Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 150 - Kollers Hütte. 859 In der Frühen Neuzeit waren die Bügel- und Gelenksscheren am weitesten verbreitet, wobei erstere aus einem Stück bestand und bei der zweiten die beiden Schenkel mit einer Schraube miteinander verbunden waren. 860 1722 bestellte Giuseppe Chiesa aus Venedig neben 100 Dutzend Schermessern von der „Eichel“ und 100 Dutzend weißen, beinernen Ta- schenmessern von der Marke „F“ (zu 18 Kreuzern pro Stück) außerdem 100 Dutzend Scheren vom Zeichen „Säbel“. 861 Nähere Details über die Art und Verwendung der gehandelten Scheren geht aus der Eisenwarenbestellung aus Basel vomMärz 1751 hervor, als Caspar Krug der Ältere neben zahlreichen Feilen, Raspeln, Ahlen, Schustermessern, geraden und krummen Schnitt- messern, Beißzangen, Bohrern, Schnitzerklingen, Bleilöffeln und Schuster- und Absatzzwe- cken außerdem 3 Bund Nähscheren ( Nähen Schärn wie Schneiderschärn ), 3 Stück Blechsche- ren für Weißarbeiter mit graden Stangen und um 1 Gulden Schneiderscheren mit Schrauben vom besten Meister bestellte. 862 Bei den 200 Stück Lanzetten mit 2 Spitz zu einem Preis von 4 Gulden, die Giovanni Pietro Ucelli aus Venedig im Oktober 1735 stornierte, weil er sie angeblich nie bestellt hatte, 863 han- delte es sich um ein chirurgisches Instrument, das zum Aderlassen, Impfen oder Öffnen von Abszessen zur Anwendung kam. Die Lanzette wurde daher auch als Wundnadel bezeichnet und unterschied sich vom Skalpell durch eine bewegliche, zweischneidige Klinge. 864 Insgesamt 44.000 Stück dieser Lanzetten von den Zeichen „S“ und „P“ (sowie 30.000 Stück mittlere Stahl- zwecken, 4.000 Stück zweiköpfige Zwecken und 20 Dutzend mittlere Maultrommeln) bestellte Guglielmo Cuomo in Neapel im Oktober 1808 bei Josef von Koller. Die Ware sollte an Groß- händler Joachim Hagenauer in Triest zu Cuomos Disposition (Verfügung) gesandt werden. 865 Besonders beliebt unter den Messern waren die Schermesser, die – wie so viele Eisenge- schmeidwaren der Koller – in Italien regen Absatz fanden. Gut gemachte Rasiermesser erfor- derten „grösste Sorgfalt und Kunstfertigkeit“ in der Herstellung. 866 Die Franzosen, Engländer und Ulmer begannen damit, die Steyrer Schermesser zu polieren und zu schleifen, um das Pro- dukt aufzuwerten und weiter zu verkaufen – und das obwohl die Produkte ohnehin zumindest „wohlfeil“ waren. 867 Ein Produktionszentrum war Trattenbach bei Ternberg, rund 20 Kilometer 859 StA Steyr, Strazza vom Linzer Bartholomäusmarkt (August 1716), Kasten XII, L4/1 FV 1–80 Nr. 14. 860 S CHINDLER , Werkzeuge, 232. 861 StA Steyr, Briefkopierbuch (1722–1723), Kasten XII, L2 FIV 1–9 Nr. 2, fol. 1 f. 862 StA Steyr, Geschäftsbrief aus Basel (10.3.1751), Kasten XII, L3/3 FXV 1–154 Nr. 17. 863 StA Steyr, Briefkopierbuch (1735–1736), Kasten XII, L2 FIV 1–9 Nr. 8, fol. 2. 864 Meyers, Bd. 6, Sp. 186. 865 StA Steyr, Geschäftsbrief aus Neapel (17.10.1808), Kasten XII, L4/4 FV 1–123 Nr. 112. 866 Carl Friedrich Alexander H ARTMANN , Conversations-Lexikon der Berg-, Hütten- & Salzwerkskunde und ihrer Hülfswissenschaften. 4. Bd.: Q–Z, Stuttgart 1841, 187. 867 H OFFMANN , Wirtschaftsgeschichte, 595. Lanzetten Schermesser
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