Die oberösterreichische Messerindustrie

66 Sheffield die Siegespalme zu entreißen. In Solingen, dem großen deutschen Klingenzentrum, begann man, beeinflusst durch die Entwick- lung der Stahlerzeugung in England, die Klingen nicht mehr mit der Hand von der Stange weg zu schmieden, sondern man nahm Hämmer in Gebrauch; anfangs noch primitiv den sog. Bockhammer, dann den Schwanzhammer und schließlich den Fallhammer. Die Klingen wurden hiedurch billiger und sie stellten durch ihre gleichmäßige Form die handgeschmiedeten Erzeugnisse in den Schatten. Dem Kaufmann Peter Daniel Peres verdankt es Solingen, dass Deutschland die britische Schneidwa- renerzeugung zumindest auf dem heimischen Markt verdrängen konnte. Ihm gelang es, die schwarze Spiegelpolitur des Stahls, wie sie in Sheffield seit Jahrzehnten ausgeführt wurde, nachzuerfinden. 1 Johann Abraham Henckels war dann derjenige, der in der Solinger Erzeugung den rechten Weg von der Hausindustrie zur maschinellen Erzeugung fand. Damit konnte er ganz anders, als dies bisher in der für Solingen charakteristischen Hausindustrie möglich war, für die gleichbleibende Güte seiner Er- zeugnisse einstehen. Sein Lebensziel war, den großen Vorsprung Sheffields einzuholen, was auch weit- gehend erreicht wurde. 1852 konnte er die erste in Solingen von Dampfkraft angetriebene Schleiferei in Betrieb nehmen, 1857 folgte das Hammerwerk, in dem 1861 der erste Dampfhammer zum Recken von Stahl und zum Ausschmieden großer Messer benutzt wurde. Als Krönung seiner Arbeit konnte endlich 1869 in dem neu errichteten eigenen Stahlwerk der erste Tiegelgussstahl erschmolzen und ausgereckt werden. Da- mit hatte er für feine Schneidwaren das gleich gute Ausgangsmaterial wie seine Sheffielder Wettbe- werber. Die von Henckels geleistete Arbeit wurde für die Solingen Industrie richtunggebend. All die Tau- sende der Arbeiter erlebten es, dass die Maschine, richtig angesetzt, nicht güterdrückend, sondern gütersteigend wirkt, dass durch eine entsprechende Ausnützung der technischen Möglichkeiten ein- wandfreier Ware unwiderstehliche Kaufkraft verliehen wird . 2 Strebsame Messerschmiede erzielten weitere Erfolge auf jedem Gebiet der Schmiedetechnik. Be- ginnend mit den leichten, von der Hand bedienten Bockhämmern, wie sie schon vorhin erwähnt wur- den, kam man zur Gesenkschmiederei. Ernst Hammesfahr (1847-1920) war der bedeutende Pionier im Gesenkschmieden, ihm gelang es ferner, an Stelle des bis dahin allgemein üblichen Handschleifens eine Messerschleifmaschine zu schaf- fen, bei der bis zu 100 Klingen, die auf einer großen Trommel befestigt waren, selbsttätig an einem Schleifstein vorbeigeführt wurden. 3 Die von Hammesfahr erzielten durchgreifenden technischen Neuerungen ergaben ein genaueres und besseres Erzeugnis bei ermäßigten Gestehungskosten. Allein in Bestecken konnte er die, Leistung seines Unternehmens auf täglich 1000 Dutzend Paar steigern, das war weit mehr, als bis dahin ein anderes Werk erreicht hatte. Als Resümee kann festgestellt werden, dass es Solingen gelang, die noch zu Anfang des 19. Jahr- hunderts vorhandene Vorrangstellung Sheffields nicht nur zu erreichen, sondern vielfach zu übertref- fen. Die unmittelbare Folge der aufgezeigten technischen Fortschritte war, dass sich die Industrie aus- dehnte und darin wieder mehr Kräfte schöpferisch zur Auswirkung kommen konnten. Bei dem Fleiß und der Betriebsamkeit, bei dem Wagemut und der Sparsamkeit der "Nordrhein- westfälischen Bevölkerung" wuchsen nicht nur die vorhandenen Firmen, neue Betriebe entstanden. Wie sehr die Industrie im Laufe des letzten Jahrhunderts in die Breite gegangen war, erhellt am besten ein Vergleich der Bevölkerungszahlen der von jeher zum Solinger Wirtschaftsgebiet gehören- den Gemeinden. Hatten letztere mit dem Stadtkern zusammen im Jahre 1830 noch nicht ganze 25.000 Einwohner gezählt, so war diese Zahl im Jahre 1900 auf über 106.000 gestiegen . 4 Neben der englischen und deutschen Konkurrenz machten auch andere Länder mit ihren maschi- nell erzeugten Schneidwaren unserer heimischen Fabrikation das Leben schwer. So Frankreichmit dem Mittelpunkt der Erzeugung in Thiers, die Schweiz in Solothurn, Schweden in Eskilstuna, Italien in 1 a.a.O., Hendrichs, Solingen und seine Stahlwarenindustrie, S. 44. 2 a.a.O., Hendrichs S. 46-47. 3 a.a.O., Hendrichs S. 48. 4 a.a.O., Hendrichs S. 50.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2