Die oberösterreichische Messerindustrie
55 Bürgertugend . 1 Bereits die Mitte des 19. Jhdt. brachte wesentliche Ansätze zur Kapitalbildung. Nicht nur beim Staat, auch in der privaten Wirtschaft entstand langsam ein Bedürfnis nach Hilfsgeldern, um Roh- stoffe für die Produktion wie Konsumgüter für den Handel auf Lager zu legen und vor allem Investi- tionen im Bedarfsfalle rascher als bisher durchführen zu können. So erwuchs ein großes Bedürfnis nach Leihkapital! Viele Banken entstanden nach 1848. Die Wiener Börse wurde 1771 gegründet. Das Leihkapital er- wuchs zu einer anonymen Macht, welche in der Nachfolge der patriarchalischen Industrie- und Groß- handelsfamilien ganze Reihen von Privatbanken zu Bankfamilien — nach heutigem Sprachgebrauch zu Bank-Konzernen — zusammenschloss . 2 Die in der vormärzlichen Gesetzgebung sich eingeengt fühlenden Wortführer einer expansionsfähi- gen Wirtschaft forderten allmählich ein bestimmtes Mitspracherecht in Wirtschaftsfragen. In Wien bil- dete der bereits 1836 gegründete "Niederösterreichische Gewerbeverein" das erste private Forum derartiger Diskussionen. Der Märzsturm des Jahres 1848 schuf auf dem Gebiet der Wirtschaftsverwaltung eine neue Ord- nung. Am 8. Mai erfolgte die Gründung des alle Wirtschaftszweige umfassenden ersten Ministeriums für Ackerbau, Handel und Gewerbe . 3 Theodor Hornbostel war einer der ersten Ressortträger. Ihm ist der Entwurf zu einem provisori- schen Handelskammergesetz zu danken, der alsbald Verwirklichung fand. Dann kam Carl Ludwig von Bruck, einstiger Gründer des "österreichischen Lloyd", als Minister einer der bedeutendstes Staatsbau- meister, die Österreich besaß. Er hatte den an so vielen Stellen brüchig gewordenen Bau des Kaiser- reiches in wirtschaftlicher Hinsicht neu aufzurichten. 4 Am 15. Jänner begann mit der 1. Sitzung der niederösterreichischen Gewerbekammer eine neue Ara der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Später folgten in allen Teilen mehr als 60 solcher Kam- mern, die keinesfalls nur eine Form von Unternehmervereinen waren, vielmehr das Produkt einer raumumfassenden Planung. Aus diesem Gebilde sollte alles Weitere, wie der Zusammenschluss zu ei- nem einzigen großen Zollgebiet (ev. im Rahmen des deutschen Reiches) die Vereinheitlichung des Münzwesens und vieles andere erwachsen. War doch die Welt inzwischen kleiner geworden — von der Straße zur Schiene — könnte man den Trend der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnen. 1832 wurde die Pferdebahn Linz-Budweis in Betrieb genommen, dann kam die berühmte "Kaiser Ferdinand Nordbahn", Negrelli baute die böhmischen Staatsbahnen, Ritter von Ghega die Semme- ringbahn. Dessen damals in aller Welt verbreiteter Satz "Durch die Eisenbahnen verschwinden die Distanzen, die materiellen Interessen werden gefördert, die Kultur wird gehoben und verbreitet" legt so recht Zeugnis ab von dem Idealismus und jener vornehmen Gesinnung, welche die technischen Pioniere des- 19. Jhdt. kennzeichnete . 5 Die Verbindung nach Bayern stellte die "Kaiserin Elisabeth Westbahn" her, die leider an dem Mit- telpunkt unserer Betrachtungen, an der Eisenstadt Steyr, nicht vorbeiführte. St. Valentin wurde Eisen- bahnknotenpunkt, wiewohl ursprünglich Steyr dafür vorgesehen war. Selbstsüchtige Umtriebe kurzsichtiger Bürger, insbesondere waren es Vertreter des Flößereigewer- bes, die sich den Floss- und Schiffverkehr Enns — Donau erhalten wollten, trugen mit dazu bei, dass Steyr bis zur Errichtung der "Kronprinz-Rudolf-Bahn", 1867, abseits des Bahnverkehrs lag. 6 Welch schwere Schäden dies für das eisenverarbeitende Gewerbe nach sich zog, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung. Der Ausbau der Bahnen bot dem Handel die Möglichkeit, sich großzügig zu entfalten. Jetzt erst 1 Meixner Erich Maria : "Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich", Bd. 2, "Männer, Macht, Betriebe", Linz 1952, S. 113. 2 a.a.O., Meixner, S. 115. 3 a.a.O., Meixner, S. 21. 4 a.a.O., Meixner, S. 22 5 a.a.O., Meixner, S. 81. 6 Rolleder Anton : "Heimatkunde von Steyr", Steyr, 1894, S. 168.
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