Ratsprotokoll vom 9. August 1902

Rats-Protokoll über die außerordentliche Sitzung des Gemeinderates der k. k. l. f. Stadt Steyr am 9. August 1902. Gegenwärtig: Vorsitzender: Herr Vizebürgermeister Franz Lang. Die Herren Gemeinderäte: Edmund Aelschker, Dr. Franz Angermann, Leopold Anzengruber, Gottlieb Bruckschweiger, Alexander Busek, Ferdinand Gründler, Ferdinand Handstanger, Karl Heindl, Josef Hiller, Josef Huber, Leopold Köstler, Georg Lintl, Mathias Perz, Ferdinand Reitter, Josef Schachinger, Rudolf Sommerhuber, Gottfried Sonnleitner, Victor Stigler, Anton Stippl und Josef Tureck. — Ferner sind anwesend: Herr Stadtsekretär Franz Gall und als Schriftführer Herr Franz Schmidbauer. — Wegen Ab¬ wesenheit von Steyr haben sich schriftlich entschuldigt die Herren Gemeinderäte Dr. August Redtenbacher und Otto Schönauer. Der Herr Vorsitzende konstatiert die Beschlußfähigkeit des Gemeinderates, ersucht zu Verifikatoren die Herren Gemeinde¬ räte Leopold Anzengruber und Alexander Busek und erklärt um 10 Uhr vormittags die Sitzung für eröffnet. Hierauf gibt der Herr Vorsitzende bekannt, daß er vom Herrn Ingenieur Redl ersucht worden sei, dem löbl. Gemeinde rate seinen Dank im Namen der Familie Redl für die besondere Ehrung des Herrn Bürgermeisters bei dessen Bestattung zur Kenntnis zu bringen. Herr Stadtsekretär Franz Gall verliest die von nach¬ stehenden Persönlichkeiten, Behörden, Korporationen eingelangten Kondolenzschreiben und Telegramme. Es haben kondoliert: Ministerpräsident Dr. von Koerber; Landeshauptmann C Dr. Ebenhoch; k. k. Statthalter Graf Bylandt=Rheidt; Präsident Graf Vetter; Exzellenz Baron Puthon in Salzburg; Statt¬ haltereirat Dr. Adolf Ritter von Pitner; k., k. Kreisgerichts¬ Präsident Eigl; k. k. Staatsbahndirektor Messerklinger; Finanz¬ direktor Hofrat Dr. Nusco; Graf Weißenwolff als Präsident des Landeshilfsvereines vom roten Kreuz; Deutsche Fortschrittspartei im Abgeordnetenhause; Dr. Groß und Dr. Menger; Emil Dierzer von Tranntal; Vizepräsident der Handels= und Gewerbekammer; Oberst v. Bonelli; Kommandant und Offizierskorps des 10. Feld¬ jager=Bataillons: Primarius Dr. Brenner in Linz; Präsidial sekretär Robert Pruckmüller; Dechant Franz Falkner in Weyer; Kongregation der Gesellschaft Jesu; Landesgerichtsrat Edmund Schmidl; Beamten des k. k. Hauptsteueramtes Steyr; Beamten des k. k. Post= und Telegrafenamtes Steyr; Oberpostmeister Baumgartner, Bad Hall; Rudolf Weil; Baumeister Gürlich. Ferner die Städte: Wien, Waidhofen, Wiener Neustadt, Graz, Marburg, Cilli, Triest, Görz, Trient, Rovereto, Brünn, Iglau, Zuaim, Cernowitz, Linz, Wels, Ried, Gmunden, Freistadt, Grein. Ferner Bad Hall, Kirchdorf, Windischgarsten, Manthausen, Sankt Ulrich, Leitung der Knabenvolksschule Steyrdorf, Generaldirektion der Wolfsegg=Tranntaler Kohlenw.