Ratsprotokoll vom 31. Juli 1896

jedoch habe er die Verhandlung dieser Sitzung gelesen und habe ihr Staunen irgriffen über den Beschluss, der gefasst wurde von einen Gemeinderathe der sich fortschrittlich nennt und der weiß, wie schlecht das Statut in jeder Richtung ist. Der Bürgerverein führt alles das aus, dass nichts daran zu rütteln ist. Ihm falle auch ein, was ein großer Staatsmann in Oesterreich sagte und das hieher passe: „Die liberale Partei besteht nur aus Actionären und Reactionären“; das beweise der heutige Tag. Ein Gemeindestatut, welches viele Zwistig keiten in die Bevölkerung hineinbringe, einen Vollmachtsschwindel in sich berge und in dem nicht darinnen steht, wie oft ein Gemeinde rath in die Sitzung kommen oder nicht kommen soll und doch Ge¬ meinderath bleiben kann, ein solches Statut zu erhalten suchen, se nicht fortschrittlich, sondern reactionär. Die vom Herrn Vicebürger¬ meister vorgebrachten Gründe auf Erhaltung des Statutes seien nicht stichhältig, da sowohl die neue Wahlordnung sowie auch das neue Heimatsgesetz darauf keinen Einfluss haben. Welche Gesetze will man denn noch hereinziehen, um die Revision des Statutes zu verhindern!? Redner weist sodann auf die ungleichen Rechte und Vortheile der Wähler in den Wahlkörpern nach dem gegenwärtigen Statute hin und tritt für eine Gleichberechtigung der Wahlberechtigten ein. In der Eingabe des Fortschrittsvereines wurde seine Parte reactionär bezeichnet, dagegen müsse er sich verwahren. Reactionä ei der Fortschrittsverein, das seien Rückschrittler. (Herr GR. Ritzin ger ruft: Richtig.) Wie komme der Fortschrittsverein ferner dazu den Landtag anzugreifen und bodenlose Beleidigungen gegen ihn auszusprechen? Er stellt den Antrag, dass, 1. die Eingaben des Bürger= und Fortschrittsvereines vollinhaltlich in das Protokol aufgenommen werden, 2. dass über diese Angelegenheit namentlic abgestimmt werde, damit die Nachwelt erfahre, wer heute fortschritt¬ lich war und wer reactionär. Der Herr Vorsitzende bemerkt, dass der Antrag auf nament liche Abstimmung von zwei Mitgliedern unterstützt sein muss, worau die Herren Gemeinderäthe Ritzinger und Lintl diesen Antrag unterstützen Herr Gemeinderath Kautsch macht die Bemerkung, dass er so furchtsam sei, wie der Herr Vicebürgermeister Stigler; er nicht gerne gesehen, dass ein Comité gewählt worden wäre. hätte Herr Vicebürgermeister Stigler verwahrt sich, dass imme seine Person genannt und angegriffen werde. Er habe weder eine anstößige Aeußerung gemacht, noch versucht, auf den Sectionsantrag Einfluss zu nehmen. Was den Vorwurf der Furchtsamkeit anbelangt müsse er betonen, dass er die Herren alle mitsammen nicht fürcht Er bezweifle nicht, dass das Gemeindestatut in späterer Zeit ab¬ änderungsbedürftig sein wird, aber dermalen sei die Zeit hiezu nicht geeignet. Der politische Kampf werde sich bis zur Completierung des nächsten Reichstages fortziehen und in alle Phasen eingreifen und es scheine ihm nicht opportun, zu einer solchen Zeit an die Aenderung des Statutes zu schreiten. Die heute vorliegenden einander widerstreitenden politischen Eingaben seien dafür schon ein Beweis. Er sei auch überzeugt, dass, wenn auch heute ein Comite gewählt würde, welches sich der Aufgabe zu unterziehen hätte, das Statut zu ändern, sofort wieder Petitionen von politischen Parteien überreicht würden, welche jede eine Aenderung des Statutes in ihrem Sinne anstreben würde. Das sei seine objective Meinung Herr Gemeinderath Erb betont, dass der Gemeinderath von Linz, der doch ebenso gut die politischen Verhältnisse von Oesterreic kenne, als der Steyrer Gemeinderath, und auch ebenso gescheit sei, wie dieser, vor einem halben Jahre das Statut abgeändert habe und sei es keinem Linzer Gemeinderathe eingefallen, zu sagen, wil müssen warten, bis sich die politische Aufregung geklärt hat. Die politische Aufregung könne sich erst klären, wenn eine