Raths=Protokoll über die außerordentliche Sitzung des Gemeinderathes der k. k. l. f. Stadt Steyr am 2. December 1897. Gegenwärtig: Der Vorsitzende Herr Bürgermeister Johann Redl. Der Herr Vicebürgermeister Victor Stigler. Die Herren Gemeinde¬ räthe: Edmund Aelschker, Leopold Anzengruber, Emil Göppl, Heinrich Gupf, Leopold Haller, Karl Heindl, Josef Hiller, Dr. Johann Hochhauser, Josef Huber, Anton Jäger v. Waldau, Jakob Kautsch, Leopold Köstler, Franz Lang, Matthias Perz, Josef Peteler, Dr. August Redtenbacher, Ferdinand Reitter, Otto Schönauer, Gottfried Sonnleitner, Franz Tomitz, Josef Tureck. Zahlreiches — Schriftführer Herr Franz Schmidbauer. Publicum ist im Saale anwesend. Beginn der Sitzung 2 Uhr nachmittags. Der Herr Vorsitzende hält folgende Ansprache: Löblicher Gemeinderath! Es wurde mir eine von 20 Mitgliedern des Ge¬ meinderathes unterfertigte Zuschrift überreicht mit dem Ersuchen, eine außerordentliche Sitzung einzuberufen, und habe ich nach § 71 des Gemeindestatutes der Stadt Steyr diesem Ansuchen sofort entsprochen. Durch den Umstand, dass 20 Gemeinderaths¬ mitglieder unterfertigt sind, ist die Dringlichkeit gestellt, und es bedarf hierüber keiner weiteren Abstimmung. Ich constatiere die Beschlussfähigkeit des löblichen Gemeinderathes und erkläre diefe außerordentliche Sitzung für eröffnet. Die an den Herrn Bürgermeister gerichtete Zuschrift lautet: „An den sehr geehrten Herrn Bürgermeister der landes¬ fürstlichen Stadt Steyr! Alle bedeutenden Städte Deutsch¬ Oesterreichs haben zu den bekannten Vorgängen im Reichsrathe Stellung genommen und Kundgebungen beschlossen, welche sich gegen die Vergewaltigung der Minorität im Parlamente, gegen die Verletzung der Immunität der Abgeordneten richteten und den Erfolg der geeinigten deutschen Opposition, die Demission des deutsch=feindlichen Ministeriums Badeni, mit Freude begrüßten. Mit Rücksicht darauf, dass die Stadt Steyr eine kerndeutsche Stadt ist, deren Vertretung in der überwiegenden Mehrheit auf Grund der deutsch=fortschrittlichen Principien gewählt erscheint, ersuchen wir unterfertigte Gemeinderäthe, der sehr geehrte Herr Bürgermeister wolle eine außerordentliche Sitzung des löblichen Gemeinderathes unverzüglich einberufen, um eine Kundgebung über die Vorkommnisse und die neue Wendung im politischen Leben beschließen zu können. — Steyr, am 30. November 1897. Dr. August Redtenbacher, M. A. Perz, Franz Lang, Leopold Köstler, Gottfried Sonnleitner, Ferdinand Reitter, Leopold Anzengruber, Dr. Johann Hochhauser, Josef Tureck, Leopold Haller, Edmund Aelschker, Emil Göppl, Josef Hiller, Karl Heindl, Franz Tomitz, Josef Huber, Otto Schönauer, Victor Stigler, Anton v. Jäger, Heinrich Gupf.“ Herr Gemeinderath Dr. Redtenbacher erbittet sich das Wort und verliest sodann folgendes Schriftstück: „Löblicher Gemeinderath der l. f. Stadt Steyr! Sehr geehrte Herren! Ueber Einladung unseres sehr geehrten Herrn Bürgermeisters haben wir uns heute zu einer außerordentlichen Sitzung versammelt, um gleich den anderen deutschen Gemeindeverkretungen eine Kundgebung anlässlich der in jüngster Zeit eingetretenen poli¬ lischen Ereignisse zu beschließen. Ueberall in unserem geheiligten Vaterlande Oesterreich, wo Deutsche wohnen und die deutsche Muttersprache erklingt, und wo das Volk für Freiheit und Fort¬ schritt begeistert ist, haben die im Abgeordnetenhause in jüngster Zeit zur Unterdrückung der Minorität von der Reichsraths¬ majorität, darunter auch die volksverrätherischen Clericalen, beschlossenen Gewaltacte, wodurch die Geschäftsordnung des Parlaments rechts= und gesetzeswidrig abgeändert und die An¬ wendung von Polizeigewalt im Parlamente veranlasst und dadurch das Recht der Immunität der Volksvertreter auf das gröblichste verletzt wurde, die größte Entrüstung über dieses Vorgehen hervorgerufen, und in allen deutschen Gauen wurden Protestkundgebungen dagegen laut und erfolgten Zustimmungs¬ erklärungen zu dem Vorgehen der vereinigten Opposition im