Gemeinderatsprotokoll vom 4. Mai 1946

1. Ausserordentliche Sitzung. Protokoll über die 1. ausserordentliche Sitzung des Gemeinderates der Stadt Steyr am 4. Mai 1946, als Festsitzung anlässlich der Befreiung der Stadt vom nationalsozialistischen Regime. Anwesende : Bürgermeister Leopold Steinbrecher, die Bürgermeisterstellvertreter Gottfried Koller und Franz Paulmayr, die Stadträte: Azwanger Anton Enge Franz Dedic Karl Wabitsch Ludwig Ebmer Johann die Gemeinderäte: Ennsthaler Wilhelm Russmann Julius Fellinger Josef Schanovsky Hans Fischer Karl Schnabl Franz Fischer Franz Steininger Oskar Hochgatterer Anton Trauner Franz (SPÖ) Huemer Alois Trauner Franz (ÖVP) Mayrhofer Josef Voglsam Josef Moser August Weindl Anton Pickl Hermine Wipplinger Karl Pöschl Franz Wohlfahrt Josef Wöhrer Hubert Pöschl Josef Wokral Josefine Radmoser Hans Ribnitzky Vinzenz Zeilinger Gangolf Riha Karl Vom Magistrat: Magistratsdirektor Dr. Ferdinand Häuslmayr, Magistratsdirektorstellvertreter Dr. Karl Enzelmüller. Beginn der Sitzung; 17 Uhr.

Bürgermeister Leopold Steinbrecher eröffnet die Sitzung, begrüsst die erschienenen Mitglieder des Gemeinderates, den anwesenden ehemaligen Gouverneur 1st Lt. Frank Ferentchak, die Vertreter der Behörden und führt aus: "Auf den Tag vor einem Jahr rollten die ersten amerikanischen Panzer in Steyr ein. Der verbrecherischste und wahnsinnigste Krieg aller Zeiten ward für unser Vaterland beendigt, unsere Stadt war frei, frei von einem siebenjährigen Druck, von einer Herrschaft, deren Methoden der Grausamkeit - so wollen wir mit heissem Herzen hoffen - wohl für alle Zeiten der Vergangenheit angehören. Und so ist es nicht nur unsere Pflicht, den Offizieren und Soldaten der USA unseren aufrichtigsten und wärmsten Dank zu sagen, sondern sie auch zu versichern, dass diese Dankbarkeit in unseren Herzen und in den Herzen unserer Kinder für immer weiter leben wird. Aber ein Wehrmuthstropfen mischt sich in unsere Freude: Wir sind zwar befreit, aber noch nicht frei, noch kein souveräner Staat. Noch ist sich der Alliierte Rat nicht sicher, ob wir Österreicher auch reif sind für die Demokratie, würdig als vollwertige Mitglieder in die Vereinigung der Völker einzuziehen. Aber dieses Misstrauen ist unbegründet. Wir Österreicher sind aufrichtige Demokraten und Pazifisten, wir sind ein fleissiges Volk, wir lieben die Musik und sind naturverbunden mit unserer schönen Heimat. Wann hat jemals eine Generation so Unerhörtes erlebt, als unsere Generation! 2 Weltkriege, Revolutionen, zwei faschistische Systeme. Aber gerade die Arbeiterschaft dieses Staates hat unter Beweis gestellt, dass sie antifaschistisch war und ist. Die Arbeiterschaft hat im Feber 1934 auf den Barrikaden für Österreich gekämpft, für ein demokratisches Österreich. Sie ist in diesem Kampfe unterlegen und politisch entrechtet. worden. Klar also, dass im Jahre 1938 die inneren Widerstandskräfte Österreichs völlig lahm gelegt waren, so dass es eine leichte Beute des nationalsozialistischen Faschismus wurde, der unser Land schon vor der Okkupation wirtschaftlich zu erwürgen drohte. Und es gab natürlich viele Österreicher, die den

Verlockungen des Dritten Reiches unterlagen und niemand von uns wird leugnen, dass viele Österreicher ein vollgerütteltes Mass von Schuld trifft, dass unser Vaterland in den Faschismus und dadurch in den Krieg gerissen wurde. Aber auch viele dieser Irregeführten erkannten bald, aber leider zu spät, in welchen Abgrund Österreich durch die Einverleibung in das Dritte Reich getrieben wurde. Die antifaschistische Bevölkerung und wieder vor allem die Arbeiterschaft sammelte in dieser Zeit des Druckes, der Konzentrationslager und der Galgen ihre besten Kräfte und rüstete im geheimen und unter tausenden Gefahren den inneren Widerstand. Ungezählt sind die Opfer, die während des Krieges gebracht wurden und so ist es auch unsere Pflicht, dieser Opfer in tiefer Trauer zu gedenken. Der Gemeinderat als der berufene Sprecher der Bevölkerung ist sich bewusst, dass die Befreiung niemals aus eigenen Kräften hätte erfolgen können, er ist sich bewusst, dass die Tat der Befreiung ein Werk der Alliierten ist. Im Namen der Bevölkerung von Steyr möchte ich diese Feierstunde dazu benützen, an die grossen demokratischen Mächte der Welt die leidenschaftliche Bitte zu richten: Ihr habt uns von nationalsozialistischer Tyrannei befreit, gebt uns euren demokratischen Traditionen entsprechend nun auch die volle Freiheit! Dieses österreichische Volk hat in langen bitteren Jahren jene Erfahrung gesammelt, die es wahrhaftig befähigt, diese zweite österreichische Republik aus eigenen Kräften aufzubauen. Mir wurde ein von allen Mitgliedern des Gemeinderates unterzeichneter Dringlichkeitsantrag vorgelegt: Dringlichkeitsantrag. Die gefertigten Gemeinderäte beantragen, die Artilleriestrasse mit sofortiger Wirksamkeit in Rooseveltstrasse umzubenennen. Begründung: Die Stadt Steyr wurde von USA-Truppen am 5. Mai 1945 vom nationalsozialistischen Joche befreit. Die Verdienste des grossen Präsidenten der USA, Franklin D. Roosevelt um die Niederringung des deutschen

Faschismus sollen daher in Steyr für alle Zukunft sichtbaren Ausdruck finden, der lebenden und künftigen Generation zur Mahnung : Niemals wieder Faschismus: Da dieser Dringlichkeitsantrag von allen Mitgliedern des Gemeinderates unterzeichnet ist, entfällt eine Abstimmung. Der Bürgermeister schliesst die Sitzung um 17.30 Uhr. Der Vorsitzende:

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