Die oberösterreichische Messerindustrie
68 Als spezielle Ursachen des Untergangs der Steyrer Kleineisenerzeugung seien erwähnt: 1. Mangelhafte Bildung der Gewerbetreibenden und Mangel an jeglicher gewerblichen Schulung. 2. Eigensinniges Festhalten an ererbten Erzeugungsmethoden, unbekümmert um die Fortschritte der ausländischen Konkurrenz, andauernder Stillstand in der Fabrikationstechnik. 3. Mangel an technischen Hilfsmaschinen und praktischen Hilfswerkzeugen, keine rationelle Ar- beitsteilung. 4. Mangel der richtigen Modelle und Muster. 5. Mangel eines billigen Rohmaterials. 6. Mangel an einer tüchtigen unternehmenden Kaufmannschaft . 1 Zweifelsohne war die mangelhafte Bildung der Gewerbetreibenden mit eine Ursache für den Nie- dergang des Handwerks. In der früheren gewerblichen Entwicklung Steyr trat dieser Umstand so sehr in Erscheinung, denn den eigentlichen Geschäftsverkehr zwischen Handwerker und Konsumenten wi- ckelte der Kaufmann ab. Dieser führte die Korrespondenz, besorgte weitgehend die Rohstoffe, der Handwerker vertraute sich seinem Kaufmann vollständig an. Er hatte nie Gelegenheit, die Usancen des kaufmännischen Ver- kehrs kennenzulernen, die Anbahnung und Abwicklung der Geschäfte, das Geld- und Kreditwesen war für unsere biederen Handwerker ein Buch mit 7 Siegeln. Das Handwerk konnte daher den sich rasch ändernden Geschäfts-Usancen im 19. Jhdt. schwer fol- gen. Es war eine Seltenheit, dass Söhne und Handwerker ins Ausland fuhren, um ihre Ausbildung zu vervollständigen. Meist blieben sie zu Hause, bis sie das väterliche Geschäft übernahmen, welches in keiner Reise den Bedürfnissen der Zeit entsprach. In Österreich, besonders in den Alpenländern, sprach man einer Verkürzung der Schulzeit das Wort, zum Nachteil der physischen und psychischen Entwicklung der künftigen Gewerbetreibenden. 2 Wie ganz anders lagen, nach dem Bericht des Kammerrates Eduard Pfeil, die Verhältnisse in Deutschland! Dort war man sich im Klaren, dass auch der Gewerbetreibende etwas Neues schaffen muss, wenn er sich für seine Erzeugnisse einen dauernden Markt sichern will. In Solingen würde der Ausstattung besondere Aufmerksamkeit zugewandt, jede Saison bringe Neues. Dadurch verfüge man über die notwendigen Kapitalien, die der Maschinenanschaffung dienen. Dadurch werde der Arbeitsfluss beschleunigt, das einzelne Produkt durch die Teilung der Arbeit billi- ger, als es jemals durch Handarbeit erzeugt werden könnte. Dazu käme der Unternehmungsgeist, die rührige Tätigkeit und der praktische Sinn der dortigen Kaufleute: durch ständige Reisen sorgen sie für neue Absatzgebiete und kennen genau den Geschmack und die Bedürfnisse der Konsumenten in den verschiedenen Ländern. Dieses bindende Glied fehle in Steyr zwischen Handwerk und Konsumenten, der deutsche Kaufmann sei bestrebt, anderen Zwischenhändlern Konkurrenz zu bieten, unsere Kauf- leute seien in einem Zustand der Lethargie. So müssten unsere Gewerbetreibenden oft mit völlig un- bekannten Firmen, über deren Kreditfähigkeit keine Klarheit herrsche, Geschäfte abschließen, die oft- mals einer reellen Basis entbehrten. Soweit das Gutachten des Kammerrates Pfeil, welches im Auftrag der NÖ Handelskammer erstellt wurde. Ein Steyrer Fachmann gab zu dieser Zeit folgende treffende Schilderung der Situation: "Jene Epo- che, wo durch rapide Umgestaltung des Transport- und Verkehrswesens ein Wettkampf der Gewerbe- tätigkeit aller industriellen Nationen hervorgerufen wurde, wo der fast ein Jahrhundert lang schlum- mernde Sinn für gefällige Formen geweckt, auf die mannigfaltigste Weise gefördert wurde — jene Zeit ging für die Steyrer Industrie fast spurlos vorüber. Die Geschäfte wurden auf altpatriarchalische Weise fortbetrieben, den direkten Verkehr mit den Abnehmern aufzunehmen, fiel niemandem ein. Ja, Wün- sche oder Anregung derselben in Bezug auf Form, Ausstattung und Qualität der Waren wurden als Sekkatur vornehmlich ignoriert! Man lebte in dem Wahn, dass die Kunden wegen der Verkäufer da seien, oder man hielt sich für zu alt, um sich in die neuen Zeiten zu fügen oder endlich —man hatte es 1 Pfeil Eduard: "Die Notlage der Kleineisen- und Stahlwarenindustrie", Schriftlicher Bericht, Akte des Verwal- tungsarchives Wien. 2 a.a.O., Pfeil, "Die Notlage der Kleineisen- und Stahlwarenindustrie".
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