Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 93 - beobachtete: Anstatt sich als Jungkaufmann am Stammsitz der Familie niederzulassen und da- mit in Konkurrenz zu ihr zu treten, konnte durch Abwanderung eine Kooperation entstehen und schließlich sogar die Basis für ein kommerzielles Netzwerk gelegt werden. 527 Dass die Gründung durch die Familie unterstützt wurde, das zeigt die sogenannte Haubt Geheimb Buech Billanz des Jahres 1712, aus der die Kapitalstruktur der Kollerischen Handlung fünf Jahre nach ihrer Gründung abzulesen ist: Auf der Soll-Seite finden sich rund 25.216 Gul- den an Kapital, das sich aus dem Eigenkapital-Anteil Johann Josefs mit 3.971 Gulden und dem Anteil sieben weiterer Fremdkapital-Gebender bzw. stiller Teilhaber/-innen auf der Habens- Seite zusammensetzte: Jakob Kollers sel. Erben – die Handlung des inzwischen verstorbenen Vaters in Mauthausen – dürfte Johann Josef das nötige Startkapital in Höhe von 16.000 Gulden zur Verfügung gestellt haben. Ohne diese 45 Prozent des Gesamtkapitals hätte die Handlung womöglich gar nicht erst gekauft und erfolgreich weitergeführt werden können. Auch der Han- delsmann, damalige Bürgermeister und Nachbar im Haus Stadtplatz Nr. 9 – Adam Wilhelm 528 – war mit 6.000 Gulden beteiligt. Matthias Ferdinand Winterl – Oberhammerverwalter zu Reichraming und Werksverweser zu Wildalpen (Steiermark) 529 – investierte 3.000 Gulden und Hans Stadlmayr immerhin 1.000 Gulden. 530 Das Gesamtkapital in Höhe von über 25.000 Gulden war beachtlich für eine Eisenwaren- handlung. Zum Vergleich: 1734 wurde der Kapitalbedarf von neu aufgenommenen Kaufleuten in Wien gesetzlich festgelegt, sodass Wechsler 50.000 bis 60.000 Gulden, Niederleger 30.000 bis 40.000 Gulden und die übrigen Handelsleute 8.000 bis 15.000 Gulden aufbringen mussten. Mindestens ein Drittel davon war in der Form von Eigenkapital zu bestreiten. 531 Da- von war Johann Josef Koller mit einem nur elfprozentigen Eigenkapitalanteil zwar weit ent- fernt, jedoch war es ihm gelungen, ein beachtliches Grundkapital aufzubringen, was wahr- scheinlich auf das erfolgreiche Handelsunternehmen seines Vaters in Mauthausen und den da- raus resultierenden guten Beziehungen zu einflussreichen und vermögenden Personen aus der Branche zurück zu führen ist. 527 Margrit S CHULTE B EERBÜHL , Expandieren und Vernetzen. Die Handelsstrategie deutscher Kaufleute im ersten globalen Zeitalter (1660–1815), in: Susanne Hilger / Achim Landwehr, Hg., Wirtschaft – Kultur – Geschichte: Positionen und Perspektiven, Stuttgart 2011, 27–44, hier 27. 528 Adam Wilhelm gehörte bis 1727 das Haus am Stadtplatz Nr. 9 / Ennskai Nr. 22 (sogenanntes „Meditzhaus“). Er war mit Anna Eva verheiratet und von Beruf Handelsmann, von 1702 bis 1708 außerdem Stadtrichter und von 1709 bis 1722 Bürgermeister. Er starb am 27. Oktober 1737 im Alter von 78 Jahren und wurde bei großem Geläut in der Dominikanerkirche beigesetzt; siehe K RENN , Häuserchronik, 148. 529 P ANTZ , Beiträge, 302 f. 530 StA Steyr, Inventar und Quartalsbilanzen (31.12.1712), Kasten XII, L4/3 FIV 1–27 Nr. 19. 531 Peter R AUSCHER / Andrea S ERLES , Die Wiener Niederleger um 1700. Eine kaufmännische Elite zwischen Han- del, Staatsfinanzen und Gewerbe, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 26/1 (2015), 154– 182, hier 157. Stille Teilhaber/-innen

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