Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 294 - Konsum kann mehrfache Funktionen erfüllen, die in einem breiten Spektrum von der Be- friedigung der Grundbedürfnisse, über die Identitätsstiftung 1619 und soziale Distinktion (Ab- grenzung sowohl nach unten als auch nach oben), 1620 bis hin zum Überspielen emotionaler Leere oder mangelnden Selbstwertgefühls reichen. 1621 Konsummuster und -zwecke berücksich- tigend, unterscheidet die historische Konsumforschung konsumierte Waren und Dienstleistun- gen in Notwendigkeiten („necessities“), Annehmlichkeiten („decencies“) 1622 und Luxusgüter („luxuries“). Notwendigkeiten sind Konsumgüter, die der Befriedigung von Grundbedürfnissen dienen, Annehmlichkeiten gehen darüber hinaus und werden als unabdingbar für ein anständi- ges Leben erachtet, Luxusgüter schließlich sind nur einer kleinen Elite zugänglich. 1623 Der Ent- wicklungsbeginn der Konsumgesellschaft 1624 wird mit der verstärkten Nachfrage von Annehm- lichkeiten (kommerziell vertriebene Handwerks- und Manufakturwaren wie Wohnungsausstat- tung, Bekleidung, Schmuck, Genussmittel) in Verbindung gebracht. 1625 In vorindustrieller Zeit vermehrte sich die Anzahl der zugänglichen Güter, die aufgrund ihrer Bedeutung vermehrt dazu beitrugen, Identität und Subjektivität zu schaffen. Abwechslung und Neuheiten bereiteten den Konsumenten/-innen zunehmend Vergnügen. 1626 Im vorliegenden Fall lassen sich anhand der überlieferten Quellen im Koller-Archiv – ins- besondere durch Ausgabenaufzeichnungen und Rechnungen – in erster Linie die Grundbedürf- nisse der Familienmitglieder (Ernährung, Bekleidung, Gesundheit) untersuchen. Aufgrund von Belegen zum Konsum von Genussmitteln und Körperpflegeprodukten, zur Ausgestaltung der Freizeit sowie zum Besitz und Gebrauch von Kutschen und Schlitten sowie Immobilien kom- men über die Grundbedürfnisse hinausgehende Annehmlichkeiten und Luxusgüter in Betracht, die Einblick in die Lebenshaltung der Koller sowie in die „world of goods“ gewähren. 1627 der materiellen Kultur in der Frühneuzeitforschung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 42/3 (2015), 373– 409; Marian F ÜSSEL , Die Materialität der Frühen Neuzeit. Neuere Forschungen zur Geschichte der materiellen Kultur, in: Zeitschrift für Historische Forschung 42/3 (2015), 433–463; Frank T RENTMANN , Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute, München 2017. 1619 B ECK , Luxus, 43 f. 1620 E DER , Geschichte, 16. 1621 Franz X. E DER , Konsum/ieren. Begriffe und Ansätze der Konsumforschung und -geschichte, in: Historische Sozialkunde 2 (2004), 4–12, hier 5–8. 1622 Den Begriff der „decencies“, die keine Bedürfnisse, sondern Wünsche befriedigen, machte John Brewer po- pulär, er geht ursprünglich jedoch auf den schottischen Ökonomen Adam Smith zurück: Adam S MITH , An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 3 Bde., London 1776. 1623 John B REWER , Was können wir aus der Geschichte der frühen Neuzeit für die moderne Konsumgeschichte lernen?, in: Hannes Siegrist u. a., Hg., Europäische Konsumgeschichte: Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt am Main u. a. 1997, 51–74, hier 61–64. 1624 In England sei dies für das 17./18. Jahrhundert zu beobachten, in den Niederlanden im 17. Jahrhundert und in Florenz sogar schon in der Renaissance; siehe E DER , Geschichte, 13. 1625 E DER , Konsum/ieren, 4. 1626 B REWER , Konsumgeschichte, 72 f. 1627 Siehe dazu insbesondere John B REWER / Roy P ORTER , Hg., Consumption and the World of Goods, London u. a. 1994. Konsum als Be- dürfnisbefriedi- gung

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