2 „Es werde eine Petition seitens des Gemeinderates der Stadt Steyr an die hohe k. k. Regierung mit der ergebenen Bitte eingebracht, daß mit Rücksicht auf die Einwohner¬ zahl der Stadt Steyr, daß in Anbetracht der hervorragen¬ den Bedeutung der Stadt Steyr als Industriestätte und daß in Hinsicht auf die gleichen Bestrebungen anderer gleich großer Städte bei der Wahlreform der Stadt Steyr ein eigener Wahlbezirk mit einem eigenen Abgeordneten zu¬ geteilt werde. Sollte dieser wohlgegründeten Bitte nicht stattgegeben werden können und sollte die Stadt Steyr nicht allein, sondern wieder mit anderen Orten der Umgebung in einen Wahlbe¬ zirk eingeteilt werden, so ist seitens der Gemeindevertretung von Steyr dringendst die ergebene Bitte zu stellen, daß die Stadt Steyr nur mit den größeren Orten des politischen Be¬ zirkes Steyr zu einem Wahlbezirk vereinigt werde, also mit Bad Hall, Kremsmünster, Neuzeug, Sierninghofen, Sierning, Weyer, weil die im politischen Bezirke Kirchdorf gelegenen, bisher in den Wahlbezirk Steyr eingereihten Ortschaften von Steyr zu entfernt gelegen sind und infolge dessen auch wenige gegenseitige Beziehungen und mindere Interessengemeinschaft bestehen können. Obwohl diese Stellungnahme des Gemeinderates zur Wahl¬ kreiseinteilung ausführlich begründet war und insbesondere darauf hingewiesen wurde, daß die Stadt Steyr mit Rücksicht auf ihre Einwohnerzahl und auf die weltbekannte Bedeutung als Industriestadt ersten Ranges, dann als das zweitgrößte Gemeinwesen Oberösterreichs mit Fug und Recht einen eigenen Wahlkreis mit einem Abgeordneten beanspruchen kann, da der Stadt Linz sogar drei Abgeordnete zugesprochen worden sind, ist diese Petition der Stadt Steyr nicht nur unberücksichtigt ge¬ blieben, sondern es wurden im Wahlreform=Ausschusse des Abge¬ ordnetenhauses noch eine Reihe von Orten und Ortschaften in den Steyrer Wahlkreis einbezogen, wie z. B. Grein, Perg, Mauthausen Spital am Pyhrn, Windischgarsten, Kirchdorf, Michldorf, welche nicht nur weit abseits vom Hauptwahlorte gelegen sind, sondern auch ganz andere Interessen und Wünsche vertreten, als der Hauptwahlort Steyr und seine nächste mit ihm in stetem wirtschaftlichen und sozialen Verkehre stehende Umgebung. Da diese Bildung des Wahlkreises der Stadt Steyr erfolgt ist ohne daß die Vertretung der Stadt Steyr von irgend jemanden um ihre Meinung oder ihr Gutachten gefragt worden wäre, sondern lediglich hinter dem Rücken der Wählerschaft unserer Stadt und nur im Interesse gewisser ohnedies bekannter politischer Parteizwecke zustande kam, diese Wahlkreiseinteilung jedoch den Interessen der Wählerschaft unserer Stadt und ihrer Umgebung nicht entspricht, so ist es Pflicht des Gemeinderates von Steyr, in dieser Frage nochmals Stellung zu nehmen und sowohl an den Wahlreform=Ausschuß des Abgeordnetenhauses als auch an die hohe Regierung heranzutreten, um noch eine Abänderung dieser Wahlkreiseinteilung für den Wahlbezirk Steyr zu erreichen. Nach der Regierungsvorlage sollen zu dem Industrial¬ Wahlkreis Steyr folgende Orte eingeteilt werden: Stadt Steyr, Markt Weyer, Markt Kremsmünster, Windischgarsten, Kirchdorf, Enns, Grein, Perg, Micheldorf, Hall. Ortschaften: Sierning, Sierninghofen, Neuzeug, Trattenbach =Wendbach, Neuschönau, Spital, Grünburg, Steinbach, Mauthausen. Davon liegen die Orte Kirchdorf, Michldorf, Spital