Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 348 - auch einen tiefen Einblick in die „world of goods“ des Eisengewerbes. Der Alltag des Handels- geschäftes bzw. die Praxis des Handelns lässt sich anhand der Briefe sehr viel besser erschlie- ßen, als anhand rein buchhalterischer Aufzeichnungen, wie z. B. Bilanzen und Hauptbücher, in denen Geschäftsvorgänge auf Zahlen reduziert sind und wichtige Informationen – insbesondere Details über die Handelswaren – nicht mehr zugänglich sind. Form und Inhalt der Korrespon- denz lassen außerdem Rückschlüsse auf die Beziehung zwischen Absender/-in und Empfän- ger/-in zu, womit z. B. Verlagsverhältnisse rekonstruiert werden konnten. Das Handelsunternehmen der Koller in Steyr existierte von 1707 bis 1888 und verdankt sei- nen Erfolg zu einem wesentlichen Teil Jakob Koller aus Mauthausen, der als Niederleger, Schiffmeister und Eisenhändler eine zentrale Rolle im Handelsgeschehen seiner Zeit spielte. Seinem Sohn eröffnete dies die Möglichkeit, Anfang des 18. Jahrhunderts eine eigene Existenz in Steyr aufzubauen, wo er sich höchstwahrscheinlich dank bestehender Kontakte seines Vaters und seines in Steyr lebenden Onkels niedergelassen hatte. Das Handelshaus übernahm er mits- amt dem Sortiment von der Witwe eines Steyrer Kaufmanns, der bereits mit seinem Vater Jakob Koller Geschäfte getätigt hatte, und als Kapitalgeber fungierten Teile der engeren Familie sowie bedeutende Handelsleute aus der „Eisenstadt“. Das familiäre Netzwerk spielte eine entschei- dende Rolle in der Unternehmensgründung und der -finanzierung, weshalb die Unternehmens- und die Familiengeschichte gleichermaßen in der Analyse berücksichtigt wurden. Haushalt und Handlung waren in vorindustrieller Zeit eng miteinander verzahnte und nicht voneinander zu trennende Sphären. Die Betrachtung der Geschichte(n) der Familie und ihrer Angehörigen sowie der Organisation des Handelshauses macht deutlich, dass Brüche in der Geschichte des Unternehmens stark vom Familienzyklus 1956 bestimmt waren: Das Unterneh- men ging nach dem Tod des Unternehmensgründers Johann Josef Koller 1742 an dessen Witwe über, die – später von ihren Söhnen unterstützt – das Handelshaus weitere 30 Jahre erfolgreich führte. Als langjähriges Oberhaupt des Handelshauses und der Familie (1742–1773) verleiht Maria Elisabetha Koller dem weiblichen Anteil im Steyrer Handel endlich ein Gesicht. Einer der Söhne – Jakob – trat 1773 die Unternehmensnachfolge an, nachdem sich sein Bruder Franz Wolfgang in unmittelbarer Nähe als Konkurrent selbstständig gemacht hatte. Um die Wende zum 19. Jahrhundert setzte eine neue Ära ein, in der Josef von Koller das Unternehmen zu seiner vollen Blüte brachte, bevor die Handelsleute Steyrs ab Mitte des Jahrhunderts mit den 1956 Zum Thema Familienzyklus siehe Tamara K. H AREVEN , The Family as Process: The Historical Study of the Life Cycle, in: Journal of Social History 7 (1974), 322–329; Michael M ITTERAUER / Reinhard S IEDER , The Deve- lopmental Process of Domestic Groups: Problems of Reconstruction and Possibilities of Interpretation, in: Journal of Family History 4/3 (1979), 257–284; Andreas G ESTRICH / Jens-Uwe K RAUSE / Michael M ITTERAUER , Ge- schichte der Familie (Europäische Kulturgeschichte 1), Stuttgart 2003. Abriss der Unter- nehmens- geschichte Unternehmens- phasen

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