Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 145 - Brody (in der heutigen Ukraine) befand. 825 Seit jeher war das Sensengewerbe aber auf den Fernhandel ausgerichtet gewesen, weshalb auch für die Koller der Absatz an weit entfernten Plätzen angenommen werden kann. 826 Eine Schadensersatzforderung aus dem Jahr 1806 bestätigt die Teilhabe der Koller am Fern- handel, der bis nach Amerika reichte. Immerhin waren die oberösterreichisch-steirischen Sen- sen in aller Welt gefragte Artikel: „Man hat ja – freilich übertreibend – gesagt, daß die Kulti- vierung der weiten Steppen des mittleren Westens der Vereinigten Staaten ebenso wie Südruß- lands nur mithilfe der steirischen Sensen möglich gewesen sei.“ 827 Das Geschäft nach Amerika vermittelte Johann Tobias Kießling, ein Kaufmann aus Nürnberg, zu dessen Familie die Koller über Jahrzehnte hinweg gute Geschäftskontakte pflegten. Josef von Koller wurde damit beauf- tragt 1.200 Stück zehnhändige Sensen vom Zeichen „Marienbild“ an die Herren van der Smis- sen in Altona zu liefern, wobei diese als Kommissionäre im Auftrag amerikanischer Interessen- ten handelten. 828 Das Altonaer Unternehmen betrieb Spedition und Kommissionshandel, wobei – unter anderem – Handelsplätze in Nordamerika (Boston, Philadelphia) von besonderer Be- deutung waren. 829 Beim Sensengeschäft war es jedoch zu einem gravierenden Irrtum gekom- men, der erst von den Käufern/-innen in den USA bemerkt wurde: Es wurden nicht nur 9- statt 10-händiger Sensen geliefert, sondern auch noch 200 Stück zu wenig. Der Fehler war nicht aufgefallen, da die Herren van der Smissen das für Amerika bestimmte Fass nicht öffneten und sich daher auf die Faktura (Rechnung) verließen. 830 Kießling argumentierte, dass die 9-händi- gen Sensen in Amerika für gewöhnlich unverkäuflich seien, weshalb die amerikanischen Kom- mittenten einen vollständigen Schadensersatz in Höhe von 516 Gulden in Augsburger Kurant- geld forderten. Kießling habe dazu sogar ein juristisches Gutachten eingeholt und würde das Geld – wenn nötig – gerichtlich einfordern lassen, beteuerte aber wie unangenehm ihm die Sache sei und dass er hoffe, dass es seiner guten Geschäftsfreundschaft zu Koller keinen Ab- bruch tue. Ob nun Koller oder der Sensenmeister mit dem „Marienbild“ – Anton Weinmeister auf der Sensenwerkstatt Möderbrugg bei Oberzeiring 831 – die Entschädigung zahlte, sei den 825 R OTH , Eisenwarenproduktion, 309–311. 826 H OLBACH , Frühformen, 286. 827 T REMEL , Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 295. 828 Das Handelshaus Hinrich van der Smissen & Söhne im damals dänischen Altona geht auf eine aus Brabant stammende Mennonitenfamilie zurück, die 1682 in Altona Fuß fasste; siehe Elisabeth H ARDER -G ERSDORFF , Ei- senwaren aus der Grafschaft Mark auf dem Weg zu den Märkten des Ostseeraums: Struktur der Transport- und Vertriebsformen des Hauses J. C. Harkort in der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Hans-Jürgen Gerhard, Hg., Struktur und Dimensionen. Festschrift für Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag: Bd. 1: Mittelalter und Frühe Neuzeit (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Beihefte 132), 2 Bde., Stuttgart 1997, 173–192, hier 176. 829 Heinz M ÜNTE , Das Altonaer Handlungshaus van der Smissen 1682–1824. Ein Beitrag zur Wirtschaftsge- schichte der Stadt Altona (Altonaische Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde II), Altona 1932, 90 f. 830 StA Steyr, Geschäftsbrief aus Nürnberg (22.3.1806), Kasten XII, L3/4 FXXI 1–142 Nr. 13. 831 Obwohl im Brief der Sensenschmied nicht namentlich genannt wird, weißt das Zeichen „Marienbild“ auf Wein- meister als Hersteller hin; siehe Z EITLINGER , Sensen, 148 f. Sensen für Amerika
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