Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 351 - den Koller vertriebenen Waren über mehrere Mittelspersonen auch Nordamerika erreichten. Ein weiterer Einzelbeleg informiert über den Sensenhandel nach Brody (Kronland Galizien) – ein zentraler Ort im damaligen Russlandhandel. Koordiniert und kontrolliert wurden die weitreichenden Geschäfte durch Reisen und – viel- mehr noch – die Korrespondenz, wobei die Geschwindigkeit der Nachrichten- und Warenüber- mittlung anhand der Absende- und Eingangsvermerkte auf den Geschäftsbriefen rekonstruiert werden konnte. Als Zahlungsmöglichkeiten gab es auf regionaler Ebene die Optionen der per- sönlichen Zahlung oder des Bargeldversandes, während bei Auslands- bzw. Überregional- und Fernhandelsgeschäften der bargeldlose Zahlungsverkehr mittels Kontokorrent, Anweisungen oder Wechseln größere Sicherheit bot. Die Buchführung war schließlich eine Strategie der Un- ternehmer/-innen, den Überblick über die Aktiv- und Passivschulden sowie über den Waren- vorrat zu bewahren und im Bedarfsfall auf bisherige Geschäfte zurückzublicken. Obwohl keine regelmäßige Bilanzierung erfolgte, keinerlei Hauptbücher überliefert sind und in Frage gestellt wird, ob die Koller jemals von der einfachen zur doppelten Buchführung übergegangen sind, ist klar erkennbar, dass die Unternehmer/-innen ein starkes Bedürfnis nach Dokumentation hat- ten, wenngleich sie nicht gesetzlich dazu verpflichtet waren, Buch zu führen. Es waren prakti- sche Motive und unternehmerisches Denken, die sie zur Führung unterschiedlicher Kaufleute- bücher (z. B. Jahrmarkts- und Briefkopierbücher) veranlassten. Die Betrachtung des Konsums von Notwendigkeiten bis zum Luxus, vor allem aber der An- nehmlichkeiten, ermöglichte schließlich, die Lebenswelt der Kaufleutefamilie ein Stück weit zu rekonstruieren und ein Bild über den Lebensstandard der Koller zu erhalten. Bekleidung, Schuhe, Schmuck und Geschmeide entsprachen der standesgemäßen Ausstattung von Mitglie- dern des Wirtschaftsbürgertums. 1959 Der enge Kontakt zu Franz Schubert, das Engagement in Vereinen und die Bildung durch Literatur ab circa 1800 lässt bildungsbürgerliche Ambitionen in der Ära Josef von Kollers (1798–1856) erkennen. Letztlich war bei den Koller keine über- mäßige Darstellung von Luxuskonsum feststellbar, was für die Zeitgenossen als ein Charakte- ristikum des Steyrer Bürgertums galt. Der Besitz mehrerer Immobilien in und um Steyr sowie in Linz war Ausdruck eines gewissen Wohlstandes und diente neben Repräsentationszwecken außerdem als Anlageobjekt, Freizeitvergnügen und landwirtschaftliche Ertragsfläche (Garten- häuser). 1959 Zu den „Idealtypen“ mittel- und westeuropäischer, bürgerlicher Entwicklung siehe Jürgen K OCKA , Phasen der europäischen Bürgertumsgeschichte, in: Hans-Jürgen Gerhard, Hg., Struktur und Dimensionen. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag: Bd. 2: Neunzehntes und Zwanzigstes Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Beihefte 133), 2 Bde., Stuttgart 1997, 339–349, hier 339. Transaktions- abwicklung Lebensstandard

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