= und Eisenbahn=Gesellschaft, Gesellschaft für Gasindustrie in Angsburg, Direktion der Depo¬ sitenbank=Filiale, Bürgerkorps, Handelsgenossenschaft, Genossen¬ schaft der Kleidermacher, Radfahrerverein Styria, Verein Schla¬ rafsia, Israelitischer Kranken= und Beerdigungsverein, Fechtklub. Der Herr Vorsitzende teilt mit, daß er an die kondolieren¬ den Persönlichkeiten, Behörden, Korporationen, Vereine 2c. Dank schreiben hinausgegeben habe und hoffe, daß der löbliche Ge¬ meinderat damit einverstanden sei. Hierauf wird zur Wahl des Herrn Bürgermeisters ge¬ schritten, und ersucht der Herr Vorsitzende die Herren Gemeinde¬ räte Perz und Tureck, das Skrutinium zu übernehmen. Nach vorgenommener Wahl verkündet der Herr Vorsitzende, daß von 21 abgegebenen Stimmen 20 Stimmen auf Herrn Viktor Stigler fielen, womit derselbe einstimmig zum Bürger¬ meister der Stadt Steyr gewählt worden sei. (Bravorufe.) Der Herr Vorsitzende sagt sodann: Ich bringe dem neugewählten Herrn Bürgermeister meine besten Wünsche; er bringt die glänzendsten Eigenschaften für diese Stelle mit. Ich muß mir erlauben, auf meine Tätigkeit zurückzukommen. Ich bedaure unendlich die traurigen Ver¬ hältnisse, welche mich zur Amtsführung des Bürgermeisters be¬ rufen haben. Ich habe dieser Tätigkeit meine Person voll und ganz gewidmet; ich habe mit voller Uneigennützigkeit und Auf¬ wendung meiner ganzen Kräfte dieses Amt geleitet und es gereicht mir zur eigenen Beruhigung, daß ich mit voller Gewissenhaftig¬ keit und Gerechtigkeit dem Amte des Herrn Bürgermeisters vor¬ gestanden bin, solange es mir übertragen war. Ich danke den Herren allen für die Unterstützung, welche Sie mir während meiner Amtstätigkeit angedeihen ließen; ich danke auch den Herren Beamten und Angestellten der Stadt, welche durch ihre Pflichttreue mein Amt erleichtert haben. Und nun übergebe ich meine Amtstätigkeit dem neu gewählten Herrn Bürgermeister und wünsche, daß es ihm in der Zeit seines Wirkens möglich sein wird, viel Günstiges für die Stadt zu erreichen und daß ihm die allgemeine Auerkennung wie für sein bisheriges Wirken zuteil werden möge. Ich bitte den Herrn Bürgermeister, den Vorsitz zu übernehmen. Herr Bürgermeister Viktor Stigler übernimmt den Vorsitz mit folgender Ansprache: Hochgeehrter Gemeinderat! Geehrte Herren! Zwei Gefühle sind es, die in diesem für mich ernsten Augen¬ blicke meine Brust bewegen. Einmal die Empfindung und das Gefühl des lebhaften Dankes für die hohe Ehrung, die Sie mir zuteil werden ließen und für das Vertrauen, das Sie mir ent¬ gegengebracht haben durch ihre einstimmige Wahl, und ein zweites Gefühl, ob es mir gelingen wird, die schweren Lasten, die Sie auf meine Schultern gelegt haben, zu tragen, namentlich im Hinblicke auf die Zeitverhältnisse, die in unserer Stadt durchaus ungünstig sind. Wie Sie alle wissen, ist die Finanzlage unserer Stadt eine solche, daß sie tief und schwer leidet unter der wirt¬ schaftlichen Depression unseres gesamten Gemeinwesens. Sie wissen alle, daß, wenn ich ein mir aus dem Vertrauen meiner Mitbürger zugewiesenes Amt übernehme, es von jeher meine Gewohnheit war, die übernommenen Pflichten nach meinen Kräften zu erfüllen. Ob meine Kräfte auch für die heute über¬ nommene Pflicht ausreichen werden, weiß ich nicht, aber wo meine Kräfte nicht ausreichen, glaube ich der Mithilfe des Ge¬ meinderates und der Pflichttreue der Beamtenschaft sicher zu sein, ohne deren Zusammenwirken mit dem Bürgermeister ein ent¬ sprechendes Resultat kaum zu gewärtigen sein wird. Nur unter dieser Voraussetzung habe ich den Mut, die auf mich gefallene Wahl anzunehmen, vorbehaltlich der Allerhöchsten Bestätigung. Meine Herren! Es sind 30 Jahre, daß ich im öffentlichen Leben in Steyr stehe. In allen möglichen Phasen der