus¬ besitzer, Sierningerstraße Nr. 30, gegen die bauämtliche Ver¬ fügung vom 12. Juni 1908, Z. 14.572, wegen Schließung eines Stallfensters, stellt die I. Sektion den Antrag: Nachdem gemäß § 33 der städt. Bauordnung vom 13. März

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