2 Pflicht des Gemeinderathes, die Bestimmungen des Gemeindestatutes so klar und deutlich festzustellen, dass derartige Vorgänge, welch unter freien, wirklich fortschrittlichen Bürgern eine arge Verbitterung hervorrufen müssen, unmöglich gemacht werden. Die Verhältnisse in der Gemeinde sind ganz andere geworden, als sie zur Zeit der Ver fassung des dermalen noch geltenden Gemeindestatutes vom Jahre 1867 waren, und es ist eine unabweisbare Forderung des Fortschrittes das Gemeindestatut den geänderten Verhältnissen anzupassen. Wie sehr sich im Verlaufe der Zeit (seit drei Jahrzehnten) die Verhältnisse geändert haben, ergibt sich auch aus den Wählerlisten. Nach denselber sind im ersten Wahlkörper über 600 Wahlberechtigte, während im dritten Wahlkörper circa 400 sind. Nachdem beide Wahlkörper die gleiche Anzahl von Mitgliedern des Gemeinderathes zu wählen haben besitzt die Stimme eines Wählers im dritten Wahlkörper anderthalb mal mehr Wert, als die Stimme eines Wählers im ersten Wahlkörper ein grelles Missverhältnis, wie es wohl auf der ganzen Wel sicherlich nirgends vorkommt; überall sind im ersten Wahlkörper eine weit geringere Anzahl von Wählern als ein Drittel der Gesammtheit aller Wahlberechtigten in den drei Wahlkörpern zusammen. Dieses Missverhältnis in Steyr ist verschiedenen Verschiebungen in den Wählerlisten zuzuschreiben. Jedermann, der nur halbwegs au Gerechtigkeitssinn Anspruch macht, muss solche Zustände als voll¬ ständig unhaltbar erklären, und mit der inhaltslosen Phrase, deren Zweck jedem Einsichtigen klar ist, es sei dermalen nicht opportun eine Revision des Gemeindestatutes vorzunehmen, kann sich des Gemeinderath der Verpflichtung nicht entziehen, so grelle Missver hältnisse schleunigst und in klarster Weise abzuschaffen. Was jedock den größten Unwillen und die tiefste Verbitterung in der Bürger schaft hervorruft, ist der Unfug, welcher bezüglich des Wahlrechtes der Frauen ausgeübt wird. Jedes Jahr wiederholt sich die widerliche demoralisierende Jagd nach Vollmachten. Rücksichtslose Agitatoren drängen sich oft an die harmlosen Frauen, welche am liebsten vor allen Wahlumtrieben verschont sein möchten, heran und ringen den¬ selben mit Versprechungen, versteckten und offenen Drohungen die Vollmachten ab. Es ist dieser Vorgang nicht nur mit dem Principe der geheimen Abstimmung im Widerspruche, indem durch die Abgab der Vollmacht schon erklärt ist, für wen die betreffende Frau timmt, sondern es wird dadurch eine Fälschung der Abstimmung herbeigeführt, weil sehr häufig die Anschauungen der Frauen mit denen der Vollmachtswerber nicht übereinstimmen, und der größere Theil der Frauen nur aus Furcht es nicht wagt, den aufdringlichen Agitatoren die geheischte Vollmacht zu verweigern. Jeder unbefangen Urtheilende muss solche Vorgänge verabscheuen und die Hintanhaltung derselben anstreben, überhaupt jede geschäftliche Schädigung aus politischen Gründen aufs schärfste missbilligen und schonungslos an den Pranger stellen. Diese Ausnützung des Wahlrechtes de¬ Frauen durch Vollmachten, schon längst in allen größeren Städten vollständig abgeschafft, müsste allein schon hinreichen, die Revision des Gemeindestatutes als eine unabweisliche Nothwendigkeit erscheinen zu lassen. Die Majorität des Gemeinderathes hat sich daher durch den Beschlufs, mit welchem die Revision des Gemeindestatutes abge lehnt wurde, nicht nur mit den Anschauungen des größeren Theiles der Bürgerschaft, sondern auch mit früheren Gemeinderathsbeschlüsser ohne irgend einen auch nur scheinbar triftigen Grund in vollen Widerspruch gesetzt, was für den Frieden in der Bürgerschaft und für die Förderung des Gemeinsinnes unter derselben sehr abträglich ist „Da nun der Bürgerverein in Steyr nach § 1 seiner Statuter es sich zur Aufgabe macht, durch praktische Bethätigung die geistigen und materiellen Interessen der Bürgerschaft Steyrs, sowie den Gemeinsinn derselben und deren Zusammengehörigkeit zu fördern ühlt sich derselbe verpflichtet, an den löblichen Gemeinderath der Stadt Steyr die Bitte zu stellen: Der Gemeinderath von Steyn nöge die Wiederaufnahme der Verhandlungen wegen Revision des Gemeindestatutes beschließen und in Ausführung des Gemeinderaths¬ beschlusses vom 5. April 1878 und den hierauf bezugnehmenden späteren Gemeinderathsbeschlüssen zur Revision des Gemeindestatutes ein Comité bestellen und dasselbe zur baldigen Abgabe eines Referates hierüber oder über den vom Amte am 21. Mai 1891 vorgelegten Entwurf des Gemeindestatutes veranlassen.