Parlamente, welche für die Rechte des deutschen Volkes, sowie für die Erhaltung der durch die Staatsgrundgesetze gewähr¬ leisteten Freiheiten und fortschrittlichen Errungenschaften gegen die Uebermacht einen heißen und erbitterten Kampf führen. Diesen Vertretern des deutschen und freisinnigen Volkes Oester¬ reichs ist es gelungen, durch strammes Zusammenhalten, durch harten Kampf, der so manche Anforderung an die persönliche Sicherheit, ja sogar an die Freiheit der Abgeordneten stellte, das deutschfeindliche Ministerium Badeni zu Falle zu bringen, und heller Jubel herrscht über diesen Erfolg in den deutsch¬ freisinnigen Gauen Oesterreichs. Die alte Stadt Steyr war stets kerndeutsch und ihre Bevölkerung der weitaus überwiegenden Mehrheit nach huldigte stets den Principien der Freiheit und des Fortschrittes. — Wir als von der Bevölkerung gewählte Ver¬ treter des städtischen Gemeinwesens von Steyr nehmen hiemit Anlass, gleichfalls gegen die bezeichneten Vorkommnisse im Parlamente Stellung zu nehmen und unserer bisonderen Freude an dem großen Erfolge der vereinigten Opposition Ausdruck zu geben, indem wir beantragen, nachstehende Kundgebung ohne Debatte zu beschließen: „Die Vertretung der l. f. Stadt Steyr spricht über die im Abgeordnetenhause von der Reichsraths=Majorität erfolgte gesetzes= und rechtswidrige Abänderung der bestehenden Ge¬ schäftsordnung und die dadurch geschehene Vergewaltigung der Minorität des Hauses, sowie über die durch Anwendung der Polizeigewalt im Parlamente geschehene Verletzung der Immunität der Volksvertreter ihre Missbilligung aus. (Leb¬ hafte Bravorufe im Publicum.) Zugleich drückt dieselbe über die erfolgte Demission des Ministeriums Badeni ihre volle Befriedigung aus, beglückwünscht die deutsch=freisinnige Oppo¬ sition zu diesem Erfolge und gibt der Erwärtung Ausdruck, dass nunmehr die Sprachenverordnungen und die sonstigen noch bestehenden Hindernisse beseitigt werden, damit den deutsch=freisinnigen Volksvertretern dadurch die Möglichkeit geboten werde, wieder an den Arbeiten des Reichsrathes activen Antheil zu nehmen. Insbesonders aber missbilligt die¬ selbe das Vorgehen der elericalen Abgeordneten des eigenen Heimatlandes Oberösterreich und vor allen ihres Führers Dr. Ebenhoch, welche gegen die Erhöhung der Nothstands¬ Beiträge für die durch das Hochwasser beschädigten Bewohner
Oberösterreichs und für die Vergewaltigung der Geschäfts¬ ordnung gestimmt haben.“ (Bravo und Heilrufe aus dem Publicum.) Der Herr Vorsitzende ersucht, der Gemeinderath möge sich zum Zeichen der Annahme dieser Kundgebung von den Sitzen erheben. Sämmtliche Herren Gemeinderäthe erheben sich von den Sitzen. (Stürmische Bravorufe. Aus dem Publicum bringt Herr Dr. Franz Angermann auf den Herrn Bürgermeister Johann Redl und den versam¬ melten Gemeinderath für diese Kundgebung ein dreimaliges „Hoch“ aus, in welches die zahlreichen Zuhörer mit Begeisterung einstimmten. Hierauf erbittet sich Herr Dr. Redtenbacher abermals das Wort und stellt den Antrag, dass die soeben einstimmig beschlossene Kundgebung des Gemeinderathes durch Placatierung ehestens der Bevölkerung bekannt gegeben werde. Dieser Antrag wird ebenfalls einstimmig angenommen. Der Herr Vorsitzende schließt hierauf diese denkwürdige Sitzung. Nun ergreift Herr Gemeinderath Kautsch das Wort und sagt: „Heute sind es 49 Jahre, dass Seine Majestät unser Aller¬ gnädigster Kaiser die Regierung des Reiches Oesterreich ergriffen hat. Es ist heute ein denkwürdiger und historischer Tag unseres gütigen Monarchen und ich bitte daher auf Seine Majestät unseren Kaiser ein dreimaliges Hoch auszubringen.“ Die Gemeinderäthe erheben sich von ihren Sitzen und stimmen in das ausgebrachte „Hoch“ ein. Der Herr Vorsitzende bemerkt, nachdem er schon vorher die Sitzung für geschlossen erklärt habe, so halte er es nicht mehr für nöthig, dieses nochmals auszusprechen, worauf die Herren Gemeinderäthe ihre Plätze verließen.
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