Stadt war ich in der einen oder anderen Richtung tätig. Vom Beginn des Baues des neuen Versorgungshauses bis zur Stunde war meine Tätigkeit oder Beteiligung zwar nur eine Zeit in der Gemeindevertretung, aber in vielen Zweigen der Offentlichkeit eine sehr lebhafte, und ich darf wohl sagen, daß mir die Ver¬ hältnisse der Stadt Steyr gründlich bekannt sind und daß es wenige Zweige gibt, die das öffentliche Leben der Stadt bewegen, denen ich ganz ferne gestanden bin. Das eine drängt mich noch zu sagen, daß mich die Über¬ nahme dieses Amtes umso schwerer drückt, weil ich heute schon weiß, daß es auch mit ihrer lebhaftesten Mitwirkung nicht möglich sein wird, jene selbst berechtigten Hoffnungen zu erfüllen, welche

an ein in fortschrittlichem Sinne geleitetes Gemeindewesen gestellt werden können. Viele Wohlfahrtseinrichtungen, welche gewiß von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht werden, wären in Angriff zu nehmen und ihrem Ziele zuzuführen. Aber es wird wohl in absehbarer Zeit nicht möglich sein, auf vielen Gebieten im fort schrittlichen Sinne wünschenswerte Vorkehrungen zu treffen. Was auf mich ankommt, so werde ich jederzeit bemüht sein, Ihre Be¬ schlüsse der gewissenhaften Ausführung zuzuführen und ich werde bemüht sein, im Vereine mit Ihnen das Gemeinwesen unserer deutsch=fortschrittlich gesinnten Stadt so zu verwalten, wie die Majorität der Bevölkerung es erwarten darf. Ich danke nochmals auf das verbindlichste für die mir angetane Ehrung. (Bravorufe.) Herr Stadtsekretär Franz Gall erbittet sich das Wort zu folgender Ansprache: Gestatten Sie, Herr Bürgermeister, daß ich mir erlaube, Ihnen im Namen der sämtlichen Beamten und Angestellten der Gemeinde die Glückwünsche zu Ihrer neuen hohen Würde aus¬ zusprechen. Mannigfaltig und zahlreich werden die Aufgaben sein, die der Erfüllung durch Sie harren, und Sie werden Ihrer bekannten Tatkraft bedürfen, um die Stadt Steyr aus der wirt schaftlichen Depression, in der sie sich befindet, hinaus zu führen. swird aber, um das möglich zu machen, gewiß auch der Unterstützung der Beamten und Angestellten bedürfen. Ich gebe Ihnen das heilige Versprechen, daß wir alles tun werden Ihnen treu zur Seite zu stehen und wir werden unter Ihrer Anleitung das tun, was Sie für am besten halten. Wir erbitten von Ihnen nur das Eine, daß Sie uns wohlwollend beurteilen, ohne dieses ist es nicht möglich, Ersprießliches zu leisten, weil uns die Lust und Liebe zur Arbeit fehlen würde. Wollen Sie uns ein gütiger Chef sein! Herr Bürgermeister Stigler erwidert hierauf, er werde noch Gelegenheit haben, gegenüber dem geehrten Beamtenkörper auf die Worte des Herrn Sekretärs zurückzukommen. Vorläufig gebe er die Versicherung, daß es an seinem Wohlwollen gegen über der Beamtenschaft nicht fehlen werde, weil er wisse, daß ein Zusammenwirken notwendig ist. Herr G.