Partei ver nichtet sein wird, und diese ist die liberale Partei. Die Abänderun des Gemeindestatutes habe mit der politischen Bewegung nichts zu thun. Wenn sich der Fortschrittsverein sträube, das Statut abzu ändern, so beweise er damit nicht viel Muth, da er doch die Majoritä im Gemeinderath habe, welche das Statut nach der Vorschrift eine gewissen Seite machen wird. (Gemeinderath Löhnert: oho!) Eir kleines Entgegenkommen hätte die Minorität denn doch erwartet Wenn der Fortschrittsverein behaupte, er habe bei den letzten Wahlen die Majorität gehabt, so müsse er darauf sagen, ja die Majoritä hat er, aber nicht die Majorität der Wähler, der Fortschrittsverein möge sich das ausmalen, was er damit sagen will. Er stellt den Antrag, es sei die Eingabe des Bürgervereines anzunehmen und ein Comité einzusetzen, welches die Abänderung des Gemeindestatutes vorzubereiten habe err Gemeinderath Dr. Kurz unterstützt den Antrag des Herrn Gemeinderathes Erb und bemerkt, dass es sich heute um keinen neuen Antrag handle, denn die Revision des Gemeindestatutes sei bereits eine längst beschlossene Sache. Die Unzulänglichkeit des Statutes sei schon vor 18 Jahren erkannt worden; warum solle man frühere Beschlüsse fallen lassen. Wenn als Ablehnungsgrund neue Gesetze vorgeschützt werden, so müsse er hervorheben, dass er in den Jahren 1868/69 das Verfassungsleben erfolgte, und doc schon im Jahre 1867 das Steyrer Gemeindestatut gemacht wurde. Herr Gemeinderath Dr. Hochhauser bemerkt, in dieser An¬ gelegenheit sei heute unnütz viel und zu leidenschaftlich gesproche worden. Die Section war der Meinung, dass dermalen kein Grund zur Aufhebung des letzten Gemeinderathsbeschlusses vorliege. Die Reichsrathswahlordnung, wie auch das neue Heimatsgesetz werde auch auf das Gemeindestatut, und auf die Verschiebung der Wähler classen Einfluss nehmen. Kein ernster Mann könne sich heute mi der Abänderung des Statutes beschäftigen, und wäre die Wahl des Comités hiefür nur eine Spiegelfechterei. Linz dürfte vielleicht be¬ reuen, die Abänderung des Statutes nicht verschoben zu haben Wenn Herr Gemeinderath Erb aus der Abänderung des Statute Capital schlagen will und die liberale Partei Rückschrittler nennt müsse er ihm entgegnen, nicht der sei fortschrittlich, der das Statut abändert, sondern jener, der es in fortschrittlichem Sinne abändert Nach seiner Meinung habe die Section ganz correct gehandelt. Nächstes Jahr sei die Situation vielleicht eine andere, und dann könne das Statut jedenfalls auf eine breitere Basis gestellt werden als dies heute möglich wär Herr Gemeinderath Erb verwahrt sich gegen die Behaup¬ tung, dass seine Partei hier Spiegelfechterei treibe. (Herr Gemeinde rath Dr. Hochhauser bemerkt hiezu, dies habe er nicht gesagt, und wiederholt seinen Ausspruch.) Das, was der Bürgerverein thue geschehe mit allem Ernste und mit dem besten Willen. Der Bürger¬ verein besitze mehr als 200 Mitglieder, die alle sehr ernste Männer sind. Wenn wir auch für die Abänderung des Statutes sind, poli tisches Capital wollen wir daraus nicht schlagen. Wer das Statu nicht verbessern wolle, sei kein Fortschrittler, sondern ein Reactionär Der Herr Vorsitzende bringt hierauf den Antrag de Herrn GR. Erb, dass die beiden Eingaben vollinhaltlich in das Protokoll aufgenommen werden, zur Abstimmung, und wird derselbe ein¬ stimmig angenommen Herr Vicebürgermeister Stigler sagt, er habe noch zu be merken, dass es dem Herrn Gemeinderath Erb beliebt hat, der fortschrittlichen Partei ihr Ende in Steyr zu prophezeien. Mit den Prophezeien ist es aber immer eine missliche Sache. Wir werden ja sehen, wie sich die Sache herauskrystallisieren wird. Wir werden, venn wir bis dahin nach der Meinung des Herrn Erb überhaupt nicht begraben sind, bei der sodannen Berathung des Statutes be weisen, ob wir fortschrittlich und freiheitlich gesinnt sind oder nicht Den Ausdruck Reactionäre