Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 185 - Denn auch ohne, dass es zu einem starken Abhängigkeitsverhältnis der Produzierenden kam oder die Koller gar im Besitz von Werkstätten und Arbeitsmitteln waren, sprach man von Ver- lag. Rudolf Holbach fasste die bisherigen Versuche einer Begriffsdefinition für den Verlag zu- sammen und kam zum Schluss, dass allen „das Dazwischentreten des Händlers zwischen Pro- duzenten und Konsumenten als entscheidend“ erschien und dass die Verleger die Rohstoffver- sorgung, die Finanzierung und die Absatzfunktion übernahmen. 1099 Stefan Gorißen stellte für die Harkorts in Nordrhein-Westfalen fest, dass der Verlag in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten konnte: 1) Die Beziehungen zu den Kleinhandwerksleuten der Region konnten relativ distanziert bzw. eher unverbindlich sein, wenn es sich um einzelne Verkäufe der Produzieren- den an die Harkorts handelte. Die Harkorts waren für die Produzierenden dann nur eines von verschiedenen Handelshäusern, die mit Fertigwaren beliefert wurden. Die Einkäufe geschahen nach Bedarf und wurden sofort mit barer Münze beglichen. 2) Meistens jedoch gestaltete sich die Beziehung zu den Produzierenden so, dass die Harkorts Gewerbeprodukte abnahmen und in einem Gegengeschäft Stahl und Eisen an sie verkauften. Die Bezahlung erfolgte innerhalb kurzer Fristen und in bar, was gegen eine Abhängigkeit der Produzierenden vom Handelshaus spricht, denn nur bei dauerhaften Bindungen durch Verlagsverträge, kam es zur gegenseitigen Verrechnung auf Kontokorrent. 3) Dominant war bei den Harkorts jedoch das Kaufsystem, wo- bei ein Handwerker überwiegend an ein Handelshaus verkaufte und im Gegenzug regelmäßig mit Roh- (Stahl und Eisen) und Hilfsstoffen (Kohle) beliefert wurde. Diese Handwerksleute, die ihre Produkte zwar ausschließlich an die Harkorts verkauften, blieben aber weiterhin von diesen unabhängig, während klassischer Lohnverlag voraussetzen würde, dass auch die Werk- statt, deren Einrichtung, die Werkzeuge und die Rohstoffe Eigentum des Verlegers waren. 1100 Kauf- und Verlagssystem waren also nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzende Produktionssysteme – Christian Kleinschmidt spricht von Mischformen zwischen beiden Sys- temen. 1101 Gorißen fand für diese Ungenauigkeit die Bezeichnung der „verlagsartigen Bezie- hungen“ innerhalb eines Kaufsystems, welches in der Praxis wie folgt aussah: Die Firma Har- kort belieferte die Sensenschmiede zwar mit den benötigten Rohstoffen, jedoch blieben die Schmiede formal selbstständige Handwerker. Sie kauften die Rohstoffe selbst ein und verkauf- ten ihre Handwerkswaren an mehrere Verleger. Die Firma Harkort übernahm die Funktion ei- 1099 H OLBACH , Frühformen, 26 u. 30. 1100 G ORIßEN , Handelshaus, 262. 1101 K LEINSCHMIDT , Weltwirtschaft, 80–84. Verlagsformen „Verlagsartige Beziehungen“

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