336 Ein Brief aus Wien. Ich bin vollkommen mit Ihnen einverstanden, daß es jetzt die wichtigste Aufgabe unserer Publizistik sei, mit allem Ernste zu arbeiten an dem großen Werke der Versöhnung zwischen Deutschland und Oesterreich. Die Kluft zwischen beiden Ländern ist leider schon sehr groß, und doch ist brüderliche Vereinbarung eine Lebensbedingung für beide; darum müssen die Verständigen dahin streben, wieder auf¬ zubauen was der Unverstand niedergerissen. Es ist ein unfruchtbares und unerquickliches Beginnen in den Sün¬ denregistern der Vergangenheit zu wühlen; trachten wir lieber eine Wiederholung des alten Trauerspiels für die Zukunft unmöglich zu machen. — Wir haben unser neues Ministerium mit Freude begrüßt, weil wir die Männer kennen, aus welchen es gebildet ist und weil wir Ver¬ trauen zu dem Charakter und den Fähigkeiten dieser Män¬ ner haben. Es knüpft sich daran aber keineswegs die Be¬ dingung, daß wir Alles gut heißen werden was von dem neuen Kabinete ausgeht; denn eben in dieser Zeit gewalt¬ samer Verstummung, wo sich in Wien der Ausdruck der öffentlichen Meinung an Kanonen und Palissaden bricht, ist es für den unabhängigen Mann eine doppelt heilige Pflicht einzustehen für die Freiheit des Volkes, und unbe¬ stochenen Blickes jedem Schritte der Regierung zu folgen, auf daß ihre Handlungen in Einklang bleiben mit ihren Versprechungen. „Nichts ist argwöhnischer als die Frei¬ heitsliebe — sagt Heeren — und die Geschichte lehrt, daß sie Ursache hat es zu seyn.“ Die Presse außer Wien hat aber jetzt eine so große und schöne Aufgabe zu erfüllen, wie vielleicht nie zuvor. Sie ist berufen den Stimmen Ge¬ hör zu geben, die hier sonst ungehört verhallen müssen, so lange bei der einseitigen Richtung unserer Presse selbst die allergelindeste Opposition unmöglich ist, denn unsere Jour¬ nale unterscheiden sich in diesem Augenblicke nur dadurch von einander, daß ein Theilsich bemüht den Wün¬ schen der Regierung zuvorzukommen und der andere ihnen zu folgen. Daß unter solchen Um¬ ständen ein gesundes politisches Leben, ein freier Meinungs¬ austausch seibst in den Grenzen des strengsten Anstandes nicht gedeihen kann, leuchtet ein. Wenn ich z. B. nach dem Durchlesen der letzten Reichstagsberichte sagen wollte¬ was wirklich meine Meinung ist — die vom Grafen Sta¬ dion verlesene Antwort des Gesammtministeriums auf die kurze und bestimmte Interpellation Schuselka's sei etwas weitschweifig und doch unbefriedigend, so wüßte ich wirklich in ganz Wien kein Blatt zu finden, das seine Spalten dieser so mäßigen wie wahren Bemerkung was öffnen würde. Wenn ich ferner bemerken wollte ebenfalls meine Meinung ist — daß es klug und im eige¬ nen wohlverstandenen Interesse des Ministeriums wäre, ein gemäßigtes, gesinnungstüchtiges Oppositionsblatt auf¬ tauchen zu lassen, so würde ich wiederum unübersteigbare Schwierigkeiten finden, dieser Meinung öffentlichen Aus¬ druck zu leihen. Wenn ich eine Parallele ziehen wollte zwischen dem preußischen und dem österreichischen Reichstage, und dabei nachzuweisen versuchte, daß in Berlin die staats¬ gefährliche Parthei auf der Linken saß, während in Krem¬ sier die staatsgefährliche Partei auf der Rechten sitzt, so befände ich mich abermals in gleich großer Verlegenheit, wie in den beiden erstgenannten Fällen, obgleich es mir nicht im Traume beifallen würde, meine Bemerkung über die Rechte zu einer Apologie der Linken zu machen. Mö¬ gen diese wenigen Beispiele, deren Vermehrung nicht schwer fiele, Ihnen beweisen, wie unendlich wichtig es gerade in diesem Augenblicke den wahren Patrioten, den wahren Freunden gesetzlicher Freiheit sein muß, eine Zuflucht für ihre Meinungsäußerungen in den Spalten der Presse außer Wien zu finden. Bis wieder ein angesehenes Oppositions¬ blatt auftaucht, muß die Haltung unserer Tagespresse als eine einseitige, und darum unzuverlässige, betrachtet wer¬ den. Kuranda hat zwar vor kurzem durch Vermittelung des ehrlichen, deutschgesinnten Welden die Erlaubniß erhalten seine „Ostdeutsche Post“ wieder erscheinen zu lassen; auch war er gesonnen von der Erlaubniß Gebrauch zu machen, die jüngsten Vorfälle haben jedoch plotzlich seinen Entschluß wieder geändert. Sie mögen das auf diese Vor¬ fälle Bezügliche den neuesten Nummern der Wiener Zei¬ tung entnehmen; ich melde Ihnen nichts davon, da ich nicht Berichterstatter von neuen Hinrichtungen und stand¬ rechtlichen Proklamationen sein mag, sondern allen Ernstes fortschreiten will auf dem einmal betretenen Wege der Versöhnung.*) Die Red. *) Uebrigens ist die „Ostdeutsche Post“ seither erschienen. Zur Geschichte des Tages. Nachstehendes Mißtrauensvotum ist dem Regierungs¬ rathe und Kreishauptmanne, dann — Abgeordneten Fritsch nach Frankfurt gesendet worden: Die Wähler vom Kommissariate Freiling und Traun unter dem Distrikte Wels an ihren Abgeordneten Fritsch in der Nationalver¬ sammlung zu Frankfurt. Mit Schmerz und Entrüstung haben wir vernommen, daß Sie das innige Vertrauen, das wir bei Ihrer Sen¬ dung in die deutsche Volkskammer nach Frankfurt in Ihre Gesinnung gesetzt, getäuscht, und bei der Abstimmung über die Paragraphe 2 und 3 der Verfassung sich jenen Abge¬ ordneten angeschlossen haben, die unsere deutschen Inter¬ essen von denen Deutschlands zu sondern sich bestreben, und einen Zweifel zu hegen sich erlaubten in unserer wich¬ tigsten Lebensfrage, bei der Begründung des entscheidenden.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2