lehne ich für meine Person unbedingt ab Ich bin für die Interessen der bürgerlichen Freiheit im hohen Maße, aber nicht in dem Sinne, wenn dieselbe nur zu Gunsten einer ein¬ seitigen Vereinsbestrebung gemeint ist. Ihre Partei möchte die Ab¬ änderung der Statuten nur in ihrem Sinne, und das ist der Kerr der ganzen angefachten und provocierten Bewegung. Sie möchten eine Abänderung der Wahlordnung, damit Sie vielleicht auf diesen Wege zur Majorität kommen Herr Gemeinderath Löhnert sagt in einer längeren Aus führung, dass er wohl für die Einsetzung eines Vorbereitungs=Comités nicht aber für eine dermalige Revision des Statutes war. Der Hauptgrund aber, dass er heute gegen die Petition des Bürger vereines stimme, sei der, dass dieser Verein überhaupt nicht berechtig ist, rechtsgiltige Beschlüsse des Gemeinderathes anzufechten. Auf die Kraftausdrücke des Herrn Gemeinderathes Erb habe er nur zu er¬ widern, dass er sich nichts vorschreiben lasse. Er hafte wahrlich nicht auf dem Rathsfessel, und wenn er es nicht als eine Rücksichtslosigkei gegen seine Wähler betrachten würde, hätte er diesen Sessel längst verlassen Nach weiterer kurzer Debatte bringt der Herr Vorsitzende den Antrag des Herrn GR. Erb auf Wahl eines Comités behufs Revision des Gemeindestatutes namentlich zur Abstimmung. Fü die Annahme des Antrages stimmten die Herren Gemeinderäth Schachinger, Peteler, Lintl, Erb, Ritzinger, v. Jäger und Dr. Kurz. Gegen die Annahme dieses Antrages stimmter die Herren Gemeinderäthe Tureck, Perz, Kautsch, Göppl Tomitz, Reitter, Sonnleitner, Anzengruber, Schrader Lang, Stigler, Schönauer, Dr. Hochhauser, Löhnert und Aelschker. Herr GR. Kautsch stellt den Antrag, dass im Sections¬ antrage den Worten: „keine Folge zu geben“ das Wort „dermalen vorgesetzt werde Herr Vicebürgermeister Stigler ist dafür, dass der Gemeinde raths=Beschluss vom 8. Mai d. J. aufrecht erhalten bleibe Bei der Abstimmung wird der Sectionsantrag in seiner Fassung mit 15 gegen 7 Stimmen angenommen. 5. Das Amt erstattet folgenden Bericht: „Nach § 71 des Gesetzes vom 13. Juli 1895, L.=G.= u. V.=Bl. Nr. 8 ex 1896, hat jede Gemeindevertretung für die Dauer ihrer Functionsperiode den Ob¬ mann und Obmannstellvertreter des zur Entscheidung über Jagd¬ und Wildschadenersätze berufenen Schiedsgerichtes zu wählen. Da im Stadtgebiete ein Gemeindejagdrevier sich befindet, muss die vor¬ geschriebene Wahl auch hier vorgenommen werden. Zu dem Amt eines Obmannes dürfen nur unbescholtene, unparteiische und mi den landwirtschaftlichen und jagdlichen Verhältnissen vertraute Per sonen gewählt werden. — Steyr, 18. Juni 1896. — Gall, Stadt secretär, Der Sectionsantrag lautet: Der löbliche Gemeinderath wolle die Realitätenbesitzer Anton v. Jäger als Obmann und Franz Mayr als Obmannstellvertreter des zur Entscheidung über Jagd= und Wildschadenersätze berufenen Schiedsgerichtes für das Stadtgebie von Steyr ernennen. — Einstimmig angenommer 6. Der Herr Referent verliest ein Schreiben des Vertreter der Stadtgemeinde Steyr, Herrn Dr. Angermann, worin derselbe mittheilt, dass laut Urtheil des k. k. Kreisgerichts Steyr vom 15. Juli 1896, Z. 1720, die letztwillige Anordnung der Cäcilic Schiefermayr keine Erbseinsetzung zu Gunsten der Stadtgemeind Steyr enthalte und um die Ermächtigung zur Ueberreichung der Appellation an die zweite Instanz ersucht. — Die Erledigung hier über lautet: „An Se. Wohlg. Herrn Dr. Franz Angermann, Advoca in Steyr. In umgehender Beantwortung Ihrer geschätzten Zuschrift vom 23. I. M. ermächtigen wir hiemit Euer Wohlgeboren, geger das Urtheil erster Instanz im Erbschaftsprocesse Cäcilia Schiefer mayr die Appellation an die zweite Instanz einzubringen. — Steyr, am 24. Juli 1896. — Der Vice=Bürgermeister: V. Stigler.“ Die Section beantragt die Kenntnisnahme Herr Vicebürgermeister Stigler ist mit dem Antrage auf 3

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2