am Pyhrn, Windischgarsten, Mauthausen Perg und Grein weit ab von Steyr, so daß der geschäftliche Verkehr zum Hauptwahlorte nur ein geringer, und dadurch auch fast keine Interessengemeinschaft vorhanden ist, zudem sind nur wenige dieser Orte Industrialorte, was bei Steyr am meisten in die Wagschale fällt. Mit dieser Wahlkreiseinteilung ist weder der Stadt Steyr und ihrer Umgebung, noch auch den Orten im Kremstale und im Mühlviertel gedient, weil die Verhältnisse überall verschieden sind. Dazu kommt, daß die Wählerschaft des Hauptwahlortes Steyr durch die Wählerschaft der auswärtigen Orte des Wahlbezirkes total erdrückt würde, so daß die Stadt Steyr als die zweitgrößte Stadt des Landes und als autonomes städtisches Gemeinwesen bei den künftigen Reichsratswahlen niemals mehr einen entscheidenden Einfluß auf das Wahlresultat nehmen könnte; die Stadt Steyr würde für die künf¬ tigen Reichsratswahlen bei dieser Zusammen¬ setzung des Wahlkreises durch die 18 auswärtigen Wahlorte einfach mundtot gemacht. Nachdem die Stadt Steyr schon bei der heutigen Zusammen¬ setzung des Wahlbezirkes mit 12 auswärtigen Wahlorten die Erfahrung gemacht hat, daß dieselbe durch das Anwachsen der Wählerschaft in den auswärtigen Orten majorisiert wurde und das Resultat der letzten Reichsratswahlen nicht der Mehrheit der Wählerschaft des Hauptwahlortes Steyr entsprach, so muß die Stadtvertretung von Steyr umsomehr gegen die in der neuen Wahlkreiseinteilung vorgesehene Vermehrung von solchen auswärtigen Orten von 12 auf 18 Stellung nehmen, und noch in letzter Stunde alle Hebel in Bewegung setzen, um eine Ab¬ änderung dieser Wahlkreiseinteilung durchzusetzen. Mit Bezug auf die bereits zufolge Gemeinderatsbeschlusses vom 19. Jänner 1906 an die hohe k. k. Regierung überreichte Petition stellt demnach die I. Sektion folgenden Dringlichkeits=Antrag: Der löbl. Gemeinderat wolle beschließen: Es werde nochmals eine Petition an die hohe k. k. Re¬ gierung mit der dringenden und ergebenen Bitte eingebracht, daß im Einvernehmen mit dem Wahlreform =Ausschusse des hohen Abgeordnetenhauses die Aenderung der Wahlkreisein¬ teilung in Oberösterreich derart vorgenommen werde, daß die Stadt Steyr mit Rücksicht auf die Einwohnerzahl, in Anbe¬ tracht ihrer hervorragenden Bedeutung als Industriestätte und als autonomes städtisches Gemeinwesen einen eigenen Wahl¬ kreis mit einem Abgeordneten zugeteilt erhält. Sollte dieser wohlbegründeten wiederholten Bitte nicht stattgegeben werden können und die Stadt Steyr wieder mit auswärtigen Orten zu einem Wahlkreis vereinigt werden, so wird das dringende Ersuchen gestellt, daß dann die Stadt Steyr nur mit den größeren Orten ihrer Umgebung zu einem Wahlkreise vereinigt werde, also mit: Enns, Bad Hall, Kremsmünster, Neuzeug, Neuschönau, Tratten¬ bach, Sierning, Sierninghofen und Weyer weil die im politischen Bezirke Kirchdorf und die jenseits der Donau gelegenen Orte des Mühlviertels von Steyr weit abgelegen sind und deshalb zwischen diesen Orten und dem Hauptwahl¬ orte Steyr nur geringe geschäftliche Beziehungen und mindere Interessengemeinschaft bestehen, so daß eine abgesonderte Ver¬ tretung der Stadt Steyr und der angegebenen Orte ihrer Um¬ gebung im Reichsrate als ein Gebot der Billigkeit und Ge¬ rechtigkeit erscheint. Die Dringlichkeit dieses Gegenstandes wird mit Majorität angenommen. Herr G.