Eisenhandel im vorindustriellen Steyr
- 104 - auch elementare Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt wurden. 572 Bis zur Gegenreformation gab es vier protestantisch dominierte Schulen, in denen man in den 1620er Jahren katholische Schulmeister einsetzte. In den 1630er Jahren entstanden weitere dieser so- genannten „deutschen Schulen“ und daneben bestanden immer noch die unliebsamen „Winkel- schulen“, welche die Existenz der öffentlichen Schulmeister bedrohten. Bis es zur ersten k. k. Hauptschulgründung im ehemaligen Jesuitengymnasium im Jahre 1775 kam, was auf die Schulreform Maria Theresias zurückging, ist es also denkbar, dass die Koller-Kinder eine der fünf Trivialschulen besucht haben, um dort das Lesen, Schreiben und Rechnen – grundlegende Voraussetzungen für den Handelsberuf – zu erlernen. Eine Mädchenschule gab es in Steyr im Übrigen erst ab 1783. 573 Die Söhne Josef von Kollers wurden im Stiftsgymnasium Kremsmüns- ter unterrichtet und erhielten dort Nachhilfeunterricht von ihrem Kommilitonen Adalbert Stifter (1805–1868), der seine Ferien bei der Familie Koller in Steyr verbrachte. 574 Nach Ludovici mussten die Kaufleute neben dieser allgemeinen Erziehung spezielle Kennt- nisse in drei grundlegenden Bereichen mitbringen: Zum Ersten in der Warenkunde (z. B. über Gattungen, Herstellung, Beschaffenheit, Qualitätsprüfung, Preis und Wert, Verderbnis, Aufbe- wahrung, Verbesserung, Verfälschung, Nutzen und Gebrauch), zum Zweiten in der Handlungs- wissenschaft, also im Grunde wie Waren einzukaufen und zu vertreiben waren, und zum Dritten in der Buchhaltung. 575 Die doppelte Buchhaltung galt einst als die „höchste Stufe des kaufmän- nischen Wissens […], als eine Kunst, die schwer zu erlernen sei.“ Mitunter wurde sie sogar als Wissenschaft bezeichnet, da ihr feste Regeln und eine Systematik zu Grunde liegen (mehr zur Buchführung ab S. 280) . 576 Daneben waren noch Kenntnisse in der Rechenkunst, in der Schreibkunst (Schön- und Rechtschreiben), in der Münzwissenschaft (Kenntnis der Münzsor- ten), in der Wechsel- und Gewichtskunde, in der Kaufmannsgeografie (Kenntnis der Rohstoffe und Naturbeschaffenheit der Handelsplätze, der Wege und Häfen), im Handlungsrecht, in der Korrespondenz, über Warenzeichen und Marken, in der kaufmännischen Kryptographie oder Geheimschreibkunst, im Gebrauch kaufmännischer Ausdrücke und schließlich Kenntnisse über Manufakturen und Fabriken erforderlich. 577 572 O FNER , Eisenstadt, 59. 573 Ebd., 111 f. 574 Ebd., 129. 575 Carl Günther L UDOVICI , Grundriß eines vollständigen Kaufmanns-Systems, nebst den Anfangsgründen der Handlungswissenschaft, und angehängter kurzen Geschichte der Handlung zu Wasser und zu Lande, Leipzig 1768, 2–6. 576 August S CHIEBE / Carl Gustav O DERMANN , Die Lehre von der Buchhaltung, theoretisch und praktisch darge- stellt, 10. Auflage, Leipzig 1872, 75 f. 577 L UDOVICI , Grundriß, 9–18. „Hard skills“ und Nebenwissen- schaften
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