Die oberösterreichische Messerindustrie

57 und Großkaufleuten ausging . 1 Wie festgefügt zu dieser Zeit unsere Wirtschaft bereits war und welche bedeutenden Kapitalsmen- gen dieselbe damals in Bewegung hielten, ergibt sich aus folgenden Zahlen: Die Geschäftsumsätze der 8 Wiener Großbanken, der Ost.-Ung. Bank (beschränkt auf die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder) und der 1882 gegründeten Postsparkasse betrugen im Jahre 1890 38 Milliarden Gulden. Die österreichischen Sparkassen, die vom Jahre 1873 nicht berührt worden waren, zeigten von 1874 - 1900 eine Vermehrung ihrer Einlagenstände von 480 Millionen auf 1.500 Millionen Gulden. Das gesamte Netz der Eisenbahnen erfuhr einen Ausbau im Umfange von 17.400 Streckenkilome- tern, die Gesamtheit aller mobilen Werte aus österreichischen Gründungen, sofern sich diese im Besitz von Inländern befanden, repräsentierte um das Jahr 1900 ein Vermögen von 10 Milliarden Gulden und erbrachte jährliche Zinsenerträge von 460 - 480 Millionen. Wer sein Geld gut angelegt hatte, konnte aus den Zinsen mit regelmäßigen Einnahmen rechnen. 2 Dieser Aufstieg unserer Produktion, der sich in den vorerwähnten Zahlen getreulich widerspiegelt, umfasst allerdings nicht die Eisenschaffende und Eisenhalbzeug erzeugende Industrie. Vielmehr lässt sich deutlich hin Niedergang dieser Betriebe, zumindest in Oberösterreich, erkennen, bedingt durch die antiquierte Eisen - und Stahlgewinnung am Erzberg und in den zugehörigen Gebieten, welche erst verspätet entsprechend modernisiert wurde. Die technischen Umwälzungen in der Eisen- und Stahl- verarbeitung finden im nächsten Kapitel eine detaillierte Darstellung. Mit zunehmender Industrialisierung trat der Gegensatz zwischen arm und reich im Rahmen des gesamten gesellschaftlichen Gefüges immer krasser zutage. Die "soziale Frage" wurde aktuell! War es zu verantworten, dass in einem an natürlichen Schätzen so reichen Staatengebilde, wie es unsere alte Monarchie war, eine von Jahr zu Jahr anwachsende Zahl von Arbeitnehmern Löhne ausbe- zahlt erhielt, die nur notdürftig die Kosten für Ernährung, Bekleidung und Wohnung deckten? Gab es für eine bestimmte Kategorie von Menschen keine Aussicht, ihr Elendsdasein zu verbessern? Früher, in der gewerblichenWirtschaft der patriarchalischen Ära, war das Verhältnis des Arbeitneh- mers zum Arbeitgeber noch ganz Bestandteil der "alten Ordnung" Handwerksgesellen wie Lehrlinge (Jungen in unserer Sparte) zählten zur Familie des Meisters, an dessen Tisch sie saßen, dessen Obdach sie teilten. So gab es für die Arbeitnehmer im Handwerksbetriebe von einst eine "soziale Frage" in heutiger Sicht kaum, weder eine sog. "Magenfrage" noch eine "Wohnungsfrage" stand zur Diskussion, solange das Handwerk in Blüte stand. Traditionsbewusste Meister setzten ihren Stolz darein, für ihre "Leute" zu sorgen und den Gesellen entsprechende Kenntnisse mitzugeben . 3 Der Geldlohn war doch nur ein Teil dessen, was der Geselle für die Arbeit erhielt. Er diente in erster Linie zur Erwerbung von Annehmlichkeiten oder zum Ansammeln jener Mittel, die der Geselle zur Er- langung einer Meisterstelle benötigte. Die lebensnotwendigen Bedürfnisse hingegen waren durch das Leben beimMeister gesichert. Nur wer arbeitslos war, litt Hunger. Wer arbeitete, hatte auch zu essen- das war das ABC der alten Wirtschaft. Ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Industriebetriebe ständig zu, das Hand- werk befand sich in einer Umstellungskrise. Die Meister sahen sich außerstande, ihre Arbeitnehmer nach altem Brauch mit Naturalien und Bargeld zu entlohnen, beide Berufsgruppen gingen vielfach ei- ner "Verproletarisierung" entgegen. In Oberösterreich war diese Entwicklung deshalb nicht so krass, weil viele Menschen gewisse Be- ziehungen zur Landwirtschaft hatten, und wenn es nur der Besitz einer Ziege, einer Kuh oder eines Ackers war, das "Auskommen" war meist erleichtert. Arbeitervereine bildeten sich, sozialdemokratisches Gedankengut drang allmählich vor, obwohl vorerst der christlich-sozialen Bewegung (Lueger) die Führung zukam. Die ersten Sozialgesetze moderner Prägung schuf aber eine konservative Regierung, Graf Taaffe 1 a.a.O., Meixner, S. 135. 2 a.a.O., Meixner, S. 136. 3 a.a.O., Meixner, S. 181-182.

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