=R. Schertler spricht sich für die Annahme dieses Antrages aus. Herr G.=R. Dantlgraber glaubt, daß die beantragte Ein¬ gabe an die Regierung bereits verspätet sei; es werde in Angelegen¬ eit der Wahlreform nichts mehr zu erreichen sein. Da der Mann, der heute den Wahlbezirk Steyr im Reichsrate vertrete, für die Industrie und für die Interessen der Arbeiterschaft wirken kann und es auch tut, so hätte man sich an ihn wenden müssen, daß er im Wahlreformausschusse auf eine andere Wahlkreiseinteilung hinarbeite; das ist nicht geschehen. Aus diesen Gründen könne er weder für die Dringlichkeit des vorliegenden Antrages, noch für den Antrag selbst stimmen. Die Arbeiterschaft ist mit der gegenwärtigen Wahlbezirkseinteilung ganz einverstanden und aus diesem Grunde stimme er gegen den Dringlichkeitsantrag. Herr G.=R. Dr. Angermann erwidert, daß der Mann, den Herr Dantlgraber offenbar meint, im Wahlreformausschusse weder Sitz noch Stimme hat. Bei der Abstimmung wird der Dringlichkeitsantrag mit allen gegen eine Stimme angenommen. Hierauf Erledigung der Tagesordnung. I. Sektion. Referent: Sektionsobmann Herr G.=R. Dr. Franz Angermann. Erörterung einer mit der eventuellen Errichtung eines Justizgebäudes zusammenhängenden Angelegenheit. . Gesuche um Aufnahme in den Gemeindeverband der Stadt Steyr und um Bürgerrechtsverleihung. 2. Personal=Ansuchen. Die Punkte 1 und 2 werden vertraulich behandelt. 3. Genehmigung des mit Rosalia Schäffel abzu¬ schließenden Versorgungs=Vertrages und Beschlußfassung über die Verwendung des von der Genannten an die Stadtgemeinde Steyr übergebenen Vermögens. Dieser Vertrag lautet: Versorgungs=Vertrag, welcher zwischen der Stadtgemeinde=Vorstehung Steyr einerseits und der Rosalia Schäffel, Inwohnerin in Steyr, Eisenstraße 8, abgeschlossen wurde, wie folgt: 1. Rosalia Schäffel übergibt ihr gesamtes Vermögen im Betrage von 8836 K, schreibe achttausendachthundertdreißigsechs Kronen, inneliegend in dem Sparkassebuche Nr. 46.882, dem Armenfonde der Stadt Steyr in das unbeschränkte Eigentum gegen dem, daß ihr die lebenslängliche Versorgung im Armen¬ verpflegshause zuteil wird. 2. Die Stadtgemeinde=Vorstehung Steyr als Verwalterin des Armenfondes übernimmt das von Rosalia Schäffel für den Armenfond Steyr angebotene Vermögen per 8836 K und ver¬ pflichtet sich, für diesen Betrag die Rosalia Schäffel, solange sie am Leben ist, vollständig zu versorgen, das heißt, ihr Unterstand und Verpflegung (Frühstück, Mittag= und Abendessen) im Armen¬ verpflegshause nebst Kleidung und Wäsche zu verabfolgen und ihr auch im Erkrankungsfalle die notwendige Hilfe angedeihen u lassen. Ueber speziellen Wunsch der Rosalia Schäffel erhält dieselbe zum Frühstück und zur Jause einen Kaffee. 3. Das von Rosalia Schäffel zum Zwecke ihrer lebens¬ länglichen Versorgung im Armenverpflegshause der Stadtgemeinde Steyr übergebene Vermögen per 8836 K bleibt auch dann un¬ beschränktes Eigentum der Stadtgemeinde Steyr, wenn dieselbe vor Aufzehrung dieses Vermögens freiwillig aus dem Armen¬ verpflegshause austreten oder früher mit Tod abgehen sollte. 4. Dieser Vertrag tritt mit heutigem Tage in Rechtskraft. Steyr, am 14. Juli 1906. Der Bürgermeister: Die vertragschließende Partei: Viktor Stigler m. p. Rosalia Schäffel m. p. L S.
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