Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 224 - ihre ökonomischen Grundlagen, sodass sie in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts ver- schwanden bzw. Mustermessen wichen. Das neue Messkonzept der Mustermessen sah vor, dass nicht mehr die gesamten Güter zu den Messen gebracht wurden, sondern nur noch Muster, die für die Gesamtheit der Waren standen und nach denen gekauft werden konnte. Voraussetzung für den Kauf nach Mustern und die Gewissheit, dass die tatsächliche Lieferung den Mustern entsprechen würde, war eine gleichmäßige Produktion, wie es in der manufakturellen und in- dustriellen Fertigung möglich war. 1276 3.4.2.3 Muster Während sich die Käufer/-innen im Einzelhandel vor Ort im Gewölbe oder beim Besuch von Jahrmärkten und Messen die Waren persönlich ansehen und prüfen konnten, gestaltete sich die Qualitätsprüfung bei für den Export bestimmten Eisenwaren im Fernhandel schwieriger. Seit der Zweiten Kommerziellen Revolution im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert wurde der Absatz vermehrt durch Handelskorrespondenz organisiert, sodass „zeitraubende Besuche von Messen weitgehend überflüssig“ wurden. 1277 Damit fiel jedoch die persönliche Begutachtung der Waren auf den Messen bzw. Jahrmärkten weg, sodass es in der Korrespondenz umso wich- tiger wurde, die angebotenen bzw. gewünschten Waren genau beschreiben zu können. Meister- zeichen waren nur eines der Mittel, um die Verständigung über die Qualität und Herkunft der Ware zu erleichtern. Weitere Qualitätsmerkmale, wie z. B. Rohmaterial, Gewicht, Größe, Form, Farbe oder die Anwendungsmöglichkeiten, 1278 mussten möglichst exakt beschrieben werden, was nicht immer leicht war. Briefen wurden daher Zeichnungen der Waren oder gar Muster in natura beigelegt, was bei größeren bzw. sperrigen Artikeln jedoch problematisch und kostenin- tensiv war. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurden gezeichnete Musterbücher eingesetzt, bevor sie im Eisenbahn- und Industriezeitalter von ge- druckten (Kupferstich-)Katalogen verdrängt wurden. 1279 Bei den Koller-Handelsleuten war es noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblich, Muster in natura an potentielle Käufer/-innen zu versenden. Am 6. Dezember 1721 bestellte Giovanni Maria Palvice aus Venedig bei Koller in Steyr mehrere hundert Bund Feilen und Ras- peln sowie Ahlen unterschiedlicher Ausführungen. In seiner Bestellung bezog sich Palvice 1276 Karl Heinrich K AUFHOLD , Messen und Wirtschaftsausstellungen von 1650 bis 1914, in: Peter Johanek / Heinz Stoob, Hg., Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit (Städteforschung: Reihe A, Dar- stellungen 39), Köln u. a. 1996, 239–294, hier 266 f. 1277 Ulrich P FISTER , Verlagssystem, in: Enzyklopädie der Neuzeit 14, Stuttgart u. a. 2011, 162–167, hier 166. 1278 R EITH , Qualität, 139. 1279 Wilfried R EININGHAUS , Musterbücher im Metallgewerbe, in: Michael Dauskardt, Hg., Vom heißen Eisen: Zur Kulturgeschichte des Schmiedens (Forschungsbeiträge zu Handwerk und Technik 4), Hagen 1993, 169–176, hier 171. Muster in natura

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