—1— 1. Einleitung 1.1 Anlass der Untersuchung und Forschungsziel Hauptgegenstand dieser Abhandlung sind die Teile der Stadt Steyr am oberen Wehrgrabenlauf, einem Seitenarm des Steyrflusses, im Allgemeinen und die Entwicklung der Ersten Zeugstätte mit ihrem Hinterland, dem Stadtteil Aichet, im Besonderen. Unter Zeugstätte ist eine Gruppe von Werkstätten, die zur Nutzung der Wasserkraft an einer Gefällstufe des Gerinnes gelegen ist, zu verstehen. Anlass zur Untersuchung war die Auflösung der Wehrgrabencommune, einer Gemeinschaft von Wasserrechtsinhabern am Wehrgraben, verbunden mit der Zurücklegung ihrer Wasserrechte und der Erlassung einer letztmaligen Verfügung der Wasserrechtsbehörde. Die Wehrgrabencommune, bestehend seit der Erlassung des Wasserrechtsgesetzes 1879, war Nachfolgerin der Steyrer Wührgrabler, die seit 1529 zur Erhaltung des Wehrgrabengerinnes eine eigene von Bürgermeister und Rat der Stadt erlassene Ordnung besaßen. Die letztmalige Verfügung besagte im Auftrag der Wasserrechtsbehörde das Gerinne zuzuschütten, weil sich kein Erhalter des Gerinnes und weiterer Nutzer der Wasserrechte fand. Eine von der Stadt und dem Bundesministerium für Unterricht veranlasste Untersuchung und ein von der Stadt Steyr ausgeschriebener Architektenwettbewerb, ein erwachendes Stadtbewusstsein der Steyrer Bürger und Fachgutachten führten zur Revidierung der Zuschüttungsabsichten der Stadtverwaltung. Diese war durch Kauf der Gewässerparzellen der Commune in deren Rechte und Verpflichtungen eingetreten. Unklar blieb bis jetzt die Sicherung der Erhaltung der Wehrgrabenanlage. Ob und in welchem Umfang nun öffentliche Mittel für die Gerinneerhaltung herangezogen werden können und welche Stelle als Gewässerbesitzer und Erhalter aufscheinen wird, ist bisher ungeklärt. Eine Entscheidung hängt unter anderem von dem historischen Rang ab, den das Wehrgrabenensemble beanspruchen kann. Eine detaillierte Analyse des Bestandes und der geschichtlichen Entwicklung war daher von größter Dringlichkeit. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich nicht allein auf diese spezielle Erkenntnis, vielmehr strebt sie dem stand der stadtbaugeschichtlichen Forschung entsprechend, die simultane Betrachtung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, kultureller und räumlich struktureller Aspekte an. Die Auswertung vorhandener urkundlicher Quellen der unterschiedlichsten Art wird mit der Aufnahme und Analyse noch erhaltener baulicher Zeugnisse verknüpft und zu einem strukturgeschichtlichen Entwicklungsbild verarbeitet. Städte, deren Entwicklung überwiegend von speziellen Existenzgrundlagen, wie etwa der Eisenverarbeitung und der Wasserkraft geprägt wurden, sind als Beispiele strukturgeschichtlicher Entwicklungslinien besonders interessant. Obwohl verschiedentlich Gewerbeansiedlungen oder die Ansiedlung von Handwerkern, Bergleuten und Salinenarbeitern schubweise stattfand, ist die Auswirkung derartiger Vorgänge, soweit sie im späten Mittelalter oder in der frühen Neuzeit erfolgten, auf die Siedlungsentwicklung und Strukturveränderung im Einzelnen nicht untersucht worden. Sieht man von der Horner Tuchmachersiedlung des 17. Jahrhunderts ab, so ist allerdings in keiner der vorgenannten „Industriesiedlungen“ [Ferlach, Pögstall, Enns] ein dem Wieserfeld auch nur annähernd vergleichbares städtebauliches Ordnungsprinzip, das sich Überdies durch sein hohes Alter auszeichnet, zur Verwirklichung gelangt. (Knittler, 1987, S. 40) Siedlungserweiterungen finden sich in Landschaften mit Metallverarbeitung und in späterer Folge mit Textilindustrie. Besonders hervorzuheben sind die Siedlungsanlagen und deren Erweiterungen in den Bergbaugebieten. Die Knappensiedlungen in Schwaz und in Hall in Tirol im 16. Jahrhundert Übertreffen an Einwohnerzahl die Anlage des Wieserfeldes. Die Siedlungsstrukturen unterscheiden sich aber wesentlich von der städtischen Anlage in Steyr. Hinsichtlich der Struktur unterscheiden sich auch die Knappensiedlungen in den Montangebieten des Erzberges und von Hüttenberg. Sowohl in Tirol wie auch im Erzbergbereich und um Hüttenberg kommt es zu keiner Siedlungskonzentration. Die Bevölkerung siedelt in kleinen Einheiten und verteilt sich so auf großräumige Reviere. Von Auswirkungen auf eine Stadtentwicklung durch vorindustrielle Gewerbe und den Bergbau kann unter anderem in Bregenz, Enns, Hall in Tirol, Horn, Pögstall, Schwaz in Tirol sowie in der Eisenwurzen um den Erzberg - hier in kleinerem Rahmen - gesprochen werden. Untersuchungen der genannten Orte in städtebaulicher und baugeschichtlicher Hinsicht sind bislang nicht bekannt.
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