Ergänzungsblätter Nr. 1 bis Nr. 15, Steyr 1848

Jero 4. er zwanglosen Blätter. Steyr den 7. Mai 1848. Mir hat es immer gefallen, wenn man auch in der Medizin den gesunden Menschen=Verstand zu Hulfe nimmt.“ v. Haller. Billige Wünsche eines praktischen Arztes. Mach bestehenden Vorschriften müssen Rekrutirungspflichtige dem Gesuche um zeitliche Befreiung vom Militärdienste auch ein ärztliches Zeugniß über die persönliche Erwerbs¬ Unfähigkeit ihrer Eltern beibringen. So waren mir von Seite des hiesigen Distrikts=Kom¬ missariates mehrere Bauersleute mit der Weisung zugeschickt, im Falle der erwiesenen Unfähigkeit ein derartiges Zeugniß auszustellen. Einige dieser Bittsteller wurden von Seite des Traun¬ kreisamtes mit dem Bemerken abweislich beschieden, daß hiezu ein legales d. i. ein vom Kreisarzte ausgestell¬ tes Zeugniß nöthig sei. Ich frage nun, warum ein von einem Privatarzte ausgestelltes Zeugniß nicht als legal betrachtet werde? Ist der von jedem prakt. Arzte zu leistende Eid über ge¬ wissenhafte Erfüllung feines Berufs minder werth, als der der öffentlich angestellten Aerzte? Wenn ja hie und da Falle vorkommen, wo Privat=Aerzte bei Ausstellung von Zeugnißen Mißbrauch machten, werden solche unsau¬ bere Ausnahmen nicht auch schon bey öffentlichen Aerzten Statt gefunden haben? Muß man darum einen ganzen Stand brandmarken, weil es vielleicht einzelne un¬ würdige Mitglieder gegeben hat, oder möglicher Weise noch gibt? Ich dächte, man sollte nur die böse That bestra¬ fen, dafür aber auch rücksichtslos, an welcher Person man sie entdeckt; also in diesem Falle gleichviel, ob an einem Offentlichen= oder Privat=Arzte? Sr. Majestät, Kaiser Franz, hat in seinem Testamente einen eigenen Artikel sol¬ genden Inhaltes gesetzt: „den (jenigen) Beamten, die mir treu gedient, meinen Dank.“ Ich selbst habe ämtliche Doku¬ mente in Handen, wie ein öffentlicher Arzt seine ämtliche Stellung zu Privat=Zwecken ausbeutete, und wie ihn eine öffentliche Behörde im „Begehren fremden Gutes,, so bereitwillig unterstützte! Eine Hand wascht die andere. Wie, wenn ich alle Beamten, folglich auch alle öffent¬ lichen Aerzte als untreue Staatsdiener erklären würde? Und doch wäre eine solche Schlußfolgerung um kein Haar mehr unlogisch und unchristlich, als jene leidlichen Verordnungen vor dem 13. März 1343, die alle Privat=Aerzte für gewissenlos, folglich deren Zeugniße als illegal erklären! Oder ist etwa ein, vom Freisarzte ausgestelltes Zeug¬ niß darum legal, weil der dessen bedürftige Bauersmann Tagreise weit hin und her laufen muß, folglich der Mühen und Auslagen — viele hat? Wie, wenn der¬ selbe zum Bettliegen krank ist? Darf der Kreisarzt dann nach bloßem Hörensagen das verlangte Zeugniß aus¬ stellen,? Kennt man diese mindere Empfehlung einem solchen Zeugniße im Gesichte an? Und ist dieses dann legal? Oder muß der arme Gebirgs=Bauer außer den hohen Stempeln für Gesuch und Beilagen dem Kreisarzte auch noch eine sette Fuhr bezahlen? Und so großer Zahlungen unfähig, gar auf die gesetzliche Wohlthat der zeitlichen Befreyung seines Sohnes verzichten? Derselbe kernhafte Zopf hängt auch noch ven andern Zweigen der sogenannten öffent¬ lichen Sanitäts=Pflege herab: So können zu gerichtlichen Zeugnißen und gerichtlichen Leichen = Sectionen, nach ausdrücklichen Verordnungen nur öffentliche Aerzte verwendet werden. Und doch müßen letztere zu jedem speziellen Falle von den betreffenden Kommissariaten eingeladen werden, unter deren besonderen Ober=Aufsicht und Leitung sie diesen zu vollführen haben! In welch anderer Eigenschaft können sie hier fungiren, als in der von sachverstan¬ digen Zeugen? Nun sind aber nach dem bürgerlichen Gesetzbuche zu gerichtlich gültigen Zeugenschaften zwei Zeu¬ gen nothwendig; als deren Einer in diesem Falle der Lokal¬ Wundarzt, als der Andere aber der öffentliche Arzt erscheint. Wenn nun der Eine dieser zwey Zeugen ein Privat¬ Arzt sein kann, warum nicht auch der Andere? So bedient man sich ja auch in anderen Künsten und Gewerben zu gerichtlichen Zeugenschaften bloß solider Privat=Menschen; und es genügt alle Male, wenn nur ihre Sachverständigkeit erwiesen ist! warum überläßt man die Wahl der Aerzte nicht auch den einzelnen Kommissa¬ riaten; denen, bei ihrer Aussicht über die öffentliche Si¬ cherheit, doch erst neulich die Bestreitung der dießfalligen Auslagen aufgebürdet wurde? Warum gerade in der Heilkunde die Sachverständigen, und dieses wieder nur zum Theile, aus der Ferne hohlen müssen, wenn man dergleichen in der Nähe mit sicherer Erreichung des Zweckes und verminderten Auslagen verwenden könnte? Bis zum Ohrenzwang erklärten sich die einfachen Gebirgs¬ Leute, die nun einmal das Glück voraushaben, nach ge¬ sundem Haus=Verstande und nicht nach Verordnungen denken und handeln zu dürfen, — daß ein Privatarzt doch nur ein halber Arzt sein müsse; weil es sonst ein Unsinn wäre, zu rein ärztlichen Verrichtungen öffentliche Aerzte aus der Ferne rufen zu müßen! Muß eine gesetz¬ liche Beschränkung der Kunst den Privat=Aerzten nicht das nöthige Ansehen und selbst den Privatverdienst schmälern? Noch unhaltbarer wird eine derartige Beschränkung, wenn man erwagt, wie sich die einzelnen Verordnungen in denselben Fällen selbst widersprechen und auf¬ heben: So ist während der Erledigung einer Kreis¬ oder Bezirksarztens=Stelle allemal der nächste praktische Arzt als einstweiliger Stell=Vertreter zu nehmen. In dieser periodischen Eigenschaft kann er alle Prarogative eines öffentlichen Arztes ausüben: Er kann legale Zeug¬

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