=R. Dr. Angermann erbittet sich das Wort und sagt: Der Gemeinderat von Steyr hat soeben einen feier¬ lichen denkwürdigen Akt vollzogen. Ich bin überzeugt, die ganze Bevölkerung von Steyr denkt jetzt an die gegenwärtige Ge¬ meinderatssitzung und verfolgt im Geiste die Tätigkeit des Ge¬ meinderates bei diesem Anlasse. Der Gemeinderat hat aus seiner Mitte einstimmig einen alten treuen, tüchtigen Verfechter der Gemeinde=Interessen, einen langjährigen früheren Vizebürger¬ meister auf den Bürgermeisterstuhl erhoben, und ich glaube, der¬ selbe hat durch diese einstimmige Tat die Zustimmung der ganzen Bevölkerung von Steyr erworben. Wir können sagen, daß wir mit Rücksicht auf die große Tätigkeit und auf die Fähigkeiten. die der neu gewählte Herr Bürgermeister im Gemeinwesen schon entwickelt hat, ganz im Sinne der Bevölkerung von Steyr ge¬ handelt haben. Es ziemt sich, daß wir dem Herrn Bürgermeister zu seiner einstimmigen Wahl die herzlichsten Glückwünsche ent¬ gegenbringen. Bei dieser Gelegenheit müssen wir aber auch jenes Mannes gedenken, welcher während der Krankheit unseres leider zu früh dahingeschiedenen Herrn Bürgermeisters Redl die Geschäfte der Stadt geleitet hat. Herr Vizebürgermeister Franz Lang hat bei¬ nahe ein halbes Jahr und als Herr Bürgermeister Redl im Reichsrate war, abermals ein halbes Jahr das Amt mit Umsicht Pflichteifer und Selbstaufopferung in einer Weise geleitet, die unsere volle Anerkennung und unseren Dank verdient. Ich halte es für meine Pflicht, an dieser Stelle dem Herrn Vizebürger¬ meister unsere vollste Anerkennung und den Dank zum Aus¬ drucke zu bringen. (Beifall.) Herr Bürgermeister Stigler sagt: Ich kann unmöglich die Sitzung schließen, ohne in zweifacher Richtung eine Pflicht zu erfüllen. In der ersten Richtung ist mir Herr Dr. Anger¬ mann schon zuvorgekommen. Ich kann aber auch die Sitzung nicht schließen, ohne auch meinerseits dem tief betrübenden Ge¬ fühle Ausdruck zu geben, das mich ergriffen hat über das Ab¬ leben des Herrn Bürgermeisters Redl, der seinen Platz so lange und so ehrenvoll eingenommen hat. Ich muß auch noch auf die Worte des Herrn Dr. Angermann zurückkommen und muß es auch für meine Person aussprechen, wie überaus verdienstvoll die Wirksamkeit des Herrn Vizebürgermeisters Lang während der Abwesenheit und während der Krankheit des Herrn Bürger¬ meisters Redl war. Ich kann die Sitzung nicht schließen, ohne an den Herrn Vizebürgermeister die Bitte zu richten, er möge auch in Vertretung meiner Person gegebenen Falles sein Amt mit derselben Opferwilligkeit und Treue ausüben, wie er es bisher getan hat. Ich glaube, daß er mir diese Bitte nicht ab¬ chlagen wird auch mit Rücksicht auf das langjährige Freund¬ schaftsband, das uns beide aneinanderknüpft. Herr Vizebürgermeister Franz Lang. Ich statte den Herren für die Anerkennung und die freundlichen Worte meinen Dank ab. Ich war bemüht, das zu tun, was man tun kann, und wenn ich durch Anspannung meiner Kräfte das erreicht habe, daß Sie mit meiner Stellvertretung zufrieden sind, so ist das für mich die höchste Ehrung, die ich mir wünschen kann. Ich habe bis jetzt in allen Stellungen, auf die ich durch das Ver¬ trauen meiner Mitbürger gestellt worden bin, meine Pflicht er¬ füllt, und werde mich, wenn Sie mit meinem Wirken einver¬ standen sind, auch weiter zur Verfügung stellen. Daß ich den hochverehrten neu gewählten Herrn Bürgermeister gerne unter¬ stütze, geht auch schon aus dem hervor, weil ich mir mit Freude zuschreiben kann, seine Freundschaft seit langen Jahren zu be¬ sitzen, die ich aus vollem Herzen stets erwidere. Hierauf schließt der Herr Bürgermeister um 10½ Uhr die Sitzung.

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