Zwei Jahre Dollfuß - Zum 20. Mai 1934

unter Nichtbeachtung seiner geistigen und materiellen In– teressen in einem Sinne gleichzuschalten, der in schroff– stem Gegensatze zu deutscher Art und deutschem Wesen steht, vor allem aber die instinktive Abneigung des öster– reichischen Volkstums gegen den von sozialdemokratischer und nationalsozialistischer Seite angestrebten, auch in die persönlichsten Verhältnisse eingreifenden absoluten Zwangs– staat, brachten immer weitere Kreise der Bevölkerung zur Selbstbesinnung und zum Bewußtsein eigenen Werts, und bewirkten einen alle Schichten erfassenden geistig politi– schen Aufschwung, der der Regierung die Abwehr aller kollektivistischen, kommunistischen Vorstöße erleichterte. Sozialdemokraten und Nationalsozialisten schlugen denn auch bald sanftere Töne an. Beide bemühten sich um eine Koalition mit den die Regierung unterstützenden Parteien. Die Sozialdemokraten versprachen um diesen Preis der Regierung die volle Unterstützung im Kampfe gegen den Nationalsozialismus, und dieser sicherte wiederum der Regierung seine Unterstützung im Kampfe gegen den Marxismus zu, wenn die nationalsozialistischen Führer in die Regierung aufgenommen würden. - Das eine wie das andere Anbot war in der Absicht gemacht worden, sich auf dem Umwege über eine parlamentarische Koalition den entscheidenden Einfluß in der Regierung zu sichern und eine eigene Diktatur aufzurichten, wie es ja auch im Deutschen Reiche im Frühjahr 1933 geschehen war, und Bundeskanzler Dr. Dollfuß beurteilte die Lage richtig, wenn er beide Offerten ablehnte. - Von nationalsozialisti– scher Seite wurde darauf mit der Verschärfung der öster– reichfeindlichen Propaganda geantwortet, durch die die Regierung sich zur Ausweisung Habichts gezwungen sah. Die Repressalien, die darauf von Berlin aus ergriffen wur– den sowie die Einschmuggelung von Sprengstoffen über die reichsdeutsche Grenze nötigten die Regierung zu ernsten Vorstellungen in Berlin, die von dort aus jedoch aus– weichend beantwortet wurden, allerdings unter Preisgabe 21