Ratsprotokoll vom 19. Dezember 1906

Rats-Protokoll über die außerordentliche Sitzung des Gemeinderates der k. k. l. f. Stadt Steyr am 19. Dezember 1906. Gegenwärtig: Der Vorsitzende: Herr Bürgermeister Viktor Stigler. Der Vizebürgermeister Herr Franz Lang. Die Herren Gemeinderäte: Dr. Franz Angermann, Leopold Anzengruber, Gottlieb Bruck¬ schweiger, Alexander Busek, Gottlieb Dantlgraber, Ferdinand Gründler, Ferdinand Handstanger, Rudolf Haslinger, Karl Heindl, Josef Hiller, Leopold Köstler, Michael Meditz, Hans Millner, Franz Nothhaft, Ferdinand Reitter, Wilhelm Schertler, Otto Schönauer, Rudolf Sommerhuber, Anton Stippl, Josef Tureck und Max Willner. Schriftführer: Städt. Offizial Herr Franz Schmidbauer. Entschuldigt abwesend sind die Herren Gemeinderäte: Josef Wolf und Johann Kollmann. Der Herr Vorsitzende konstatiert die Beschlußfähigkeit des Gemeinderates und erklärt um 3 Uhr nachmittags die Sitzung für eröffnet. Zu Verifikatoren dieses Protokolles werden gewählt die Herren Gemeinderäte Leopold Anzengruber und Alexander Busek. Der Herr Vorsitzende gibt bekannt, daß die 1. Sektion im Sinne des § 16 der Geschäfts=Ordnung an Stelle des verstorbenen Herrn G.=R. Aelschker aus ihrer Mitte Herrn G.=R. Hans Millner zum Obmann=Stellvertreter gewählt habe. Die Ursache warum er die heutige außerordentliche Sitzung einberufen habe, sei folgende: Von der Stadt Budweis ist ein Notschrei hieher gekommen, worin dringendst gebeten wird, diese Stadt in ihrer nationalen Bedrängnis zu unterstützen. Dieser Notschrei ist nicht nur an die Stadt Steyr, sondern an alle Städte deutschen Charakters abgegangen. Auf Grund statutarischer Bestimmungen hätte er diese Angelegenheit im eigenen Wirkungs¬ kreise erledigen können, aber um der Sache mehr Nachdruck zu verleihen, habe er sich entschlossen, dieselbe dem löblichen Ge¬ meinderate zur Beschlußfassung vorzulegen. Er habe die Zuschrift der Stadt Budweis der 1. Sektion zugewiesen und ersuche er den Obmann derselben, Herrn G.=R. Dr. Angermann, diese An¬ gelegenheit zum Vortrage zu bringen. Herr G.=R. Dr. Angermann verliest folgende Zuschrift: Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Auch Ihnen ist gewiß der schwere Kampf bekannt, den die Budweiser Deutschen um ihre nationale Existenz gegen die Tschechen zu führen gezwungen sind. Mit unerschöpflichen Geldmitteln arbeiten die Tschechen an der Erorberung dieser seit Jahrhunderten deutschen Stadt. Hunderttausende von Kronen wurden schon von den Tschechen aufgebracht, mit deren Hilfe tschechische Industrie=Unternehmungen geschaffen, Hunderte von tschechischen Arbeiterfamilien nach Budweis gezogen und für die letzten, anfangs November statt¬ gefundenen Gemeindewahlen Hunderte von fingierten tschechischen Wählern geschaffen wurden. Nach vierzigjährigem Kampfe ge¬ lang es auf diese Weise den Tschechen diesmal mit einer Mehr¬ heit von 96 Stimmen den dritten Wahlkörper in die Hände zu bringen. Selbstverständlich werden die Tschechen trachten, auch die beiden ersten Wahlkörper zu Falle zu bringen. Mit dem Uebergange von Budweis in tschechische Hände wäre auch das nationale Schicksal Südböhmens besiegelt, ja sogar die angrenzen¬ den Gebiete Nieder= und Oberösterreichs von der Tschechisierung bedroht. Es ist daher die Pflicht aller Deutschen, an der Erhaltung des Deutschtums in Budweis mitzuarbeiten, da dies ja im Interesse des gesamten österreichischen Deutschtums gelegen ist Der heurige