Gemeinderatsprotokoll vom 19. September 1945

Ich wende mich zunächst an die Vertreter der Volkspartei. Wenn die Zusammenarbeit wie bisher unter Führung von Bürgermeisterstellvertreter Franz Paulmayr und Stadtrat Ludwig Wabitsch so weitergeht, dann können wir mit Vertrauen in die Zukunft blicken. Ich richte daher in dieser ersten Sitzung auch den dringenden Apell an alle Parteien, alles daran zu setzen, dass in Steyr die anständige Bevölkerung nicht mehr politisch gegeneinander gehetzt wird. Jeder Parteifunktionär ist verpflichtet, selbst dann, wenn es Differenzen wirtschaftlicher oder politischer Natur gibt, alles daran zu setzen, um ein Chaos in der Zukunft zu vermeiden. Sind sich aber die Führer einig, dann ist es auch die Mitgliedschaft. Die Heimwehrbewegung vom Jahre 1934 bis 1938 hat der Arbeiterschaft viel genommen. Ihre Organisationen, ja selbst die Kulturorganisationen (Naturfreunde) wurden mit brutaler Gewalt zerstört. Und zu spät wurden sich die Machthaber von damals des Wahnsinns bewusst und wir mussten das Jahr 1938 erleben, das für uns keine Überraschung mehr war. Der Nationalsozialismus in Deutschland hat mit allen Mitteln die wirtschaftlichen Grundlagen in Österreich untergraben, um aus der Not seinen politischen Nutzen zu ziehen. Es ist ihm gelungen. Die Widerstandskraft des österreichischen Volkes war so stark gesunken, dass die Ereignisse von 1938 nicht mehr aufgehalten werden konnten. Was wir nun vom Jahre 1938 bis zum 5.V. 1945, vom Kriege abgesehen, an Grausamkeiten, Terror, Mord mitgemacht haben, ist wohl nicht zu schildern. Ich stelle mit besonderer Freude fest, dass in unserem Kreise hier Männer sitzen, die im vergangenen Regime den Leidenskelch bis zur Neige ausgekostet haben.Aber auch der Zusammenbruch von 1945 kam uns nicht überraschend. Wir wussten seit Jahren, dass dieser verbrecherische Krieg nur zum Unglück führen musste und waren daher auf das Ende vorbereitet. Unserem Volke und auch unserer Stadt drohte das Chaos, wenn nicht Männer gewesen wären, die ihr Leben hintan setzten, um die politischen Leidenschaften hintan zu halten. Denn der Hass gegen das abgetretene Regime war ungeheuer und ein Gedanke beseelte die Menschen aller Stände, Vergeltung zu nehmen. Dazu kam, dass nahezu 70.000 Menschen in dieser Stadt zur Zwangsarbeit verurteilt waren und vielfach unmenschlich behandelt wurden. Es ist für uns alle eine grosse Genugtuung, dass es uns mit allen Mitteln gelungen ist, das Ärgste von dieser Stadt abzuwenden. Es war nicht immer leicht, man musste oft gegen seinen eigenen Willen handeln und wir mussten uns bei allen unseren Entscheidungen sagen, dass wir die Besiegten und die anderen die Sieger sind.Noch ist dieser Gemeinderat nicht unser Ideal, noch ist er nicht aufgebaut auf dem Vertrauen der gesamten Bevölkerung. Immerhin aber ist auch die gegenwärtige Gemeindevertretung bereits ein Abbild der im Entstehen begriffenen politischen Parteien." Der Redner kommt auf das Problem der Entnazifizierung zu sprechen, das bei der Gemeindevertretung zum gössten Teil durchgeführt wurde und nur dort nicht, wo ein Ersatz an geeigneten Kräften fehlt. Der Redner bespricht dann die schwierige Lage der Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigsten Bedarfsartikeln. Die Lösung dieser Probleme wird wohl das Schwerste für den kommenden Winter darstellen. Wir müssen uns eben immer bewusst sein, dass wird ausgeraubt sind. Vor allem die Versorgung der Bevölke-

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