Eisenhandel im vorindustriellen Steyr

- 103 - nehmensphase von 1856 bis 1888 standen dem Handelshaus Josefs verwitwete Schwiegertoch- ter Anna (geb. Lechner) und ihr Sohn Karl von Koller jun. vor. Und was befähigte ausgerechnet diese Personen zur Leitung eines europaweit agierenden Handelshauses? 568 Der hessische Kaufmann Johann Carl May sah die Lehre als unerlässlich für jemanden, der im Handel als eigenständiger Kaufmann erfolgreich sein wollte: „[…] man muß gelernet haben, ehe man handeln kann.“ 569 Ob es dazu in Oberösterreich institutionalisierte Regeln gab, also ob auch die Koller-Kaufleute eine formale Lehre abschlossen, ist nicht ausreichend zu beantwor- ten. Es können daher nur Vermutungen von den zeitgenössischen, idealtypischen Schriften – sogenannter „Kaufmannsliteratur“ – abgeleitet werden, wie sie z. B. Carl Günther Ludovici oder der Autor hinter dem Pseudonym Spreander publiziert haben. Der erfahrene Kaufmann Johann Michael Leuchs z. B. stellte drei Ausbildungsstufen für das Bürgertum fest: 1.) die all- gemeine Erziehung, 2.) die Aneignung von Erwerbskenntnissen (z. B. eine Handelslehre), und 3.) die Anwendung des Erlernten. Leuchs setzte also das Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Kenntnisse der Naturgeschichte, Länder- und Menschenkunde, Religion und Sprachen voraus, bevor eine Lehre im Handel angetreten werden konnte. 570 Der Unternehmensgründer Johann Josef Koller (1680–1742), der in Mauthausen geboren und aufgewachsen ist, könnte in die 1573 erstmals in einem eigenen Schulgebäude nachgewie- sene einklassige Schule gegangen sein, die im April 1693 von 30 Kindern besucht wurde. 571 Womöglich hatte er dort Schreiben und Rechnen gelernt und im elterlichen Geschäft eine kauf- männische Lehre absolviert. Seine zweite Ehefrau und Nachfolgerin im Unternehmen war die Tochter eines Micheldorfer Sensenmeisters, eines sogenannten „Schwarzen Grafen“, sodass auch sie im elterlichen Haus Einblick in den kaufmännischen Bereich erlangt haben könnte. Lesen und schreiben konnte sie auf jeden Fall und als Partnerin eines Handelsmannes dürfte sie während ihrer Ehe so einiges von ihrem Mann gelernt haben, sonst hätte sie nach seinem Tod das Unternehmen nicht über 30 Jahre lang erfolgreich weiterführen können. Für Johann Josefs und Maria Elisabethas Kinder liegt nahe, dass sie zur Schule gingen, denn schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden Schulen in Steyr, in denen neben religiösen Inhalten 568 Zur Ausbildung von Kaufmannskindern und Handelsleuten siehe auch Gunda B ARTH -S CALMANI , Der Han- delsstand in der Stadt Salzburg am Ende des 18. Jahrhunderts: Altständisches Bürgertum in Politik, Wirtschaft und Kultur, Dissertation, Salzburg 1992, 195–256; R EININGHAUS , Stadt Iserlohn, 509–519. 569 Johann Carl M AY , Versuch einer allgemeinen Einleitung in die Handlungs-Wissenschaft, theoretisch und prak- tisch abgehandelt. Erster oder allgemeiner Theil, Frankfurt / Leipzig 1786, 297. 570 Johann Michael L EUCHS , Gedanken eines erfolgreichen Kaufmannes und handelswissenschaftlichen Autodi- dakten zur allgemeinen und beruflichen Bildung seiner Standesgenossen. Ueber kaufmännische Erziehung, in: Klaus Friedrich Pott, Hg., Über kaufmännische Erziehung: Ein Quellen- und Lesebuch mit Texten aus Zeitschrif- ten, Broschüren und (Lehr-)Büchern des 18. Jahrhunderts (Wirtschafts- und sozialpädagogische Bücherei), Rinteln 1977, 87–96, hier 88. 571 Erst mit der Theresianischen Schulreform (1774) wurde eine zweite Klasse eingerichtet; siehe M AYR , Ge- schichte, 146–149. Ausbildung Schulen in Steyr

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