Zwei Jahre Dollfuß - Zum 20. Mai 1934

des sonst so lebhaft betonten Führerprinzips, denn der Berliner Bescheid lautete: Mein Name ist Haase, ich weiß von nichts! - Auf nationalsozialistischer Seite mochte man damit gerechnet haben, daß die österreichische Re– gierung durch die dadurch bewirkte Verschärfung des Gegensatzes zwischen Wien und Berlin sich veranlaßt sehen werde, mit der sozialdemokratischen Partei ein Bünd– nis einzugehen, sich auf diese Weise gegenüber der Mehr– heit der Bevölkerung ins Unrecht setzen und so diese ins nationalsozialistische Lager treiben werde. Die sozialdemo– kratischen Führer begannen in der Tat nunmehr wieder zu hoffen, mit der Regierung zu einer „Verständigung" zu gelangen; sie suchten ihr begreiflich zu machen, daß sie nur mit Hilfe der sozialdemokratischen Partei der Natio– nalsozialisten Herr werden können und waren um so koalitionslüsterner, als die Verfassungsreform in immer sichtbarere Nähe rückte, deren Vereitelung aber der Haupt– zweck war, den die sozialdemokratischen Führer bei der Verständigung mit der Regierung im Auge hatten. - Die Verfassungsreform sollte ja die Bevölkerung in unmittel– baren ständigen Kontakt mit der Regierung bringen, dem kostspieligen politischen Zwischenhandel der radikalen Parteien ein Ende machen und überdies auch die verfas– sungsrechtliche Stellung Wiens im Sinne der Beseitigung der wichtigsten Machtposition der sozialdemokratischen Partei ändern. Neue Koalitionsgerüchte flatterten auf, sie bestätigten sich indessen nicht, denn der Bundeskanzler dachte nicht daran, sich durch Preisgabe seiner politischen Vberzeugung im Amte zu halten, und als er sich um die Jahreswende in einem Appell an die gesamte Arbeiter– schaft wandte und sie zur positiven Mitarbeit an der politi– schen und wirtschaftlichen Neuorganisation aufforderte, und mit Grund zu besorgen war, daß ein großer Teil der Arbeiterschaft mit Rücksicht auf die bisherigen Erfolge der Regierung in wirtschaftlicher Hinsicht dieser Aufforde– rung Folge leisten könnte, entschlossen sich die sozialdemo- 22