deutsch=österreichische Städtetag in Wels hat auch in Anerkennung der nationalen Bedeutung von Budweis dies¬ bezügliche Beschlüsse gefaßt, ebenso der deutsche Volksrat für Böhmen. Der derzeitige Gemeindeausschuß von Budweis, der bis zur Erledigung des von den Deutschen gegen die erwähnte Wahl eingebrachten Protestes rechtlich fortbesteht, hat nun in seiner letzten Sitzung 24 um das Deutschtum in Oesterreich im Allgemeinen und Budweis insbesondere hochverdiente und hoch¬ ansehnliche Männer zu Ehrenbürgern ernannt, wozu derselbe auch unstreitig das gesetzlich gewährleistete Recht hat. Auch wurde die Ernennung in vollkommen gesetzmäßiger Weise vollzogen. Diese Ausübung, eines jeder Gemeinde gesetzlich zustehen¬ den Rechtes, hat nun die tschechische Partei in Budweis in förmliche Wutausbrüche versetzt. In Versammlungen und Zeitungen wird geradezu die Vernichtung aller Deutschen ge¬ predigt. Ueber die deutschen Gewerbetreibenden wurde seitens der Tschechen der Boykott verhängt, um dieselben wirtschaftlich zu ruinieren. Führenden deutschen Persönlichkeiten wird in diesen Versammlungen mit dem Revolver und mit Dynamit gedroht. Die Gemeindeausschußmitglieder, die für die Ernennung der Ehrenbürger stimmten, werden in den tschechischen Blättern namentlich mit Angabe ihrer Wohnungen angeführt und der tschechische Mob aufgefordert, an denselben Rache zu üben, ohne daß die Staatsanwaltschaft gegen diesen Terrorismus, der dar¬ auf berechnet ist, die deutsche Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, einschreitet. Die Deutschen von Budweis stehen gänzlich schutzlos da. Aber nicht nur der einheimische tschechische Mob wird gegen die Deutschen mobilisiert, sondern auch alle auswärtigen tschechischen Kreise Böhmens arbeiten an der Vergewaltigung der Budweiser Deutschen mit. Sämtliche tschechischen Städte haben an den Statthalter von Böhmen und den Ministerpräsidenten Telegramme ge¬ richtet, in welchen die Auflösung des jetzigen Gemeindeaus¬ schusses verlangt wird, lediglich nur darum, weil er von einem ihm gesetzlich zustehenden Rechte Gebrauch gemacht und Ehren¬ bürger ernannt hat, eventuell auch noch Bürgerrechte an Deutsche verleihen könnte. Die Tschechen verlangen also kurzweg von der Regierung eine Verletzung, eine Einschränkung der Gemeinde=Autonomie, alles nur, weil der Budweiser Gemeindeausschuß ein deutscher ist und eventuell zum Schutze der Deutschen von seinen gesetzlichen Rechten Gebrauch zu machen bereit ist. Wir appellieren an das Solidaritätsgefühl und die In¬ teressen=Gemeinschaft aller deutsch=österreichischen Gemeindewesen und bitten Sie, sehr geehrter Herr Bürgermeister, auf das Dringendste, sofort namens des Stadtrates oder des Gemeinde¬ ausschusses Ihrer Stadt ebenfalls die Absendung eines Tele¬ grammes an den Herrn Minister=Präsidenten (und den Statt¬ halter von Böhmen) zu veranlassen, in welchem in energischer Weise Schutz für die Deutschen von Budweis gefordert und auf das Entschiedenste gegen eine jede Verletzung der Gemeinde¬ Autonomie, gegen den Terrorismus der Gasse, der die autonomen und staatlichen Behörden von gesetzlich gewährleistetem Rechte abdrängen will, Verwahrung eingelegt wird. Wir bitten nochmals auf das Dringendste um Ihre gütige Inschutznahme unserer gemeinsamen deutschen Sache sowie um Ihre freundliche diesbezügliche Nachricht. Mit treu=deutschem Gruße für den Ortsrat Budweis des deutschen Volksrates für Böhmen: Der Obmann: Josef Taschek.

