Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 111 - erforderlich waren. 599 Giovanni Pietro Ucelli, der häufig als Handelspartner der Koller in den Quellen auftauchte, fragte im Oktober 1724 bei Johann Josef Koller an, ob er seinen 18-jährigen Sohn bei sich zum Erlernen der Sprache aufnehmen würde. Ucelli bot an dafür zu bezahlen und für sämtliche Spesen und die weisse Wesch (Bettwäsche) aufzukommen. 600 Sprachkenntnisse gehörten schließlich zu den Grundfertigkeiten und Eigenschaften, von de- nen Ludovici der Meinung war, dass Handelsleute über sie verfügen sollten: Neben einer „voll- kommene[n] Wissenschaft in Handelssachen“ (Sprachkenntnisse, Kenntnisse des Post- und Fuhrwesens, der Schifffahrt, der Handelsgewohnheiten der jeweiligen Handelsorte, der Wech- selpreise, der Zölle und Abgaben, der Tarife und Verordnungen), waren dies guter Ruf bzw. guter Kredit, Erfahrung, Ehrlichkeit, Beredsamkeit, Vorsicht und Behutsamkeit, Klugheit, ein aufgeweckter und fähiger Verstand, „geschwinder Entschluß“, Ordnungshaltung in der Hand- lung und in den Büchern, Wachsamkeit, Aufmerksamkeit auf den Welthandel, Fleiß, Gottes- furcht, Herzhaftigkeit, Großmut, Verschwiegenheit, Freundlichkeit und Höflichkeit, Freigie- bigkeit (Hilfe der Armen und Gastfreundlichkeit), Sparsamkeit und schließlich Gebrauch der äußerlichen Sinne (zur Prüfung der Güte der Waren). Ludovici vergisst nicht auf die wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Geschäft: ein gutes Vermögen, „denn mit Gelde ist Geld zu verdienen.“ 601 May betont hingegen, dass wie für jeden Beruf die „gesunde Vernunft“ nötig sei und dass von Handelsleuten insbesondere ein „aufgeweckter Geist“ und eine „starke Ein- bildungskraft“ erwartet werden. Darunter verstand er Kreativität – einerseits um neue Ge- schäftsmöglichkeiten zu finden, andererseits um sich aus Krisensituationen zu befreien. Eine Handelsperson sollte weiters von „gesunder Constitution“ sein, da man auf Reisen zu Messen, Märkten oder anderen Gelegenheiten zu gehen habe. 602 Die Handlungswissenschaft des 18. Jahrhunderts forderte, dass Handelsleute ihre Emotionalität im Griff hatten. Sie mussten also rational handeln und durften sich nicht von ihren Gefühlen beeinflussen lassen, geschweige denn diese ihren Geschäftspartnern/-innen offenbaren. Schließlich erforderte kaufmännisches Handeln eine „erhebliche kommunikative und soziale Kompetenz“. 603 599 Thea E. S TOLTERFOHT , Die Südfrüchtehändler vom Comer See im Südwesten Deutschlands im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zu ihrem Handel und ihrer Handlungsorganisation (Schriftenreihe rechtsge- schichtliche Studien 74), Hamburg 2017, 233 f. 600 StA Steyr, Briefkopierbuch (1724), Kasten XII, L2 FIV 1–9 Nr. 7, fol. 11 f. 601 L UDOVICI , Grundriß, 257. 602 M AY , Versuch, 298. 603 Alexander E NGEL , Homo oeconomicus trifft ehrbaren Kaufmann. Theoretische Dimensionen und historische Spezifität kaufmännischen Handelns, in: Mark Häberlein, Hg., Praktiken des Handels: Geschäfte und soziale Be- ziehungen europäischer Kaufleute in Mittelalter und früher Neuzeit, Konstanz 2010, 145–172, hier 154. „Soft skills“
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