Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 270 - weit gespanntes Handelsnetz unterhielten, das weit über diese 250 Kilometer hinausreichte, und sie selten persönlich mit ihren bis zu zweitausend Kilometer (Smyrna/Izmir, Türkei) entfernten Geschäftspartnern/-innen zusammentrafen, war die Bezahlung in bar bzw. per Postwagen nicht immer möglich und aufgrund zu hoher Beträge auch nicht risikofrei, sodass sie sich anderer Transaktionsformen bedienen mussten. Eine beliebte Möglichkeit bot die gegenseitige Verrechnung auf Kontokorrent. Die Bezeich- nung leitet sich vom italienischen Ausdruck conto corrento (fortlaufende Rechnung) 1507 ab und wurde seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert in Genua sowohl von Privatpersonen als auch von Handelsgesellschaften benutzt, um Einlagen zu tätigen und vom eigenen Konto Überweisungen auf andere Konten anzuordnen. 1508 Kontokorrent war ein Ausdruck des frühneuzeitlichen chro- nischen Bargeldmangels, sodass ein Großteil (über 90 Prozent) der Transaktionen auf Kredit- basis abgewickelt wurde. 1509 Die Möglichkeit der Gegenverrechnung räumte man aber nur sol- chen Geschäftspartnern/-innen ein, mit denen man regelmäßig Geschäfte machte und denen man in Hinsicht ihrer Zahlungsfähigkeit und -zuverlässigkeit vertraute. Von diesen wurde näm- lich nicht erwartet, dass sie nach einem Wareneinkauf sofort den gesamten Betrag beglichen, sondern ihr Konto war ein laufendes (italienisch: „correre“), sodass auch Teilzahlungen und etwaige Gegengeschäfte darauf gegenverrechnet wurden. Vor allem im Handel mit Italien – Export von Eisengeschmeidwaren, Import klassischer „Südwaren“ – bot sich diese Form des Ausgleichs an. Gegenseitige Warengeschäfte waren aber keine Voraussetzung für Kontokor- rent, denn für Warensendungen auf der einen Seite, konnten auf der anderen Seite Gegenleis- tungen wie übermitteltes Bargeld in Form von Teilzahlungen, in Zahlung gegebene Wechsel, Provisionen, Spesen, Nachlässe und Stornierungen gutgeschrieben werden. Zur Kontrolle führ- ten beide Geschäftspartner/-innen ein solches Konto, wobei die Errechnung der Saldi in unre- gelmäßigen Abständen (z. B. bei Geldbedarf oder beim Abschluss einer Rechnungsperiode) erfolgte. Hatten beide Geschäftspartner/-innen den gleichen Saldo errechnet, erfolgte entweder der tatsächliche Ausgleich des noch offenen Betrages durch einen realen Geldtransfer (z. B. per Postwagen) oder der Übertrag auf ein neues Konto für die nächste Rechnungsperiode. Der Vor- teil in der Handhabung dieses gegenseitigen Wertausgleichs lag in der Reduzierung der Geld- 1507 N. N., Cameralistisches Journal für württembergische Cameralisten. Fünftes Heft, Stuttgart 1812, 90. 1508 Michael N ORTH , Kleine Geschichte des Geldes. Vom Mittelalter bis heute, München 2009, 30 f. 1509 Mark H ÄBERLEIN , Kreditbeziehungen und Kapitalmärkte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Jürgen Schlum- bohm, Hg., Soziale Praxis des Kredits: 16.–20. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 238), Hannover 2007, 37–52, hier 39. Kontokorrent
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2