2 Der Herr Referent bemerkt hiezu: Wie ja bekannt, hat der Gemeinderat von Steyr der Stadt Budweis bereits eine nationale Hilfe in Form einer Spende von 300 K angedeihen lassen und einen gleichen Betrag auch für das Jahr 1907 be¬ willigt. Heute handle es sich um eine moralische Unterstützung. Zahllose tschechische Gemeinden haben an den Minister=Präsidenten und an den Statthalter in Prag Telegramme abgesendet, in welchen die Auflösung des Gemeindeausschusses von Budweis verlangt wird, lediglich darum, weil die Gemeinde Budweis von ihrem Rechte Gebrauch gemacht und Ehrenbürger ernannt hat. Es ist eine nationale Pflicht der deutschen Gemeindever¬ tretung von Steyr, gegen diese Vorkommnisse Stellung zu nehmen, und zwar in erster Linie zum Schutze für die Deutschen in der Stadt Budweis und in zweiter Linie zur Wahrung der eigenen Gemeinde=Autonomie. Die I. Sektion stellt daher folgenden Antrag: Der löbliche Gemeinderat wolle beschließen: Es werde eine telegraphische Depesche an den Minister=Präsidenten und den Statthalter von Böhmen namens des Gemeinderates von Steyr um Schutz für die Deutschen in Budweis gebeten und auf das Entschiedenste gegen eine jede Verletzung der Gemeinde=Autonomie, gegen den Terrorismus der Gasse, der die autonomen und staat¬ lichen Behörden von gesetzlich gewährleistetem Rechte abdrängen will, Verwahrung eingelegt. Herr G.=R. Dantlgraber bemerkt, er stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn seitens der Gemeinde Budweis keine Ueberschreitungen vorgekommen wären, auch die Möglichkeit nicht vorhanden wäre, die Autonomie der Gemeinde Budweis einzuschränken. Er teile die Befürchtungen des Herrn Referenten nicht und halte es nicht für notwendig, irgend einen Beschluß zu fassen und die Stadt Budweis zu schützen, und er stimme daher für den Sektionsantrag nicht, weil derselbe die Stadt Budweis vor der Tschechisierung doch nicht wird schützen können Herr G.=R. Millner bemerkt, er könne sich diesen Aus¬ führungen des Herrn G.=R. Dantlgraber nicht anschließen und er appelliere an die deutsch gesinnten Herren Gemeinderäte, sie mögen dem Sektionsantrage zustimmen. Herr G.=R. Schertler spricht sich gegen eine materielle Unterstützung der Stadt Budweis aus, doch sei er für die Ab¬ sendung der beantragten Depeschen. Der Herr Referent bemerkt, er finde den Standpunkt des Herrn G.=R. Dantlgraber begreiflich, denn derselbe gehöre der internationalen sozialdemokratischen Partei an. Der deutsch ge¬ sinnte Gemeinderat stehe aber auf einem anderen Standpunkte. Er steht auf dem Standpunkt, das Deutschtum und die Gemeinde¬ Autonomie zu erhalten und hat die Pflicht, bei jeder Gelegenheit dafür einzutreten. Nachdem von Seite der tschechischen Städte Telegramme an den Minister=Präsidenten und den Statthalter von Böhmen gegen die Gemeinde=Autonomie der Stadt Budweis abgegangen sind, müssen auch die deutschen Städte eine solche Gegenkundgebung beschließen. Bei der Abstimmung wird der Antrag der Sektion mit allen gegen eine Stimme angenommen. Hierauf Schluß der Sitzung. Der Vorsitzende:

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