— Steyr, am 20. Juli 1896 Der Bürgerverein in Steyr: David Ziebermayr, Obmann Josef Berger, Schriftführer Sodann verliest Referent ein Schreiben des hiesigen Fort¬ schrittsvereines, welches lautet Löblicher Gemeinderath der l. f. Stadt Steyr! Mit Sitzungs¬ beschluss des löblichen Gemeinderathes vom 8. Mai d. J. wurde mit überwiegender Majorität beschlossen, auf die angeregte Revision des Gemeindestatutes der Stadt Steyr nicht einzugehen. Aus der zugestellten Einladungen an die Herren Gemeinderäthe für die nächste Gemeinderaths = Sitzung am 31. d. M. und aus der darin ent¬ haltenen Tagesordnung haben wir entnommen, dass der hiesige Bürgerverein eine Eingabe um Abänderung des Gemeindestatute der Stadt Steyr eingebracht hat und dass eben auch über dies Eingabe des Bürgervereins bei der nächsten Gemeinderaths=Sitzung verhandelt werden soll „Obwohl wir nun als vollkommen selbstverständlich annehmen müssen, dass der löbliche Gemeinderath als selbständiger autonomer Verwaltungskörper sich durch dieses Einschreiten von dem legal gefassten Beschlusse nicht abbringen lassen — sonder: über diese Petition einfach zur Tagesordnung über¬ gehen wird, so halten wir es doch für geboten, gegen diese Petition des löblichen Bürgervereins in Steyr auch Stellung zu nehmen und dem' löblichen Gemeinderathe die in unserem Vereine und im Kreise der unserem Vereine anhängenden Wähler über dies Frage herrschenden Anschauungen zur Kenntnis zu bringen, damit die Majorität des löblichen Gemeinderathes, welche die angeregte Revision abgelehnt hat, daraus zu ersehen vermag, dass sie sich mi ihrer Wählerschaft bezüglich dieses Vorgehens im vollen Einklang befindet, und somit auch die Mehrheit der Wählerschaft unserer Stadt überhaupt mit der beschlossenen Ablehnung der Abänderung des Gemeindestatutes einverstanden war und ist. Es wurde schon bei der Gemeinderaths=Sitzung am 8. Mai d. J. bei Verhandlun dieses Gegenstandes von berufener Seite zur Begründung des Ab¬ lehnungs=Antrages erklärt, dass die neue Reichsrathswahlordnung jedenfalls einen Einfluss auf die Landtags= und Gemeinde=Wahl¬ ordnungen üben wird und dass mit Rücksicht auf die gegenwärtigen zerfahrenen und ungeklärten politischen Verhältnisse die Zeit absolut nicht günstig ist, um ein Gemeindestatut, welches so intensiv in das politische Leben des städtischen Gemeinwesens eingreift, jetzt um oder abzuändert „Wir erklären uns mit dieser Begründung der Ablehnung vollkommen einverstanden, zudem wir das jetzt bestehende Gemeinde statut noch immer als unseren Verhältnissen vollkommen entsprechen ansehen müssen. Zur Abänderung des Gemeindestatutes, welches sozusagen ja die Verfassung der autonomen Gemeinde bildet, müssen zwingende und hochwichtige Gründe vorliegen un muss in einer ruhigen und geklärten politischen Situation der be treffenden Gemeinde die Garantie liegen, dass die beabsichtigte und als nothwendig erkannte Aenderung dieses Gesetzes von allgemeinen, die ganze Bevölkerung des städtischen Gemeinwesens gleichmäßig in Berücksichtigung ziehenden Grundsätzen geleitet werde und die Aen¬ derung nicht nach dem Wunsche einzelner Persönlichkeiten oder Par teien vorgenommen werde. Zudem besteht gerade jetzt, wo in unserem politischen Leben die Reaction sich überall breit macht un die bestehenden freiheitlichen und fortschrittlichen Institutionen un Errungenschaften bedroht, die eminente Gefahr, dass bei einer Re¬ vision und Abänderung unseres Gemeindegesetzes sich auch solche Einflüsse geltend machen könnten, zudem der Vertretungskörpel unseres Landes, welcher dem revidierten Gemeindestatute die Zu¬ stimmung zu ertheilen hätte, seiner überwiegenden Mehrheit nach heute noch dieser reactionären Parteirichtung angehört, resp. auch in Hinkunft nach den vollzogenen Landtags=Neuwahlen angehören wird „Aus diesen Gründen und da unser bestehendes Gemeinde statut — wie schon oben gesagt — den obwaltenden Verhältnissel noch immer vollkommen entspricht, somit keine zwingende Nothwen digkeit auf Abänderung desselben vorliegt und bei dem legalen Bestande des Gemeinderaths=Beschlusses vom 8. Ma d. J. halten wir das Verlangen des löblichen Bürgervereines au Abänderung desselben als nicht begründet. Wir sind überzeugt, dass wir uns hierin im vollen Einverständnisse mit dem größten Theile der Wählerschaft unserer Stadt befinden, welche bei den letzten Gemeinderathswahlen in so überwiegender Mehrheit auf unserer Seite gestanden hat, und stellen deshalb entgegen dem Verlangen des löblichen Bürgervereines in Steyr das höfliche Ersuchen: Der löbliche Gemeinderath der l. f. Stadt Steyr wolle in Anbetracht des am 8. Mai d. J. gesassten Beschlusses: „di# Revision des Gemeindestatutes nicht vorzunehmen“ und in Berück¬ sichtigung der vorliegenden, geltend gemachten Gründe in die vom löblichen Bürgervereine in Steyr beantragte Abänderung des Gemeindestatutes der Stadt Steyr nicht eingehen. — Steyr, am 28. Juli 1896. — Fortschrittsverein in Steyr. —Achtungsvollst Dr. Angermann, d. z. Vorstand. Gustav Heyek, d. z. Secretär. Die Section stellt folgenden Antrag: Mit Majorität von 4 gegen 2 Stimmen stellt die Section dem löblichen Gemeinderath den Antrag, es sei dem Ansuchen des Bürgervereines von Steyr un Wiederaufnahme der Verhandlungen wegen Revision des Gemeinbe¬ Statutes keine Folge zu geben, und ist der Gemeinderathsbeschluss vom 8. Mai d. J. über diese Angelegenheit aufrecht zu erhalten. Der Herr Vorsitzende eröffnet hierüber die Debatte. Referent bemerkt, diese beiden Schriftstücke erinnern ihn an das alte Studentenlied, in dem es heißt: „Linker Hand, rechte Hand, beides vertauscht“ (Die Herren Gemeinderäthe Erb unt Kautsch rufen: Sehr richtig!) Der Bürgerverein strebt im fort chrittlichen Sinne die Verbesserung unseres veralteten Gemeinde tatutes an, was der Fortschrittsverein ablehnt. (Herr Gemeinderath Erb ruft: Rückschrittsverein soll er heißen!) Bezüglich seiner Ab stimmung werde er consequenter Weise seiner am 8. Mai d. J. kund¬ gegebenen Anschauung treu bleiben Herr Gemeinderath Kautsch findet an der Tagesordnun etwas auszusetzen; Punkt 4 der Tagesordnung spreche nur von einer Eingabe des Bürgervereines, vom Fortschrittsverein sei nichts zu lesen. Es hätte auch die Gegeneingabe auf die Tagesordnung ge¬ hört. Solche Winkelzüge zu machen, wäre nicht nöthig gewesen. Der Herr Vorsitzende verwahrt sich gegen den Ausdru# „Winkelzüge“ und theilt mit, dass vor dem Einlangen der Eingab des Fortschrittsvereines die Tagesordnung bereits ausgegeben war daher die Aufnahme dieser Eingabe in die Tagesordnung nicht mehr möglich war. Er habe diese Eingabe der Rechtssection vorgeleg! und dass diese die Eingabe nicht abgelehnt hat, sei nicht seine sondern Sache der Rechtssection Herr Vicebürgermeister Stigler findet es ganz klar, dass die Petition des Fortschrittsvereines nicht mehr auf die Tages¬ ordnung gestellt werden konnte, da der Fortschrittsverein doch er nach Publicierung der Tagesordnung Kenntnis von der Eingabe des Bürgervereines erhalten konnte Herr Gemeinderath Kautsch möchte wissen, ob es denn ein Unglück wäre, wenn ein Comité gewählt würde. Er könne sich nicht denken, dass die Revision des Gemeindestatutes eine so große Gefaht berge in sich Herr Gemeinderath Erb führt aus: Er sei zwar in det Gemeinderathssitzung am 8. Mai d. J. nicht anwesend gewesen,
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