Ratsprotokoll vom 1. Februar 1888

Raths-Protokoll aufgenommen am 1. Februar 1888 über die erste diesjährige ausserordentliche Sitzung des Gemeinderathes der k.k. l.f. Stadt Steyr Gegenwärtige als Vorsitzender: Der Bürgermeister Herr kaiserliche Rath Georg Pointner. Der Vicebürgermeister Herr Leopold Putz. Die Herren Gemeinderäthe Kautsch Jakob Berger Johann Landsiedl Anton Breselmayr Franz Olbrich Hugo Göppl Emil Perz Mathias Haller Josef Hochhauser Johann Dr. Redl Johann Holub Karl Schrader August Huber Leopold Tomitz Franz Jäger Anton v. Waldau Turek Josef Schriftführer Stadt-Secretär Friedrich Hähnel.

Tagesordnung Stellungnahme gegen den vom Prinzen Liechtenstein im Reichsrathe eingebrachten Antrag auf Wiedereinführung der confessionellen Schule in Oesterreich. Beginn der Sitzung 3 Uhr Nachmittags. Der Herr Vorsitzende constatirt die Beschlußfähigkeit, erklärt die Sitzung für eröffnet und ersucht zu Verifikatoren des heutigen SitzungsProtokolles die Herren G.R. Johann Berger und Franz Breselmayr. Der Herr Vorsitzende dankt für das Erscheinen. Entschuldigt hat sich Herr G.R. Leopold Anzengruber als krank, Josef Haller als verreist und Herr Brandl, welcher seine

Entschuldigung schriftlich übermittelte; dieselbe lautet: Euer Hochwohl geboren. Nach meiner innigsten Uiberzeugung gehört der heutige Gegenstand der Verhandlung nicht vor das Forum des Gemeinderathes und es ist dies deshalb auch der Grund meines Fernbleibens von der heutigen Sitzung. Ich bitte Euer Hochwohlgeboren dies zur Kenntniß des löblichen Gemeinderathes bringen zu wollen. Mit vorzüglicher Hohachtung Friedrich Brandl. Steyr 1. Februar 1888. In Folge dieses erlaube ich mir auf §. 71 des G.St. zu verweisen, welcher §. lautet: Durch Beschluß des Gemeinderathes ist die Zahl oder Zeit der ordentlichen Sitzungen zu bestimmen. Ausserdem kann sich der Gemeinderath nur auf Anordnung des Bürgermeisters oder im Verhinderungsfalle auf Anordnung seines Stellvertreters versammeln. Jede Sitzung, der eine solche Anord-

nung nicht zu Grunde liegt, ist ungesetzlich, und es sind die gefaßten Beschlüsse ungiltig. Der Bürgermeister ist jedoch verpflichtet über schriftliches Einschreiten von wenigstens einem Drittheile der Gemeinderäthe eine Versammlung einzuberufen. Ich habe die heutige Sitzung sowohl aus eigener Initiative als auch über folgenden mir schriftliche übergebenen von 10 Mitgliedern des Gemeinderathes unterfertigten Antrag einberufen. Der Antrag des Fürsten Alois von Lichtenstein ist den Herren zur Genüge bekannt, die Tendenz des selben ebenfalls. Ich glaube daher zu dem Antrage sofort übergehen zu können, der mir von Seite der liberalen Gemeinderaths-Mitglieder übergeben worden ist. Derselbe lautet. Antrag: – Der Antrag des Fürsten Lichtenstein, welcher die Mitaufsichtund Oberleitung der Volksschule

der Kirche anheim giebt den Umfang des zu Erlernenden auf das Bescheidenste einschränkt, die Dauer der Schulpflicht abkürzt und die Schulgesetzgebung den Landtagen überliefert, hat in den fortschrittlichen Kreisen der l.f. Stadt Steyr tiefe Bestürzung hervorgerufen. Nicht nur, daß dem Religionsunterrichte in dem jetzt bestehenden Gesetze ohnehin in ausgiebigem Masse genüge gethan ist und daß somit gar kein Grund vorhanden ist, eine Aenderung in der Gesetzgebung hinsichtlich unserer mit so schweren Ofern errungenen und erhaltenen Volksschule herbeizuführen, wird durch den reactionären Lichtensteinschen Antrag dem Volke die Erlangung der notwendigen Bildung entzogen und die Einheit des Reichs-Volksschulgesetzes gänzlich zerstört. Da bei den gegenwärtigen Parthei-

Verhältnissen im oesterreichischen Reichsrathe die Annahme des monströsen Gesetzentwurfes nicht ausgeschlossen ist, halten wir es für unsere Pflicht an maßgebendem Orte gegen denselben die entschiedenste Einsprache zu erheben und stellen, den Antrag: Der löbliche Gemeinderath beschliesse, es sei eine Petition an das hohe Abgeordnetenhaus zu richten, in welcher auf die Gefahren welche der Lichtensteinsche Antrag für die bestehende Volksschule birgt hingewiesen und die Bitte ausgedrückt wird, daß das hohe Abgeordneten haus den gemeinschädlichen Antrag des Fürsten Lichtenstein ablehnen möge. - Zugleich wird die Erwartung ausgesprochen, daß die deutschen Abgeordneten des Reichsrathes einmüthig den Antrag Lichtenstein und Genossen

auf Abänderung des Volksschulgesetzes mit allen zu Gebote stehenden parlamentarischen Mitteln bekämpfen. Steyr am 1. Februar 1888. Jakob Kautsch mp, Johrnn Redl mp, Ant. Landsiedl mp, M. A. Perz mp, August Schrader mp, Johann Berger mp, Dr. Johann Hochhauser mp, Franz Tomitz mp, Anton Mayr mp, Leopold Putz mp. Nachdem ich diesen Antrag zur Kenntnis des löblichen Gemeinderathes gebracht habe eröffne ich diesbezüglich die Debatte: Herr Gemeinderath Holub bittet um das Wort: Vor allem bin ich mit dem Antrage nicht einverstanden und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich nicht dafür bin, daß man sich im Gemeinderathe mit politischen Fragen befasse. Wir haben gesehen, daß wenn wir in wirthschaftlichen Fragen Anträge stellen, seien sie von welcher Seite immer ausgegangen, die ganze Bevölkerung mit dem

