Die oberösterreichische Messerindustrie
84 Diese geographische Einheit wurde noch verstärkt durch die wechselseitige wirtschaftliche Koordi- nation der einzelnen Länder und Ländergruppen zueinander. So waren die alpinen Gebiete von jeher reich an Holz, Vieh, Eisen, Salz, Braunkohle und Wasserkräften, an welche sich im Wiener Becken, in Oberösterreich, der Steiermark und Vorarlberg bedeutende Industriegebiete anschlossen. Große Industrien lagen ferner in Böhmen, Mähren und Schlesien. Reiche Lager an Bodenschätzen ermöglichten das Aufblühen leistungsstarker Eisenindustrien und anderer Wirtschaftszweige. In Galizien gab es Salz und Erdöle, Ungarn nahm ebenso wie Galizien viele Industrieerzeugnisse aus den westlichen Kronländern auf und gab bedeutende Mengen von Agrarprodukten ab. Siebenbürgen erschloss seine Salzlager, Kroatien und Slawonien, beide reich an Eichenwaldungen und Bodenschät- zen aller Art, bargen noch ungeahnte Reserven, und so kam es, dass entgegen allen politischen Diffe- renzen dieses Österreich-Ungarn von Natur aus eine wirtschaftliche Einheit bildete. Diese Einheit war bis zum Beginn des ersten Weltkriegs eine Selbstverständlichkeit für alle Wirt- schafbetreibenden. Der Binnenhandel konnte sich zu voller Blüte entwickeln und der Austausch in- dustrieller, landwirtschaftlicher und gewerblicher Produkte trug wesentlich zur Vermehrung des Wohl- standes aller beteiligten Nationen bei . 1 Lange Jahre des Friedens, den zu erhalten dem greisen Kaiser Franz Josef als Lebensaufgabe schien, trugen mit zum Wohlstand der Völker bei. Auch die oberösterreichische Wirtschaft hat in den Jahren nach der Jahrhundertwende aus der Friedenspolitik des Monarchen bedeutenden Nutzen gezogen. Im Rahmen der gesamten Monarchie nahm dieses Kronland zwar mit 11.982 von 676.614 Quadratkilometern kaum 2 Prozent der Bodenfla- che ein. Auch bevölkerungsmäßig betrug der oberösterreichische Anteil von 51,3 Millionen mit 853.000 nur 1,4 Prozent. Jedoch zeigt ein Blick auf die Karte sofort die eigenartige und in jeder Hinsicht außerordentlich günstige Lage, welche diesem Lande nicht nur gegenüber seinen Nachbarn, sondern auch im gesamten Raum der Donaumonarchie besondere Vorteile bot. Lag und liegt Oberösterreich doch gerade an der Eingangspforte von West nach Ost gleichsam an einer Transitschleuse. Demnach ergibt sich, dass es häufig verkehrspolitische Erwägungen waren, die für Industriegründungen maßgebend waren. Gab es denn idealere Standorte wie etwa Wels, Linz, Vöcklabruck, Ried im Innkreis, wohl auch Steyr, inmitten einer sich nach verschiedenen Rückschlägen durch genossenschaftlichen Zusammenschluss rasch erholenden Bauernschaft mit fruchtbaren Böden im Donaubecken und reicher Viehzucht im Berg und Hügelland? Oberösterreich konnte ohne weiters seine Industrie ausbauen, neue Erzeugungsstätten aufnehmen, ohne dass das Grundgefüge des Landes verändert wurde, und im Nahen Osten, im weiten Raum des größeren Heimatlandes gab es Abnehmer für industrielle und gewerbliche Produkte übergenug. Es erscheint nur verständlich, dass im Rahmen eines so gesunden und ausgewogenen Wirtschafts- körpers, wie es die alte Monarchie war, unsere Messerfabriken hach Überwindung der Geburtswehen reiche Absatzmärkte fanden. Gingen doch schon in den vergangenen Jahrhunderten die von den alten Meistern hergestellten Messerwaren in alle Teile der Monarchie. Die Stagnation, der Niedergang des Handwerks im ausgehenden 19. Jahrhundert brachte den Ver- lust vieler wertvoller Handelsbeziehungen. Wesentlich günstigere Offerte der ausländischen Schneidwarenerzeugung, insbesondere aus Solingen, fanden Berücksichtigung. Erst allmählich gelang es den oberösterreichischen Messerfabriken, das durch die verspätete In- dustrialisierung verloren gegangene Terrain wieder zu gewinnen. Nie gelang dies vollständig, denn zu tief war bereits der Ruf Solinger Qualitätsarbeit verankert. Freilich bot der riesige inländische Markt so reiche Möglichkeiten, insbesondere was den Absatz billiger Schneidwaren betraf, so dass der heimischen Produktion alle Möglichkeiten geboten waren. Im Industriebezirk Steyr erwuchs die führende Messerschmiede der Monarchie. Vielleicht waren es nicht immer wahre Spitzenerzeugnisse, die ihre Abnehmer in vielen Ländern fanden. Dafür lag der Preis entsprechend günstig. Leider sind uns keine näherer Aufschreibungen über den Umfang der Mes- serlieferungen in die einzelnen Kronländer erhalten. Fest steht, dass der Großteil der erzeugten Schneidwaren im weiten binnenländischen Markt Absatz fand. Dies erwies sich insbesondere in der 1 a.a.O., Meixner, S. 224.
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