Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 109 - bey den Kauf= und Handelsleuten, ein Stückchen Papier oder Pergament, welches man einer Sache anheftet, um sich bey Gelegenheit ihres Preises oder ihrer Güte zu erinnern.“ Insbeson- dere Krämer und Detailhändler banden oder hefteten diese Etiketten auf ihre Verkaufsartikel oder Pakete. 592 Eine von ihnen zeigt z. B. einen Laufvogel mit einem Hufeisen im Schnabel, am Banner darüber steht der Name Johann Ignatius Buckels und zu den Füßen des Vogels findet sich dessen Niederlassungsort Nürnberg. Ein weiteres Etikett zeigt das Bild einer Glocke und den Namen Heinrich Markus Kraffts aus Nürnberg. Eine simple zweizeilige Notiz ohne Motiv zeugt davon, dass der Mercante Carlo Casotti in Parma um 1755 mit Fabrica d’ogni sorte di Drapperia, e Calze di Setta fatte all’Ago (allerlei Stofferzeugnisse und mit der Nadel gemachte Seidensocken) handelte. 593 Der Autor des Notizbuches hatte die Etiketten wohl nicht nur auf- grund ihrer schönen Kupferstich-Motive eingeklebt, sondern um Kontakte für seine spätere Ge- schäftslaufbahn zu sammeln. Ein Name, der besonders häufig im Notizbuch auftaucht ist Lorenz Jakob Mehling in Vene- dig, der in sämtlichen Geschäftsfällen als eine der beiden Vertragsparteien auftritt. Das Buch wurde also aus seiner Perspektive aus angelegt. Da Mehling bereits zwei der drei Söhne Maria Elisabetha Kollers ausgebildet hatte, ist anzunehmen, dass dieses Buch als Lern- und Notizbuch während einer dieser Ausbildungen entstanden ist. Womöglich hatte der Schreiber die Rech- nungen, die bei Mehling ein- und ausgingen fein säuberlich abgeschrieben, um Beispielkalku- lationen zu sammeln, und hatte sich Geschäfts- und Wechselbriefe als Muster kopiert. Josef Anton hatte sich von 1747 bis 1749 und Franz Wolfgang von 1751 und 1753 in Venedig bei Mehling aufgehalten, das Buch aber ist auf die Jahre 1753 bis 1754 datiert. Entweder dauerte Franz Wolfgangs Ausbildung länger als aus der Rechnung hervorgeht oder auch der dritte Bru- der – Jakob – hatte dort eine Ausbildung absolviert. Zu dieser Zeit wäre er jedoch erst 14 Jahre alt gewesen, wohingegen seine Brüder bei ihrem Aufenthalt mindestens 20 Jahre alt waren. Wie sah es schließlich mit Jakobs Sohn Josef aus, der mit dem Tod seines Vaters im Jahr 1798 als 18-Jähriger die väterliche Großhandlung übernahm? Als sich Josefs Onkel einst als 20-jährige Burschen nach Italien zur Ausbildung begaben, wurde das Handelshaus in Steyr in- zwischen von der Mutter Maria Elisabetha geführt. Josef aber war beim Tod seines Vaters erst 18 Jahre alt und hatte keine älteren Brüder – auch seine Mutter war bereits vor Jahren verstor- ben. Höchstens sein Onkel Franz Wolfgang hätte ihm als – wenn auch gescheiterter – Handels- mann als Unterstützer und Ausbildner zur Seite stehen können. Es war jedoch Josef Sgardell, der bis 1800 Josef Kollers Vormund blieb und ihn womöglich auch in kaufmännischen Fertig- 592 K RÜNITZ , Encyclopaedie, Bd. 11, 671. 593 StA Steyr, Kaufmannsbuch (1753–1754), Kasten XII, L4/3 FIV 1–27 Nr. 25. Auch Jakob in Venedig? Ausbildung Josefs, Annas und Karls jun.
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