Gemeinderathe gehe. Wir haben jüngst einen glänzenden Beweis hiefür gesehen. In der Politik haben wir nichts zu entscheiden, das liegt in den Händen unserer Abgeordneten. Unser Abgeordnete hat sich bereits ausgesprochen und zu dieser Frage bereits Stellung genommen. Ich glaube wir können hiebei nichts erzielen. Die Abgeordneten die in dieser Sache zu entscheiden haben, die wissen welche Stellung sie diesbezüglich zu nehmen haben werden. Ich finde, daß die Gemeinde Vertretung fast nach irgend einem Commando in diesen Fragen Stellung nehme. Ich sehe nicht ein, ob dies wirklich einen Zweck habe, aber den Nachtheil hat dieses Vorgehen immer, daß es gewisse Bevölkerungskreise unangenehm berührt, wenn diese Frage

hier zur Abstimmung kommt. Die politischen Vereine haben diese Freiheit, sie sind dazu berufen in solchen Fragen Stellung zu nehmen, das passt zu ihrem Zwecke und ihrem Statute. Von einem Gemeinderathe erachte ich aber dieses Vorgehen für nicht nothwendig und nicht nützlich. Deshalb werde ich gegen diesen Antrag stimmen. Hierauf bittet Herr Gemeinderath Kautsch ums Wort. Ich habe dem Herrn Gemeinderath Holub Einiges zu erwidern. Wenn unser Abgeordneter im Reichsrathe seine Meinung vertritt und diese Meinung die Meinung des grösten Theiles der Bevölkerung ist, so sehe ich nicht ein, warum wir unseren Abgeordneten nicht auf diese Weise in seinem Vorgehen unterstützen, daß wir sagen: Es stehe die Stadt Steyr hinter ihm. Wenn ich sage, es stehe die Stadt Steyr hinter ihm, so verstehe ich

darunter, daß auch die officiellen Vertreter der Stadt Steyr in dieser Frage ihre Meinung abgeben, daß sich unser Abgeordnete sagen kann, er habe zu seiner Stellungnahme in dieser Angelegenheit die Zustimmung des Gemeinderathes der Stadt Steyr. In zweiter Linie möchte ich dem Herrn Gemeinderathe Holub sagen, daß wenn wir alljährlich circa 30.000 fl für Schulzwecke aus Gemeindemitteln bewilligen, wir auch das Recht haben, in Schulfragen unsere Meinung abzugeben, und unseren Abgeordneten in dieser Weise auf das Kräftigste zu unterstützen. Wenn Herr Gemeinderath Holub glaubt, daß es auf Commando gehe, so möchte ich ihm erwiedern, daß wir nicht allein mit diesem Antrage stehen, sondern daß in anderen Städten alsogleich als dieser Gesetz-Entwurf bekannt wurde, Gemeinderaths-Sitzungen abgehalten wurden und gegen diesen Entwurf Stellung genommen wurde. Wenn wir schon für die

Schule jährlich so viele Tausende von Gulden geben, so, ich wiederhole es, haben wir auch die volle Berechtigung in dieser Frage mitzusprechen und unsere Wünsche dem Abgeordnetenhause bekannt zu geben. Wenn der Herr Gemeinderath Holub glaubt, daß die vorliegende Frage eine politische sei, so ist er ebenfalls im Irrthume. Das ist nicht nur eine politische, sondern auch eine wirthschaftliche eine sociale Frage. Das erstere werden vielleicht einige Herren glauben. Ich fasse sie als eine tief eingreifende sociale und als eine wirthschaftliche Frage auf. In dieser Art sind unsere Meinungen eben verschieden die des Herrn Gemeinderathes Holub und die meine und vielleicht auch die Meinung vieler anderer Herren die anwesend sind.

Ich möchte Sie bitten lassen wir das Moment der Politik ganz weg geben wir unbeirrt um alles Nebensächliche unser Votum ab, sagen wir, wir sind nicht einverstanden mit einem solchen Vorschlage, der unser ganzes Volkschulwesen erschüttert uns um ein Jahrhundert zurückschlägt, denn im Jahre 1780 war die Volks schule bereits eine Staatsschule gewesen. Stimmen sie also für unseren Antrag an das Abgeordnetenhaus eine Petition zu richten den Liechtensteinischen Antrag nicht anzunehmen. Dieser Antrag ist schädlich in wirthschaftlicher und soclialer Beziehung da er uns in unseren culturellen Bestrebungen um ein Jahrhundert zurückschlägt. Nachdem sich nach dieser Rede des Herrn Gemeinderathes Kautsch

Niemand mehr zum Worte meldet bringt der Herr Vorsitzende den zu Beginn der Sitzung vorgelesenen Antrag zur Abstimmung. Derselbe wird mit 14 gegen 3 Stimmen zum Beschlusse erhoben. Dagegen stimmten die Herren Gemeinderäthe Franz Breselmayr, Karl Holub und Leopold Huber. Nachdem sich niemand mehr zum Worte meldet dankt der Herr Vorsitzende dem Gemeinderathe für Fassung dieses Beschlusses und erklärt die Sitzung für geschlossen. Schluss 41/2 Uhr Nachmittags. Der Vorsitzende Die Gemeinderäthe Der Schriftführer

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2