Zwei Jahre Dollfuß - Zum 20. Mai 1934

Der sich dadurch verschärfende Gegensatz zwischen Preußen und Österreich war nicht so sehr in gegensätz– lichen dynastischen Interessen als vielmehr in der ver– schiedenen politischen Einstellung Preußens und Öster– reichs begründet. Österreich hatte sich die im deutschen Wesen begründete universale Auffassung bewahrt, während sich Preußen von Anfang an als zentralistischer Macht– staat mit ausgesprochen militärischer Eroberungstendenz entwickelte, die sich aber nur zu bald nicht mehr nach dem Nordosten wandte, wohin si~ durch die geographische Lage Preußens verwiesen war, sondern gegen Deutschland kehrte, um das eigentliche zwischen Rhein und Elbe lebende Deutschtum der absoluten Staatsidee zu unter– werfen. Oskar Thon, der in jüngster Zeit von der national– sozialistischen Presse viel zitiert wird, schrieb 1815 dar– über: ,,Es darf nicht versäumt werden, den ganzen Norden Deutschlands, der durchaus keinen anderen Willen haben darf als den Preußens, innigst mit Preußen zu verbinden; ein Kampf wird vielleicht beginnen, aber er wird auf keinen Fall enden, bis nicht die Regierungen Süddeutschlands ge– stürzt, die mächtigsten Staaten Deutschlands zerschlagen und Österreich genötigt wird, jedem Einfluß auf Deutsch– land zu entsagen und ferner in keiner Gemeinschaft mit ihm zu stehen." - Es kam so und Meinecke (Weltbürger– tum und Nationalstaat, 1911) rühmt, daß kein anderer den Gang der deutschen Geschichte im 19. Jahrhunderte, die Verdrängung und Verweisung Österreichs nach dem Osten, die Niederbeugung der deutschen Mittelstaaten und die Aufrichtung des deutschen Nationalstaates durch das sieg– reiche preußische Schwert so bündig und scharf voraus– gesagt habe wie Thon. - Und 1918/19? - Was Meinecke 1911 noch nicht sehen wollte, sah Konstantin Frantz be– reits im Jahre 18?1 , als er in der „Naturlehre des Staates" über die Aufrichtung des deutschen Nationalstaates durch das siegreiche preußische Schwert Folgendes bemerkte: 15

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