Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 125 - Für die Textilwaren dürfte weitgehend gelten, dass sie im Zuge von Gegengeschäften mit Venedig und Triest nach Steyr gelangten. Wenn die Koller über die an der Adria ansässigen Kaufleute ihre Eisengeschmeidwaren in Italien oder in der Levante absetzen wollten, führten sie wohl in umgekehrter Richtung Waren nach Steyr ein. Das mährische, englische und hollän- dische Tuch im Inventar weist außerdem darauf hin, dass auch in den nördlichen und nordöst- lichen Textilregionen eingekauft wurde. Als Umschlagplatz fungierte dabei insbesondere Linz, dessen Jahrmärkte Kaufleute aus Oberdeutschland und den böhmischen Ländern anzog: Matthias Lebzelter aus Linz lieferte zum Linzer Bartholomäusmarkt im August 1749 weißge- mangte Leinwathen in ain Väßl um 484 Gulden an die Koller. 685 3.3.1.2 Spezerei- und Materialwaren Obwohl der zweite Abschnitt der Inventur von 1712 mit den Worten Specerey Wahren über- schrieben ist, handelte es sich bei genauerem Hinsehen eigentlich um Materialwaren, zu denen auch Spezereiwaren zu zählen waren – wenngleich die beiden Bezeichnungen häufig synonym verwendet wurden. 686 Im Wiener Hofdekret vom 11. Juli 1794 wurden beide Warenpaletten voneinander abgegrenzt: Unter Materialwaren wurden auch Farbwaren verstanden, z. B. Sa- men, Wurzeln, Kräuter, Rinden, Blätter, Schwämme, Gummi, Harze, Terpentin, Erden, Edel- steine, Perlen, Mineralien, Bergwerkserzeugnisse, chemische Stoffe, Salze, Fette, Wachs, Ho- nig, Früchte, Fischbein, Elfenbein, Walrosszähne, Schmelzglas, Schreibutensilien sowie alle Gewürze und Spezereiwaren. Unter letzteren verstanden die Zeitgenossen z. B. Zucker, Kaffee, Tee, Kakao, Vanille, Schokolade, kandierte Früchte, Gewürze, Öle, Fisch, Käse und Wein. 687 Unterschiede in der Abgrenzung gab es insbesondere auf regionaler Ebene, so unterschied man im süddeutschen Raum Spezereiwaren von den Drogen 688 und Farben (Materialwaren) wie in obiger Aufzählung, während man in Nord- und Mitteldeutschland Kolonialwaren, Gewürze und Zucker als Materialwaren bezeichnete. 689 Die Steyrer bezogen diese Waren seit dem Mittelalter aus Venedig, wohin sie ausgezeich- nete Kontakte pflegten. Neben der Bestätigung des Stapelrechts im Jahr 1287 wurde der Stadt 685 StA Steyr, Geschäftsbrief aus Linz (22.8.1749), Kasten XII, L3 FI 1–18 Nr. 13. 686 Z. B. von Herbert Klein, der die Spezereiwaren als typische Kolonialwaren wie Gewürze, Farbwaren, Drogen (im Sinne von Arzneimitteln), Südfrüchten, Öl und geräucherten sowie eingesalzenen Fischen beschrieb; siehe K LEIN , Zezi, 9. 687 B ARTH -S CALMANI , Handelsstand, 137 f. 688 Das Wort Drogen leitet sich vom holländischen Wort für „trocken“ ab, dazu zählten alle rohen oder halb zube- reiteten Naturprodukte oder Präparate aus Hüttenwerken und chemischen Fabriken, die in der Medizin und Tech- nik Anwendung fanden, z. B. Wurzeln, Hölzer, Rinden, Blätter, Blüten, Früchte, Samen, Harze, Gummiarten und Öle; siehe Meyers, Bd. 5, Sp. 206. 689 Ebd., Bd. 6, Sp. 430. Leinwand über Linz Begriffsklärung Spezerei- und Materialwaren
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